Bis der Reifen platzt: Anna Ternheim

Schön mutwillig

Wieviel Seele verträgt der Mainstream, fragt die Musik von Anna Ternheim

 

Eine Gruppe junger, schöner Menschen strömt an einen See. Was für ein perfektes Setting! Es ist Sommer, der See ist leer, unberührt, wie man so sagt, ein Steg ragt in den See, am Ende ein Gerüst, von dem aus man offensichtlich gefahrlos ins Wasser springen kann. Und ja, die jungen Leute sind wirklich schön, makellose, schlanke, sexy Körper.

Dazu singt Anna Ternheim »Still it’s a beautiful day/ As long as I’m with you«. Aber alles wird in Zeitlupe gezeigt und das Video ist schwarz-weiß, die Ternheim klingt auch nicht heimelig, sondern fordernd, Trommeln donnern im Hintergrund. Und siehe: Das Video wechselt zu »Farbe«, die Zeitlupe ist aufgehoben, die Musik setzt aus — irgendwas ist vorgefallen, man ­prügelt sich, böse Worte fallen (wir verstehen sie nicht, denn wir sind in Schweden), die Schlägerei wird immer heftiger. Dann wieder schwarz-­weiß, eine junge Frau geht ins Wasser, allein, es ist dunkel, sie sieht Sternschnuppen, was natürlich eine Parodie auf den Kitsch ist, und Ternheim singt »I don’t believe anything could tame the sky / We burned a fuse, at both ends«.

Anna Ternheim ist in ihrer schwe­dischen Heimat ein Star, die 41-jährige Singer/Songwriterin aus Stockholm ist seit 16 Jahren Profimusikerin, feierte in ihrer Heimat mehrere Nr.1-Erfolge und schaffte es auch schon in die deutschen Charts. Sie nennt als Vorbilder Bob Dylan, Tom Waits und (am passends­ten) Leonard Cohen, Filmmusik hat sie auch schon geschrieben, für ein Beziehungsdrama — natürlich. Bis hierhin sieht alles nach einer typischen M.o.R.-Karriere aus, middle of the road. Bis der Reifen platzt. Und er platzt, wie nicht nur »Still it’s a beautiful day« demonstriert.

Ihre Musik kann man durchaus als Innerlichkeitspop bezeichnen, wie er heute die Charts dominiert und längst von Jan Böhmermann parodiert wurde, easy targets. Aber innen brennt die Hölle, die Stimmen die in ihren Liedern sprechen, sind nicht mit sich im Reinen. Es gibt Gründe, der Idylle des guten Geschmacks, in der sie selbst ihre Songs hüllt — diese schön getupften Klavierakkorde! — zu misstrauen. Ternheim bringt das Phantasma des Mainstreams, der ästhetisch eine geordnete, matt glänzende Welt verspricht, eine Ikea-Welt eben, an seine Grenzen. Sie jagt ein Übermaß an Emotionen in durchaus konventionelle Songs und nimmt das Unheil, dass das Gefühlschaos anrichtet, in Kauf. Das hat sie tatsächlich mit ihrem Vorbild Cohen gemeinsam. Ob das jetzt besonders reflektiert ist? Keine Ahnung. Aber ihre Musik hat etwas mutwilliges, zu schönes Kinderspielzeug muss halt zer­brochen werden.

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