Arm gegen Reich: »Parasite«

»Filme über Menschen, die nicht ins System passen«

Bong Joon-ho über seine schwarze Komödie »Parasite« und seine Wurzeln als Filme­macher

 

Woher kommt die Inspiration für »Parasite«?

Es geht um zwei Familien, jede von ihnen hat vier Mitglieder, eine ist reich eine ist arm. Mich hat dies an die surrealistische Technik der »Decalomanie« erinnert, davon hatte ich mal in der Schule gehört: Man faltet ein Papier in der Mitte, nachdem man auf der einen Seite etwas gemalt hat, und dieses Bild wird dann auf der anderen Seite reflektiert. Dieses Konzept hat mich inspiriert. Beide Seiten des Bildes sehen auf den ersten Blick identisch aus, aber wenn man genau hinschaut, sind sie es nicht. So geht es auch den Familien in meinem Film.

Was bedeutet der Titel »Parasite«?

Als ich den Titel bekannt gab, haben viele erwartet, dass es sich um einen Film über eine Kreatur handeln würde, wie »The Host«, oder um Science-Fiction. Aber die Protagonisten meines Films sind Familien aus der echten Welt. Es sind Leute, die miteinander und mit den anderen in einer Symbiose leben wollen. Als das nicht aufgeht, sind sie gezwungen, in parasitären Beziehungen zu leben. Ich halte meinen Film für eine Tragikomödie, die Humor und Horror verbindet und von der Traurigkeit handelt, die aufkommt, wenn man zusammen ein Leben in Wohlstand führen möchte, aber begreift, dass die Wirklichkeit gegen einen steht. Der Titel ist ironisch. Ähnlich wie der koreanische Original-Titel meines Films »Memories of Murder«, der auf Koreanisch die Konnotation warmer angenehmer Erinnerungen hat. Wie kann man warme, nostalgische, angenehme Erinnerungen an einen Mord haben? Ist das falsch? Auf die gleiche Weise ist auch »Parasite« ironisch.

Sprechen Sie mit dem Film die wachsende Ungleichheit der Einkommen an?

Ja, auf alle Fälle. Der Klassenkonflikt und die Polarisierung zwischen Reich und Arm ist ein weltweites Problem. Was mich an der Einkommensdifferenz am meisten beängstigt, ist, dass keine Hoffnung für die Zukunft besteht. Ich finde es erschreckend, dass dieses Problem auch in der Generation meiner Kinder nicht gelöst werden wird. Insofern kann einen die Lage wirklich traurig machen. Der junge Mann aus der armen Familie in meinem Film rechnet aus, wie viel Zeit er brauchen würde, um das Haus, in dem er arbeitet, das Haus der Reichen, selber zu kaufen.

Wie lang bräuchte er?

Wenn er kein Geld ausgeben würde, wären es 547 Jahre. Mein Film beginnt damit, dass der Sohn der armen Familie einen Job als Privatlehrer der Reichen bekommt. In Wirklichkeit gibt es sehr wenige Gelegenheiten für die Reichen und die Armen, sich zu vermischen. Sie bewegen sich auf verschiedenen Ebenen, sie vermischen sich nicht — aber diese Vermischung war für den Film ein großartiger Anfang. Die reiche Familie ist die ideale, gut gebildete neureiche Familie der modernen urbanen Elite: Der Vater ist CEO in einer IT-Firma, ein Workaholic, er hat eine schöne junge Frau, eine süße High-School-Tochter und einen jungen Sohn. Der Film handelt von Einkommensunterschieden, aber er ist auch ein Thriller und eine schwarze Komödie. Ich würde sagen, er ist ein Genre-Film, in dem man viel Spaß haben kann, aus dem man aber auch etwas mitnimmt.

Können Sie ihr Verhältnis zum Genre­kino näher beschreiben?

Ich bin mit dem amerikanischen 70er-Jahre-Kino aufgewachsen, das ich fortwährend im Fernsehen gesehen habe. Ich habe immer die Luft der Genre-Filme eingeatmet und sie in mich aufgenommen, insofern fließen sie in meinen Adern. Manchmal folge ich als Filmemacher den Konventionen und manchmal breche ich sie, aber ich glaube nicht, dass ich jemals besonders weit weg von den Konventionen liege. Ich fühle mich wohl und erleichtert, wenn ich mich innerhalb der Genregrenzen bewege.

Wie würden Sie das Genre dieses Films bezeichnen?

Es ist ein humanes Drama, aber eines, das sehr stark in der Gegenwart verwurzelt ist. Auch wenn der Plot einzigartige und besondere Situationen aufgreift, ist dies gleichwohl eine Geschichte, die im Prinzip an allen möglichen Orten der realen Welt stattfinden könnte. In diesem Sinn ist es ein sehr realistisches Drama, aber ich hätte nichts dagegen, wenn Sie es ein Kriminal-Drama nennen würden, oder eine Komödie oder einen Thriller. Ich habe immer mein Bestes getan, um die Erwartungen der Zuschauer zu irritieren, und ich hoffe dass »Parasite« in dieser Hinsicht Erfolg hat.

Wie wichtig sind Ihnen Horror- und Thriller-Elemente?

In meinem eigenen Leben habe ich sehr viel Angst vor der Gesellschaft und dem System. Man hat auch mehr Angst um seine eigene Familie, wenn man begreift, wie inkompetent das System ist, in dem man lebt. Meine Filme handeln fast immer von Menschen, die nicht richtig hineinpassen in das System und sich nicht glücklich fühlen in der Umgebung, die ihnen der Staat zugesteht. Zugleich versuche ich, meine Filme nicht so blutig zu machen. Auch die Filme von Alfred Hitchcock zeigen nicht viel Blut, und ich respektiere seinen Stil sehr. Was wichtig ist bei Gewaltdarstellungen, ist nicht das Blut, sondern das Timing. Wenn die Gewalt ausbricht, muss das Publikum von ihr überrascht werden.

 

Bong Joon-ho

wurde 1969 im südkoreanischen Daegu geboren. Er studierte Soziologie und Film und hat gleich mit seinem Langfilmdebüt »Hunde, die bellen, beißen nicht« 2001 den FIPRESCI Preis auf dem Hong Kong International Festival gewonnen. Vergeben wird er von der Filmkritik. Mit dem Monsterfilm »The Host« brach er sämtliche Zuschauerrekorde, »Memories of Murder« und »Mother« wurden Festival­erfolge und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. In diesem Jahr erhielt er als erster südkoreanischer Regisseur für »Parasite« die Goldene Palme auf dem Film Festival in Cannes.