Teilweise nervtötend

»Sharing is caring« lautet die Parole, denn heutzutage werden nicht einfach Restaurants eröffnet, heute werden ständig »Konzepte« präsentiert. Deshalb erleben wir eine nie für möglich gehaltene Debatte über die zeitgemäße Darreichungsform. Das Menü, so der aktuelle Stand, ist falsch und daher ein Auslaufmodell.

Bis hinauf in die Haute cuisine lehnen jetzt immer mehr Küchenchefs die klassische Menüfolge ab. Stattdessen werden die Gänge gleichzeitig oder in beliebiger Folge serviert. Das heißt für die Küche: Was fertig ist, geht raus. Für die Gäste bedeutet es, dass sie mit vielen, aber kleinen Portionen von einer kulinarischen Vielfalt umfangen werden, die sie nach Lust und Laune gestalten können — und müssen. Der Kunde ist nicht König, sondern Manager. Der Trend zeigt vor allem eines: wie sich das Essverhalten verändert hat. Es gibt kein Schema mehr, geschweige denn ein Zeremoniell. Frühstück, Mittagessen, Abendbrot sind im Alltag ebenso aufgelöst wie im Restaurant die Abfolge vom Amuse-geule bis zum Dessert. Man kann sagen: Unser Essen ist fragmentiert, flexibilisiert, entgrenzt. Es ist darin ein Abbild der Art, wie wir arbeiten.

Wenn nun, auch in Köln, Sterne-Restaurants diesen Trend aufnehmen, dann deshalb, um sich den neuen Gewohnheiten anzupassen. Der Hochküche buhlt um junge Gäste, da die Stammkundschaft wegstirbt. Deshalb gebärden sich die Küchenchefs so kumpelhaft, Essen als gemeinsames Projekt von Küche und Kundschaft.

Erstaunlich daran ist, dass dieser gastronomische Wandel mit dem Schlachtruf »Sharing is caring« vollzogen wird, als Sorge für die Tischgemeinschaft. Die mag erstrebenswert sein; denn die Individualisierung hat ja gerade kollektive Tischgemeinschaften zerstört. Aber warum soll sich Gemeinschaftlichkeit an der Tafel denn nur wiedererlangen lassen, indem wir ein Durcheinander kleiner Portionen bekommen? Man kann auch Hauptgerichte teilen, sogar besser. Es verbirgt sich etwas anderes hinter dem Sharing-Gerede: der Drang nach Vielfalt: Alles soll jederzeit verfügbar sein, überall.

Und so ähnelt Sharing-Gastro dem Büfett. Bloß mit Bedienung, die dann auch mal den Überblick verliert, wie zuletzt in einem ent­sprechenden Restaurant am Eigelstein, das nach wenigen Wochen schon wieder schloss. Büfett — klingt altbacken? Stimmt, deshalb heißt das jetzt »sharing is caring«. Geteilt werden aber meist nur die Fotos auf dem Smartphone. Und auch da ist sharing einfach bloß ein nervtötender Etikettenschwindel.