Heidnische Rituale aus erster Hand erlebt: »Midsommar«

»Midsommar«

Ari Aster schwelgt bei Dauersonnenschein in blutig-düsterem Horror

Was soll ein junger Regisseur mit Horror-Faszination und Autorensensibilität wie Ari Aster auf einen Debüt-Paukenschlag wie die grenzgeniale Arthouse-Geisterbahnfahrt »Hereditary« folgen lassen? Mit schwer erfüllbaren Erwartungen im Nacken nutzt er die Gunst der Stunde und verwirklicht ein exzentrisches Herzensprojekt, das man in jeder Hinsicht als überladen bezeichnen darf. Backwood-Horror, Sekten-Thriller, Trennungsdrama und Satire auf Kulturchauvinismus: »Midsommar« ist alles ein bisschen und nichts so ganz. Der größte Schock dabei:
Es funktioniert erstaunlich gut, was nicht zuletzt daran liegt,
dass der eigentliche Horror der Geschichte die Kälte einer erstorbenen Liebe ist.

Schon im kunstfertigen Prolog, der Asters erzählerische Finessen und seine Bereitschaft zu drastischer Konsequenz vorführt, wird klar, dass die Kommilitonen Dani (Florence Pugh) und Christian (Jack Reynor) ihre Beziehung nur noch aus schlechtem Gewissen weiterführen. Eine gemeinsame Bildungsreise nach Schweden droht dann auch schnell zur Qual für alle Beteiligten zu werden, zumal die schwermütige Dani
im Bro-Kollektiv der männlichen Reisegruppe nicht wirklich populär ist.

Noch bevor es die Reisenden in die sektenartige Hälsingland-Gemeinde im tiefsten Hinterland verschlägt, trumpft Aster mit der lustvollen Inszenierung zwischenmenschlicher Ausgrenzung, emotionaler Vergletscherung und wohlplatzierter Mikroaggression auf, die das Nervenkostüm des Zuschauers schon früh ankratzen. Der permanente Sonnenschein der Sommersonnenwende kontrastiert mit einer Düsternis, die den Verstand aller Beteiligten mehr und mehr einhüllt.

Das am Pagan-Horror geschulte Auge des genre-affinen Betrachters, der »Wicker Man« nicht erst seit den Nicolas Cage-Memes kennt, ahnt früh, dass die in Gewänder gehüllten Blumenkinder von Hälsingland wenig bis nichts mit der zivilisierten (sprich: snobistischen und neurotischen) Attitüde der Gäste anfangen können. Auch wenn sich Aster ausnehmend viel Zeit lässt, Setting, Sitten und Mythologie zu erforschen, zieht sich die Schlinge stetig und unablässig enger um die Hälse der Gäste. Bis zu diesem Zeitpunkt ist noch kein Tropfen Blut geflossen, kein bizarres Ritual abgehalten und kein Bär aus dem Käfig gelassen worden...

Wer sich immer schon gefragt hat, wie eine unheilige Kreuzung aus »Picknick am Valentinstag« und »Blutgericht in Texas« aussehen könnte, muss nach diesem sonnendurchfluteten Fiebertraum nicht weiterrätseln.

Midsommar (dto) USA 2019, R: Ari Aster, D: Florence Pugh, Jack Reynor, Will Poulter, William Jackson Harper, Vilhelm Blomgren, 140 Minuten.