Hauen und Stechen im Schlafzimmer

Materialien zur Meinungsbildung /// Folge 212

Es geht auf Herbst. Das Leben ermattet, es verkriecht sich in die Vergangenheit, es scheint, als hocke es nur noch verblassend in unseren Erinnerungen. Eine Mücke war im Zimmer.

Die Mücke und ich, wir kannten uns nicht, und trotzdem gab es sofort Probleme. Warum nur können wir nicht friedlich miteinander leben?

Ich lagerte auf meinem Bett, ich suchte Schlaf und konnte ihn doch nicht finden. Ich hatte bereits das Licht gelöscht, als ich das Surren hörte, ganz dicht an meinem Ohr. Ich schreckte aus meinem Dämmer auf und schlug blindlings nach dem Geräusch. Da hatte ich Ohrenschmerzen, und nach einer kurzen erwartungsvollen Stille hörte ich erneut das Surren. Die Situation war gewissermaßen surr-real. Ich ahnte, dass hier etwas begann, was so bald nicht enden würde. Surren. Stille. Surren. Der Mensch ist groß, die Mücke klein, doch das besagt rein gar nichts. Ein großes Hauen und Stechen zeichnete sich ab, und die Uhr zeigte bereits nach Mitternacht. Das Surren einer Mücke ist ein eindringliches, spitzes, ja stechendes Geräusch, es erinnert an einen Zahnarztbohrer. Als man 2017 die Großbuchstabenform des Eszett amtlicherseits einführte, muss der Grund gewesen sein, das Surren einer Stechmücke korrekt im Wortlaut wiedergeben zu können: »?ßß! ?ßß, ?ßßßßß!«. Ich weiß nicht, wie Tierfreunde wie Gesine Stabroth unter solchen Umständen ihren Grundsätzen treu bleiben, aber mich machte das Tierchen sehr aggressiv. Ich brauche meinen Schlaf. Bei Schlafmangel rastet der Mensch aus. Die Stechmücke rastet bei Stechmangel aus. Das ist ein Problem. Aber wie kam die Mücke überhaupt in mein Schlafzimmer? Es war indiskret.

Womöglich kam sie auch nicht allein, Stechmücken haben oft Viren, Bakterien oder gar Würmer im Schlepptau. Lässt man eine Steckmücke gewähren, weiß man nie, wer da sonst noch kommt. Es ist, als wenn man Tobse Bongartz einlädt und er dann mit »ein paar alten Kumpels« auf der Matte steht, die einem das Bier wegsaufen und die Wohnung verwüsten.

Außerdem können Stechmücken und ihre Kumpels Krankheiten übertragen. Ich glaube, Stechmücken sind zu nichts nutze. Freilich: Wozu ist der Mensch nutze? Letztlich sind wir alle Nichtsnutze. Meine Empathie für die Mücke stieg für einen Augenblick. Dann hörte ich wieder das Surren, und sie hatte alle Sympathie verspielt.

Ich hatte im Sommer mit Gesine Stabroth die Fensterbänke mit Pflanzen vollgestopft, Basilikum, Thymian, Minze, solche Sachen. Angeblich schrecken sie Mücken ab. Es ist zu optimistisch gedacht.

Ansonsten riet mit Gesine Stabroth mit Nachdruck, Pflanzen zu kaufen, mit denen sich Insekten wohlfühlen, als Maßnahme gegen das Insektensterben. Die Natur wird still, es ist gespenstisch, sagte Gesine Stabroth, man muss etwas unternehmen. Ich folgte dem Rat nur widerstrebend. Denn ich sehe nicht ein, dass die Lösung eines umweltpolitischen Problems dieser Größenordnung von der Einsicht, dem Wohlwollen und der Finanzkraft einzelner abhängig sein soll. Nun gut, die Baumarktpflanzen waren nicht teuer, aber wohl war mir bei dem Gedanken nicht, dass ich nun Insekten an meine Fensterbank lockte. Im persönlichen Umgang sind mir Insekten nicht sehr sympathisch, ich muss das ganz offen so sagen.

Der Tod kam im Morgengrauen. Ich habe die Mücke schließlich mit meinem Pantoffel erschlagen, ich bin nicht stolz darauf. Ich erwartete danach einen blutigen Fleck an der Wand, doch ich sah nur die erschlagene Mücke. Sie hatte kein einziges Mal zugestochen. Ihr Surren mit den großen und kleinen Eszett klang mir noch in den Ohren, und ich war den ganzen Tag sehr müde.