Hat nicht viel zu lachen: »Joker«

»Joker«

Todd Phillips bereichert das Superheldengenre um eine düstere Stilexerzitie

Mit dem Goldenen Löwen für »Joker« von Todd Phillips hat die Superheldenfilmwelt nun endlich ihre Nobilitierung durch das Bildungsbürgertum erfahren — wenn auch bezeichnenderweise mit einem Werk, in dessen Zentrum eine Figur ohne irgendwelche übermenschlichen Eigenschaften steht. Zudem hat Phillips’ Joker fast nichts gemein mit dem, was man aus 79 Jahren Comics so über Batmans Kardinal-Nemesis weiß. Am ehesten vergleichbar ist er noch mit dem Joker aus »The Killing Joke« (1988), dem Meilenstein von Alan Moore und Brian Bolland, in dem Batmans Gegenspieler ebenfalls ein erfolgloser Komiker ist. Will sagen: Bei dieser Prestige-Edition von Film war man auf Distanz zur Regel bedacht.

Joker und sein Protagonist haben ganz andere Wurzeln: Da ist einmal Rupert Pupkin aus Martin Scorseses »The King of Comedy« (1982) sowie Punk-Rocker GG Allin, der von Phillips in seinem Langfilmdebüt »Hated: GG Allin and the Murder Junkies« (1993) porträtiert wurde. Von Allin aus führt noch ein Pfad zu dem von seinem Vater jahrelang verprügelten und erniedrigten Serienmörder John Wayne Gacy, mit dem Allin befreundet gewesen ist. Gacy trat bei Kindergeburtstagen oder Wohltätigkeitsveranstaltungen als Pogo the Clown auf und malte im Todestrakt ein Porträt Allins.

Arthur Fleck, wie der Joker hier bürgerlich heißt, ist geistig behindert und findet nur mit Mühe Arbeit, etwa als Clown auf der Kinderstation eines Krankenhauses. Er kümmert sich alleine um seine bettlägerige Mutter, die dauernd Briefe an ihren ehemaligen Arbeitgeber schreibt, den Industriellen und angehenden Politiker Thomas Wayne. Fleck ist einer jener Menschen, der das Widerlichste im Durchschnittsbürger hervorbringt: gleich zu Beginn wird er von einem Tross Teenager verprügelt. Ein Kollege in der Clown-Agentur gibt ihm daraufhin eine Waffe, zum Selbstschutz, wie man so sagt. Doch als ein Trio von Yuppie-Bänkern Fleck in der U-Bahn bedroht, passiert, was in solchen Situationen und Konstellationen passieren muss. Fleck ist aber auch in anderer Hinsicht ein Opfer — ebenso wie seine Mutter...

Joker kommen, wenn die Zivilgesellschaft versagt: Wenn (Einfluss-)Reiche ihre Macht missbrauchen, bei den Ärmsten gespart wird und die Wehrlosen verspottet werden. Phillips glorifiziert Flecks bzw. Jokers Verhalten nicht, aber er gönnt seinem Gebeutelten ein Strahlen für seine Träume sowie Verve und Panache, wenn der wie unsichtbar durch die Tage Trottende endlich sichtbar wird. Und das ist ebenso auf- wie anregend, betörend und inspirierend.

Joker (dto) USA 2019, R: Todd Phillips, D: Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz, Marc Maron, 122 Min.