Drehen ohne Script: Tamer Jandali bei der Arbeit

Für die Freiheit arbeiten

In Easy Love zeigt Tamer Jandali halbdokumentarisch das Liebesleben von sieben hedonistischen Kölnern. Ein Porträt.

Tamer Jandali kommt direkt vom Züricher Film Festival — und umarmt im Hallmackenreuther am Brüsseler Platz erstmal den Chef: Er hat hier früher als Koch und als DJ gejobbt. Zur Gesprächsaufzeichnung fehlt mir eine Speicherkarte, Jandali empfiehlt einen Mobilfunkhändler um die Ecke — der erzählt mir, dass Tamer sein Hochzeitsvideo gedreht hat. Der in Bonn geborene Sohn eines syrischen Botschaftssekretärs und einer Deutschen ist also ganz Kölner. Dennoch hält man »Easy Love« allerorten für einen Berlin-Film, vielleicht weil er bei der diesjährigen Berlinale die Sektion Perspektive Deutsches Kino eröffnet hat, aber wohl auch wegen seiner urbanen Landschaften und dem Partykosmos, in dem seine Figuren unterwegs sind. So wollte Jandali auch die Stadt darstellen — ohne Dom und Postkartenmotive, eher mit Orten aus dem Nachtleben.

»Easy Love« beobachtet sieben junge Menschen aus Köln dabei, wie sie versuchen, ihr Liebesleben so autonom und offen wie möglich zu gestalten. Charmebolzen Sönke etwa arbeitet permanent an seinem Körper, um sein Selbstbewusstsein aus seinem Erfolg bei Frauen zu ziehen. Das Hetero-Paar Nick und Stella und die Frauen Lenny und Pia lieben sich — begehren aber auch andere, was zu Eifersucht und Verletzungen führt.

Den Vorwurf, seine Figuren, die laut Vorspann von »Easy Love« sich selber spielen, nach der Art von Reality-TV-Formaten vorzuführen, kennt Jandali, kann er aber nicht nachvollziehen: »Ich wollte keine Freakshow, sondern Tiefe erzeugen ohne Verletzung und Bloßstellung, menschlich und liebevoll.« Auf seinen Casting-Aufruf meldeten sich überwiegend Frauen, erzählt er — vor allem die Männer schreckten davor zurück, ihre verschiedenen Beziehungen offenzulegen.

Nichts wurde gescriptet — die Paare und Gefühle sind echt —, die Handlung ergibt sich entlang der real möglichen Entwicklungslinien und Wünsche der einzelnen. Bei dem intensiven Dreh gingen schnell die Rollen von Regisseur, Freund und Therapeut ineinander über. Bisweilen hat die Kamera auch Einfluss auf die gefilmte Realität, etwa wenn ein Liebhaber die Beziehung abbricht, um nicht in den Dreh involviert zu werden.

Diese Ebenen zu verwischen, empfindet Jandali als zeitgemäß — in einer Welt, wo die Handykamera permanent on ist und alle privaten Momente sofort in den sozialen Medien einsehbar sind. Wenn er Sex filmt — den die Protagonisten zeigen wollten —, dann überwiegt die Neugier gegenüber der Scham. In dem Bereich hat Jandali schon Erfahrung: In Beiträgen, die er für »Frau TV« oder in der WDR-Doku­reihe »Begehren« gemacht hat, erzählen Jungs und Mädels, Ältere und Jüngere über Selbstbefriedigung, Pornokonsum und Polyamorie.

Zum Film kam Jandali nicht auf dem geraden Wege: sowohl eine Ausbildung zum Heilpraktiker wie auch der Job auf einem Biobauernhof in Neuseeland führten zu Überdruss — der Nebenjob als Barmann war interessanter als die Alternativmedizin, und die Mischung aus Feldarbeit und Surfen war auf Dauer langweiliger als die spontane Mitwirkung bei einem Kurzfilmdreh.

Ins Studium schubste ihn dann der an der Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM) lehrende Videokünstler Marcel Odenbach, bei dem Jandali als Assistent wirkte. Es entstanden zwei Kurzfilme an der KHM: In »Bleizeichen« begegnen dem verkniffenen Julius im Drogenrausch einer wilden Neujahrsnacht die Abgründe der Stadt und seiner selbst; der sinistere »Schwarz­herz« zeigt einen Schornsteinfeger, der in fremden Wohnungen den Bewohnern nachspürt. Zweimal geht es um Köln — einmal von unten, einmal von oben — und um das Überschreiten von inneren und äußeren Barrieren. Was niemals ohne Risiko ist.

Auch die Figuren in »Easy Love« scheinen entlang von Abgründen
zu wandeln. Zum Beispiel Sophie, die für Geld Männer datet, um ihre Sexualität frei und selbstbestimmt zu leben, sich so aber erst recht zum Objekt macht. Für einige der Protagonisten verkehrt sich der ursprüngliche Impuls, am Filmexperiment teilzunehmen, ins Gegenteil: Aus der Neugier, die eigene narzisstischen und exhibitionistischen Neigungen auszuleben, erwächst für sie eine Sehnsucht nach Stabilität und Vertrauen. Zu viel Freiheit bedeutet auch ein ­Verharren in Unverbindlichkeit, Selbstbezüglichkeit, Einsamkeit.

Im Schnitt entschied sich Jandali gegen ein Happy End, aber auch dagegen, seine Figuren als Gescheiterte zu zeigen: »Es ist nicht einfach, nicht alles gut, aber es gibt Hoffnung, die Möglichkeit zu wachsen und weiterzugehen.« Dass der Film über seine Protagonisten hinaus als Porträt der Generation Y verstanden wird, liegt auch an der weitgehenden Abwesenheit von Familie und Eltern: Die Millennials finden keine Reibung mehr an einer Elterngeneration, die sich schon an sämtlichen Ideologien abgearbeitet hat. »Es wird einem nix geschenkt, man muss selber rauskriegen, worum es geht, und für die Freiheit auch arbeiten. Psyche, Seele, Geist kennenlernen«, sagt Jandali. »Das ist auch, was ich lernen will — für die Umwelt, das politische System, meine Beziehung. Wenn man das alles schleifen lässt, lebt man im Albtraum.«

Tamer Jandali verabschiedet sich, zuhause wartet seine Frau. Seit kurzem wohnen sie in Linz am Rhein, südlich von Bonn, um den Wohnraum für eine Familie mit drei kleinen Kindern bezahlen zu können. In Köln geht das nicht mehr, aber Linz ist echtes Rheinland, es gibt Karneval und Kölsch. Man behauptet, an klaren Tagen könne man den Dom sehen.

Filmbesprechung »Easy Love« siehe S. 66