Rio in den 40er Jahren: »A vida invisível de Eurídice Gusmão«

Rap und Rodeo

Kino Latino widmet einen Schwerpunkt dem trotz allem boomenden brasilianischen Kino

Den Blick auf die freie Fläche vor ihrer provisorischen Unterkunft gerichtet, werden Pläne geschmiedet. Was zuerst anbauen, wenn das Land erst verteilt ist? Camila Freitas’ Dokumentarfilm »Chão« zeigt das Leben von Landlosen auf einem besetzten Fabrikgrundstück im brasilianischen Bundesstaat Goiás. Die Bewohner der improvisierten Siedlung kämpfen auf den Straßen und in den Gerichten darum, das Grundstück im Zuge einer lokalen Landreform zugesprochen zu bekommen. Camila Freitas’ Film feierte auf der diesjährigen Berlinale Premiere und ist nun Teil des Brasilien-Fokus beim 12. Kino-Latino-Festival.

Die Filme verschränken die Darstellung des Lebens im Brasilien von heute mit einem Blick auf die politischen Verhältnisse. Camila Freitas zeigt, wie sehr die Aktivisten der Landlosenbewegung der Politik und den wirtschaftlichen Zuständen ausgeliefert bleiben. Karim Aïnouz’ im Rio de Janeiro der 40er Jahre spielender »A vida invisível de Eurídice Gusmão« ­handelt von zwei Schwestern, die sich den Rollenerwartungen einer ­patriarchalen Gesellschaft nicht beugen wollen. Aïnouz hält die Adaption des gleichnamigen Romans von Martha Batalha zeitlich leicht in der Schwebe und macht aus der Vergangenheit einen Spiegel der Gegenwart, ohne das allzu sehr in den Vordergrund zu rücken.

In »Querência« bedeutet ein Rinderdiebstahl eine Zäsur im Leben von Marcelo de Sousa. De Sousa arbeitet als Rinderhüter auf einer Farm in der brasilianischen Pampa. Nach dem Überfall sind nicht nur einige hundert Rinder weg, sondern scheinbar auch sein Lebenssinn. Er beginnt zu trinken, ist aus der Bahn geworfen worden. Doch ein neuer Cowboyhut und der Rap eines Bekannten bringen ihn auf eine Idee: Als Zeremonienmeister von Rodeo-Veranstaltungen findet Marcelo zu sich selbst zurück. Helvécio Marins Jr. erzählt realitätsnah die Geschichte einer Selbstfindung aus einer Krise heraus.

Diese drei Filme sind Beispiele für die Vielfalt des aktuellen brasilianischen Kinos — und drei gute Gründe, dieses Kino in den kommenden Jahren mit besonderer Aufmerksamkeit zu verfolgen. Die Verteilung von Land und Reichtum, die Kritik an Sexismus und Machismus, die vielfältigen populären Traditionen — all das sind Themen, die dem Land wohl auch in Zukunft erhalten bleiben und hoffentlich auch seinen Filmen, trotz rechtspopulistischer Attacken auf Kreative und die Filmförderung.

Mi 20.11.–So 24.11., Filmpalette.
Infos: facebook.com/kino.latino.koeln