Spielhallen und schicker Altbau— Blick vom Eigelstein in die Eintrachtstraße und die Weidengasse

Das letzte kölsche Veedel

Kaum ein Viertel ist so gegensätzlich wie der Eigelstein. Während Promis im Savoy-Hotel absteigen, warten vor den gegenüberliegenden Kneipen Prostituierte auf Kundschaft. Dealer, Obdachlose und Gangsta-Rapper tummeln sich hier genauso wie Intellektuelle und Familien mit Lastenrad. Nun wird ein weiteres teures Hotel im Rotlichtviertel gebaut, und ein ehemaliger Parkplatz soll zum Quartiersplatz werden. Gehört das bunte, halbseidene Eigelsteinviertel bald der Vergangenheit an?

 

Im Sommer vor drei Jahren beschloss Ruth Wennemar, dass es so nicht weitergehen kann. Immer wieder wurde sie nachts von Gebrüll aus dem Schlaf gerissen. Wenn sie zum Fenster ihrer Wohnung am Gereonswall eilte, bot sich stets das gleiche Bild: junge Männer, die aufeinander losgingen, kurze Zeit später kam die Polizei. Es war der Höhepunkt des sogenannten Rapper-Kriegs zwischen KC Rebell, der eine Shisha-Bar an der Weidengasse betreibt, und dem Rapper Xatar. »Es war schon vorher ungemütlich geworden«, sagt Wennemar. Seit Silvester 2015 habe sich die Drogenszene ins Eigelsteinviertel und zum Ebertplatz verlagert, abgeschreckt vom großen Polizeiaufgebot rund um den Dom. »Die Drogen werden offen gedealt, auch vor der Kita an der Weidengasse. Da findet am helllichten Tag auch Prostitution in den Büschen statt.« Dann las Wennemar in der Zeitung, dass einem Mann im Rapper-Krieg der Schädel eingeschlagen wurde. »Da dachten mein Mann und ich: Wenn sich sonst keiner um das Viertel kümmert, dann tun wir das halt.«

Ruth und Burkhard Wennemar traten in den Bürgerverein Eigelstein ein, der damals kurz vor der Auflösung stand. Die beiden wurden sogleich in den Vorstand gewählt. Seitdem haben sie im Viertel einiges ins Rollen gebracht: Einen Bürgerantrag, um die Parkplätze auf dem Eigelstein in Grünflächen umzuwandeln. Gespräche mit Ordnungsamt, Polizei und Politikern. Und sie wollen, dass für den Eigelstein künftig eine Milieuschutzsatzung wie im Severinsviertel gilt. Denn trotz Drogen, Prostitution und wilder Müllkippen steigen die Mieten im Viertel. Viele öffentlich geförderte Wohnungen fallen in diesen Jahren aus der Mietpreisbindung, sie kosten dann, was der Markt hergibt. Gleichzeitig entsteht am südlichen Ende des Eigelsteins, wo früher die Gaffel-Brauerei ansässig war, ein Design-Hotel mit 213 Zimmern. Wird am Eigelstein jetzt aufgeräumt? Ist es bald aus mit Rotlicht und Multikulti? Oder versinkt das Viertel jetzt erst richtig in Kriminalität und Müll?

Der Eigelstein ist ein kölscher Mythos. Die Straße, die dem Viertel seinen Namen gibt, wurde als römische Fernstraße angelegt, die von Köln nach Neuss führt. Im Mittelalter lebten hier Bauern, Soldaten und Wäscherinnen, vornehm war es nie. In den 60er Jahren wurde das Viertel durch den Bau der Nord-Süd-Fahrt gnadenlos vom Kunibertsviertel abgeschnitten, mit dem es verbunden war. In der anderen Richtung wird der Eigelstein von der Eisenbahn begrenzt. In dieser Insellage, gleich nördlich vom Hauptbahnhof, wurde das Viertel zur Anlaufstelle von Menschen mit wenig Geld, Einwanderern und der Halbwelt. Im Jahr 1974 eröffnete der erste türkische Gemüseladen an der Weidengasse — bis heute dominieren Dönerläden, Brautmodengeschäfte und Juweliere das Straßenbild.

Bis in die 90er Jahre hatten viele Wohnungen weder Heizung noch Bad, noch immer gab es Kriegsruinen in den Häuserzeilen. An der Nord-Süd-Fahrt standen die Baublöcke aufgerissen da, zum Teil bis heute. 1989 erklärte der Stadtrat das Eigelsteinviertel zum Sanierungsgebiet. Hunderte Wohnungen wurden instandgesetzt, modernisiert oder vergrößert, Flachbauten und Schuppen riss man ab und errichtete an ihrer Stelle mehrstöckige Neubauten und eine Kita. Der Stavenhof, einst berüchtigte Bordellstraße, erhielt sein heutiges Gesicht, und die Eigelsteintorburg wurde renoviert. Erst 2012 wurde die Sanierung des Veedels beendet. Sie gilt als Erfolg, eine Verdrängung der Einwohner in größerem Ausmaß hat es nicht gegeben.

Rund um die Eigelsteintorburg ist das Viertel heute schick, doch je weiter man Richtung Süden und Hauptbahnhof geht, desto trostloser wird es: Vor den Kneipen und Ein-Euro-Shops am Eigelstein mischen sich Trinker, Prostituierte und Obdachlose. Auch die Bahnbögen sind verwahrlost. Warum kommt das Viertel nicht in Schwung?

Der Eigelstein sei immer ein raues Viertel gewesen, sagt Jörg Frank. Auch die Prostitution habe es immer gegeben, sie habe sich nur heute von der Straße in die Kneipen verlagert und es seien vorwiegend Osteuropäerinnen, die unter dem Zwang von Zuhältern stehen. Der 64-jährige Frank ist am Eigelstein aufgewachsen. »Von meinem Elternhaus konnte ich als Kind noch über die Kriegstrümmer bis zum Hauptbahnhof gucken«, erzählt er. Vieles habe sich seitdem natürlich verändert, »aber wirklich einschneidend war der Bau der Nord-Süd-Fahrt«, sagt Frank. Die Schnellstraße, im Zuge der Idee einer autogerechten Stadt gebaut, habe den Eigelstein von angrenzenden Veedeln drastisch abgeschnitten.

Seit 1989 sitzt Frank für die Grünen im Rat der Stadt. Der Eigelstein gehört zu seinem Wahlkreis und ist sein Wohnort. Als Politiker setzt sich Frank heute für die Verkehrswende ein, er unterstützt auch die Forderung des Bürgervereins, den Eigelstein letztlich autofrei zu machen und so die Lebensqualität hier zu erhöhen. Trotz Verkehr und dichter Bebauung habe das Viertel vorwiegend seinen ursprünglichen Charakter behalten. »Der Eigelstein, das ist noch ein urkölsches Viertel«, sagt Frank. »Hier wird noch Kölsch gesprochen.« Anders als in der Südstadt etwa, sagt Frank, spüre man am Eigelstein trotz aller Veränderung auch noch das Proletarische. »In der Wirtschaft würde man sagen: Das ist der hidden champion.«

Dass Jörg Frank im Wahlkreis Eigelstein/ Agnesviertel 2009 und 2014 als Direktkandidat in den Stadtrat einzog, zeigt auch, wie sich die Mentalität hier verändert hat: Grüne Themen verfangen in einem Viertel, in dem es zu wenige Grünflächen und zu viele Autos gibt, und in dem Multikulti Alltag ist.

Der Eigelstein, ein kleines Kreuzberg?

Basak Demir lebt seit elf Jahren an der Weidengasse. »Ich dachte, vielleicht wird das hier ein kleines Kreuzberg«, sagt die Journalistin. »Damals schien alles im Aufschwung zu sein.« Das Hinterhof-Theater Raketenklub und die kleine Bar La Pop eröffneten. Doch dann nahm die Weidengasse eine andere Wendung. Das Theater schloss, weil kulturelle Nutzung dem Bebauungsplan widersprach. Auch die Bar machte zu, genauso wie das Gourmetrestaurant Bizim, das als bestes türkisches Restaurant Deutschlands galt. »Auch der Geigenladen hat zugemacht, das finde ich sehr schade«, sagt Basak Demir. Stattdessen vergrößerten sich zwei Restaurants immer weiter: Doy Doy und Mangal. Hier stehen die Menschen abends Schlange, um Döner zu essen, und am nächsten Tag finden die Anwohner die Hinterlassenschaften vor ihrer Haustür. »Es liegt einfach viel mehr Müll auf den Straßen«, klagt Demir. »Und in letzter Zeit sind auffällig viele Dealer und Bettler dazugekommen.«

Demir sagt, sie kenne mehrere Familien, die in den vergangenen Jahren weggezogen seien, weil es ihnen zu laut war, und weil sie zu oft Schlägereien auf der Straße oder sogar auf dem Spielplatz mitansehen mussten. »Ich kann das verstehen«, sagt Basak Demir. Sie selbst will aber nicht weg. Sie liebt es, dass vor ihrem Fenster immer was los ist, sie kennt die Menschen im Viertel. Als neulich ihr Auto nicht ansprang, seien die Leute scharenweise aus den umliegenden Geschäften herbeigeeilt, um Hilfe anzubieten. »Wir haben hier eine gute Nachbarschaft.«

Diese Nachbarschaft streitet jetzt über ein neues Thema: Kebab-Qualm. An der Weidengasse hatte 2003 der erste Gastronom auf Holzkohle gegrillte Kebabspieße angeboten, mittlerweile gibt es sechs solcher Lokale. An manchen Tagen liegt die Weidengasse wie im Nebel, und der Qualm zieht bis über den Hansaring oder in den Stavenhof. »Es ist ein Riesentrend, aber es ist eben auch wahnsinnig giftig«, sagt Ruth Wennemar vom Bürgerverein. Christian Döring, Kinderarzt im Viertel, hat eine enorme Feinstaubmenge in der Luft gemessen. »Das ist Ultrafeinstaub«, sagt Wennemar. »Der geht in die Blutbahn und verändert die DNA, ist also krebserregend.« Das Frauenhofer-Institut erforscht jetzt im Auftrag des Umweltbundesamtes, welche Auswirkungen die Emissionen haben und wie sie verringert werden können.

Der Kinderarzt Christian Döring hat nun eine Initiative gegründet: Lecker Kebab mit sauberer Luft. »Wir sind ja für Vielfalt und Integration«, sagt Burkhard Wennemar. Mit dem Kinderarzt sucht er nun selbst nach einer technischen Lösung, um die giftigen Partikel herauszufiltern. »Das ist ein relativ neues Phänomen, und die Technik in Deutschland ist noch nicht so weit«, sagt Wennemar. Die Filteranlage werde vermutlich 30.000 Euro kosten, die Gastronomen müssten diese Kosten selbst tragen. »Wir wollen keine Existenzen gefährden«, sagt Wennemar. Deswegen prüft die Initiative, ob es dafür Fördermittel vom Land NRW geben könnte — in der Hoffnung, dass die Restaurantbetreiber die Anlagen dann auch einbauen lassen. »Den Klageweg wollen wir vermeiden, aber wenn die Kinder sich morgens die Nase putzen, ist das Taschentuch schwarz«, sagt Wennemar. »So kann es nicht weitergehen!«

Bezirksbürgermeister Andreas Hupke, der selbst seit zwei Jahren gegen den Kebap-Qualm kämpft, ist voll des Lobes über die Initiative: »Zwei Privatpersonen suchen nach geeigneten Filtern, unfassbar!«, sagt der Grünen-Politiker. »Aber die Bundes- und Landespolitik lässt sie damit allein!« Die Holzkohlegrills sind bislang vom Bundesimmissionsgesetz ausgenommen. Die Grünen haben dazu im Landtag eine Anfrage gestellt. »Da kam nicht viel von der Landesregierung«, schimpft Hupke. Geht Andreas Hupke durch die Straßen, wird er alle paar Meter mit Handschlag begrüßt. »Ich kenne hier jeden Winkel, und bin ja auch Zeitzeuge«, sagt Hupke. Zwei Jahre lang habe er in den 80er Jahren in der besetzten Eigelstein-Torburg gewohnt. In Rage gerät er, wenn er unter den Bahnbögen zwischen Gereonswall und Eintrachtstraße entlangspaziert. Wie auch in Ehrenfeld zieht sich ein Viadukt aus 35 Gewölbebögen durch das Eigelsteinviertel, von der Marzellenstraße bis zum Hansaring. Ein industriegeschichtliches Denkmal ist so der größte Schandfleck des Viertels.

Favelas unter den Bahnbögen

»Hier gibt es alles: Obdachlose, Junkies, Tauben, Ratten, illegale Müllkippen. Das sind Szenen, die man nur aus südamerikanischen Favelas kennt«, sagt Hupke, während er über einen Berg aus Hausmüll und kaputten Elektrogeräten steigt. »Und keiner kümmert sich um die Menschen!« Einige der Bahnbögen sind provisorisch mit Gitter abgeriegelt. Irgendjemand hat einen Kinderwagen daran angeschlossen. »Das ist so unwürdig. Ich kenne keine zweite Stadt, in der mitten in der Innenstadt solche Zustände herrschen!«, schimpft Hupke.

Eigentümerin der Bahnbögen ist die Deutsche Bahn AG. Seit 2003 werden die Bahnbögen am Eigelstein und in Ehrenfeld von Lutz Figge und seiner Bahnbögen GmbH gepachtet, der Vertrag läuft über vierzig Jahre. Figge war damals mit großen Visionen angetreten: Die Bögen sollten den Vierteln zu einer exklusiven Flaniermeile verhelfen, von einem Touristenmagnet wie der Portobello Road in London oder den Hackeschen Höfen in Berlin war die Rede. Passiert ist seitdem allerdings nichts. Auf seiner Homepage wirbt Figge mit schicken Fotos aus den Metropolen, die ihm als Vorbild dienen. Neben den Bildern steht Blindtext. Die Geschichte der Bahnbögen besteht seit 15 Jahren aus leeren Versprechungen, Zerwürfnissen, Schuldzuweisungen — und Stillstand. Das unübersichtliche Geflecht aus Zuständigkeiten und Tochterfirmen bei der Deutschen Bahn, häufig wechselnde Ansprechpartner, aber auch der finanzielle Aufwand haben Figge offenbar überfordert. Auch die Eigentumsverhältnisse sind kompliziert: der Stadt Köln gehören die angrenzenden Wege und die Straße unter den Unterführungen, und
auf dem Teilstück zwischen Gereonswall und Eintrachtstraße besitzen Anwohner private Parkplätze, die sie
im Zuge des Sanierungskonzeptes von der Stadt bekommen haben.

Auch Regina Börschel kennt die Misere. Die SPD-Politikerin in der Bezirksvertretung erzählt, die Stadtverwaltung habe Figge im Laufe der Jahre schon viele Brücken gebaut. »Als Grundlage für den notwendigen Bebauungsplan für das Areal wäre die Verwaltung schon froh, wenn Herr Figge ein Konzept vorgelegt hätte, wie die einzelnen Bahnbögen entwickelt werden sollen. Aber da kommt nichts.« Figge hingegen argumentiert, er brauche eine Durchwegung und Planungssicherheit.

Dem Vernehmen nach hat Lutz Figge das Gelände zu einem symbolischen Preis gepachtet und selbst nicht genügend Eigenkapitel, um es zu entwickeln. In einem der Bögen hat Figges Firma ein kleines Büro. Spricht man Figge auf den jahrelangen Stillstand an, redet er sehr schnell, sehr viel und sehr laut. Nachfragen lässt er nicht zu. Ein Mitarbeiter ist auskunftsfreudiger: »Unser Fokus liegt auf Ehrenfeld«, sagt er. »Zehn bis zwölf Bauanträge bekommt die Verwaltung dieses Jahr noch auf den Tisch. Oder spätestens 2020«. Aber wer will diesen Versprechungen nach all den Jahren des Stillstands noch glauben? 

Es gibt noch mehr Probleme im Viertel, die offenbar nicht zu lösen sind. Seit Jahren ist der Eigelstein Sperrbezirk, doch Prostitution gibt es noch immer. Es stehen keine Frauen mehr wie früher am Stavenhof, die Anbahnung hat sich in die Kneipen in Bahnhofsnähe verlagert. »Es sind überwiegend Frauen aus Bulgarien«, sagt Anne Rossenbach vom Sozialdienst katholischer Frauen (SKF). Mehrmals im Monat sind Mitarbeiterinnen des SKF am Eigelstein unterwegs, um Kontakt zu den Frauen zu suchen und Beratung anzubieten. »Viele sind unseren Mitarbeiterinnen länger bekannt, manche seit Jahren, aber es tauchen auch immer wieder neue Frauen auf.« Die Mehrheit der Frauen sei nicht drogenabhängig, sagt Rossenbach. »Es ist Armutsprostitution.«

 

Die Polizei sieht den Eigelstein nicht als Brennpunkt

Aber stimmt es denn, dass die Prostitution am Eigelstein zugenommen hat? Rossenbach sagt: »Die Zahl der Frauen schwankt ständig. Wenn irgendwo eine Armutswelle herrscht, dann macht sich das eben auch auf dem Eigelstein bemerkbar.« Allerdings ist seit Sommer 2018 das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft. Prostituierte müssen sich seitdem registrieren lassen. Rossenbach sagt, das Gesetz habe dazu geführt, dass einige drogenabhängige Prostituierte auf den Eigelstein zurückgekehrt seien — in der Hoffnung, dort der Registrierung entgehen zu können. Die meisten der bulgarischen Frauen seien ebenfalls nicht registriert, sagt Rossenbach. »Das können wir aber nur vermuten.« Sie warnt davor, in allen Männern, die vor den Kneipen herumstehen und südosteuropäisch aussehen, Zuhälter zu vermuten, wie es einige Anwohner tun. »Vielfach können es auch Männer sein, die als Tagelöhner auf Arbeit warten oder die in Köln gestrandet sind und versuchen, den Tag herumzubringen.«

Viele Anwohner haben das Gefühl, dass die Kriminalität im Viertel ansteigt. Doch die Polizeistatistik kann das nicht bestätigen. Im Gegenteil: die Zahl der Körperverletzungen, Taschendiebstähle und Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz ist in den vergangenen Jahren sogar gesunken — von insgesamt 173 erfassten Delikten im Jahr 2010 auf 141 in 2018. Zwar grenzt der Eigelstein mit Ebertplatz und Hansaring an zwei Orte, die von der Polizei als Brennpunkt definiert werden, weil sie »ein überdurchschnittlich hohes Deliktsaufkommen vorwiegend im Bereich der Straßenkriminalität« aufweisen. Das Eigelsteinviertel selbst aber gilt nicht als Brennpunkt. Auch von Clankriminalität oder einander bekämpfenden, rivalisierenden Gruppen ist der Polizei nichts bekannt. »Es gibt durchaus stärker vertretene Landsmannschaften wie Italiener und Bulgaren, die vor allem im Bereich der Prostitution auftreten. Hier ist jedoch keine organisierte Gruppenstruktur zu erkennen«, so ein Sprecher der Kölner Polizei.

Von all dem bekommt man im Savoy nichts mit. In dem schlichten Bau, von innen opulent ausgestattet, hat Gisela Ragge ihren eigenen »Savoy-Mikrokosmos« geschaffen. Vor 30 Jahren hat Ragge drei Etagen des Hauses übernommen, dann das gesamte Gebäude gekauft und seitdem stetig ausgebaut. Doch die eigentlichen Herausforderungen seien andere gewesen. »Meine drei Hypotheken waren Nord-Süd-Fahrt, Rückseite Hauptbahnhof und Eigelstein«, sagt Ragge. »Klar, wir haben hier den Dom zum Anfassen, aber auch Prostitution auf der Straße.« Ihr sei immer klar gewesen, dass es drinnen so schön wie möglich werden müsse. »Im Inneren ein Wellness-Gefühl zu schaffen, damit keiner raus schaut«, sagt Ragge. Doch schauen die Gäste heute aus ihrem Zimmer, erblicken sie Ragges neues Apartmenthaus am Eigelstein, das 2015 eröffnete. Und es soll weitergehen: Am südlichen Ende des Eigelstein sollen weitere fünf Apartments samt kleinem Lokal in einer Baulücke entstehen. Einerseits trägt Gisela Ragge dazu bei, den Straßenabschnitt aufzuwerten, andererseits hat sie auch festgestellt: »Viele Künstler mögen das hier, die haben eher Probleme mit einem durchsanierten und schick gemachten Viertel.« Einiges spricht dafür, dass es aber in diese Richtung geht. Gegenüber baut die Althoff-Kette ein »Urban-Loft-Hotel« mit 213 Zimmern und Co-Working-Space, nächstes Jahr schon soll das Haus eröffnen. Ragge fürchtet keine Konkurrenz. Im Gegenteil: »Das ist eine absolute Chance für schöne Restaurants, Kaffeebars, kleine Lädchen«, sagt sie. »Jetzt kann es ein junges, hippes Viertel werden.« Auch Ragge will hier Bäume statt Parkplätze haben. »Das ist kontemplativ«, sagt die Wellness-Expertin. »Und gut fürs Klima! Wir werden den Eigelstein verändern und etwas Großartiges daraus machen.«

Wenn es nach dem Bürgerverein geht, soll der Eigelstein nach der ersten Sanierung bald noch ein zweites Mal umgekrempelt werden, und diesmal radikal. »Erstmal sollen alle Parkplätze weg — und dann alle Autos. Wir wollen den Eigelstein am liebsten bis zur Machabäerstraße komplett autofrei«, sagt Wennemar. Sie glaubt, ihre Chancen stünden gar nicht schlecht: »Die Stadt zeigt sich gesprächsbereit und aufgeschlossen.« Alle Geschäftsleute am Eigelstein seien mit im Boot, vom Brauhaus Em Kölsche Boor über den Rewe-Supermarkt bis zu den schicken Hotels.

Regina Börschel von der SPD ist im Eigelstein-Viertel aufgewachsen und wohnt noch immer dort. Sie saß damals im Sanierungsbeirat und erlebt heute, wie nach und nach die Mietpreisbindung der einst sanierten oder neu errichteten Wohnungen ausläuft. Sie galt für 15 Jahre. Nun fürchtet Börschel, dass die Menschen durch rasant steigende Mieten doch noch verdrängt werden könnten. »Nur eine Milieuschutzsatzung kann jetzt helfen«, glaubt Börschel. Mit einem solchen Instrument könnte die Stadt stärker in den Immobilienmarkt eingreifen und etwa Luxussanierungen regulieren.

Bereits 2013 hat Börschel soziale Erhaltungssatzungen für verschiedene Innenstadt-Viertel gefordert, darunter auch den Eigelstein. 2016 beschloss die Verwaltung, ein solches Instrument erst mal nur für die Südstadt und Mülheim zu prüfen. Jetzt im November wird der Rat über den Entwurf für das Severinsviertel entscheiden, weitere Viertel sollen erst nach einer Auswertung in den Blick genommen werden. Börschel fürchtet: »Wenn wir die Ergebnisse der Südstadt abwarten, kann es für den Eigelstein schon zu spät sein.«

Börschel spaziert an der Kita vorbei Richtung Bahnbögen an der Eintrachtstraße. Hier, am Salzmagazin, war lange Zeit ein Parkplatz, jetzt wird er von der Hotelbaustelle als Abstellraum genutzt. Bald aber soll hier ein neuer Quartiersplatz entstehen, Ruth Wennemar vom Bürgerverein freut sich schon auf »den zweitschönsten Platz im Viertel nach dem an der Eigelsteintorburg«. Zurzeit können sich verschiedene Planungsteams bewerben, dann soll es eine Bürgerbeteiligung geben. Seine Bewerbung hat bereits angekündigt: Lutz Figge, Geschäftsführer der Bahnbögen AG. Er will dort ein Brauhaus im Bahnbogen unterbringen, dessen Außengastronomie sich beinahe über den gesamten Platz erstrecken soll. Börschel ist alarmiert: »Der Platz darf nicht daran scheitern, dass Figge wieder nicht in die Pötte kommt.«

Der Grünen-Politiker Jörg Frank ist nicht überzeugt, dass ein Quartiersplatz am Salzmagazin die beste Idee sei. Er hätte sich dort auch Bürobebauung für junge Unternehmen vorstellen können. »Ich vermute, auf dem Quartiersplatz geht es dann trotzdem um Prostitution und ein paar Drogen — nur eben aufgewertet mit schicken Parkbänken und etwas Begleitgrün.«