Im Dauermonolog: »In Stanniolpapier«

Vogel der Nacht

Das Theater Bonn zähmt das Skandal-Stück »In Stanniolpapier«

Der Vogel der Nacht singt von Liebe und Schmerz. Genauso tut es auch Maria. In zentimeterhohen Stilettos und weißem Kunstfellmantel steht sie auf der kreisrunden Drehscheibe inmitten der Bühne, trotzig sich weigernd, nur das Schlechte in der Welt zu sehen. »Die gute Nachricht ist, dich hat ein Mensch geboren«, hatte der Arzt nach sieben Migränejahren zu ihr gesagt. »Die schlechte ist: Es war keine Mutter.« Basierend auf einem Interview erzählt Autor SC Deigner vom Leben einer starken Frau, die — missbraucht vom Freund der Familie, gedemütigt von der alkoholgetränkten Gleichgültigkeit der Eltern — beschließt, als Prostituierte auf dem Straßenstrich zu arbeiten.

Erst im vergangenen Jahr hatte Regisseur Sebastian Hartmann mit seiner Inszenierung des Stoffes einen Skandal in Berlin ausgelöst. Als »misogyner Opfer-Porno« kommentierte der Deutschlandfunk die Aufführung im Rahmen der Autorentheatertage, der Spiegel sprach von einer unerträglichen »Ästhetisie­rung der Gewalt«. In einem klaustrophobischen Theaterraum hatte Hartmann die nackte Schauspielerin der Brutalität ausgeliefert — und dazu noch den zahlreichen Kameras, die die ihr angetane Gewalt auf die Leinwände projizierten. Autor SC Deigner distanzierte sich von der Inszenierung, weil er seinen Text konterkariert sah. Das Deutsche The­­a­ter ließ den Begriff »Uraufführung« aus dem Programmheft streichen.

Im Bonner Theater kommt »In Stanniolpapier« weitaus zahmer daher. Regisseur Matthias Köhler, auch bekannt als Kurator des »Britney X Festival« am Offenbachplatz, holt für die Rolle der Maria nicht eine, sondern gleich drei Schauspieler (Birte Schrein, Sandrine Zenner, Manuel Zschunke) auf die Bühne. Die unterschiedlichen Stimmen, die zum Dauermonolog ansetzen, werden der Figur in ihren Widersprüchen und ihrer Brüchigkeit gerecht. Erzählt wird weniger eine Biographie, als vielmehr der Versuch einer sinnstiftenden Retrospektive auf das eigene Leben.

Dass in dieser narrativen Rückschau einige Erlebnisse romantisiert werden, greift Köhler mit ­Ironie auf — etwa als er Maria mit einem LED-beleuchteten Kruzifix ausstattet, wenn sie von ihren therapeutischen Sitzungen mit Freiern erzählt, oder den Herren, die sie eben noch bewundernd umringten, angsteinflößende Bärenmasken aufsetzt. Eine leise Kritik an der etwas naiven Darstellung des Milieus im Stück? Vielleicht. Doch spätestens, wenn der Chor älterer, weißer Männer in Satin-Bademänteln auf der Bühne zum nächsten Schlager à la Stephan Remmler ansetzen, geht sie im vollmundigen Refrain von »Vogel der Nacht« unter.

10. & 30.11., Theater Bonn, Werkstatt, 20 Uhr