Avery Singer, Ohne Titel, 2019 courtesy: the artist, Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin

Digitale Chimären

Schultze Project #2: Avery Singer schafft für das Museum Ludwig ein bezauberndes XXL-Tableau

Nanu: Ein Bild von 17 Meter Länge und dreieinhalb Meter Breite, also knapp 60 Quadratmetern, kann das zurückgenommen wirken, gar von Besuchern übersehen werden? Einige heben den Blick, andere eilen vorbei die Stufen hinauf Richtung Ausstellungsräume. Zu diesen gehört im Museum Ludwig allerdings auch das eigentlich völlig überdimensionierte Treppenhaus — die vertikale Hauptstraße, die die Besucher in die Stockwerke bringt.

Die 7-teilige Leinwand (Ohne Titel, 2019, Acryl auf Leinwand über Holzpaneele) ist ein Werk von Avery Singer. Die 1987 in New York geborene Künstlerin ist die zweite in der mit Wade Guyton begonnenen Reihe »Schultze Projects«, für die Künstler*innen speziell für diesen Ort eine Arbeit schaffen. Seit Mitte Oktober hängt Singers Cinemascope-Format an der großen Stirnwand oberhalb des Foyers und besticht mit verführerischer Oberfläche und geheimnisvoller Tiefenwirkung. Von oben kommend wird man gleichsam hineingesogen in einen Tiefblau bis Schwarz verdunkelten Bildraum, weiße Gitternetzlinien, die an die Hilfslinien eines 3D-Computerprogramms erinnern, suggerieren räumliche Körper. Man meint Figürliches zu entdecken, menschliche Gestalten, aus der Nähe verliert sich dieser Eindruck: Avery Singers Malerei ist abstrakt. Fast ist es schade, dass man der Lein­wand nicht ganz nah kommt, um deren Feinheiten heran zu zoomen.

Avery Singer ist weltweit bekannt für ihre großen Tableaus mit (ironischen) Bild-Zitaten aus Kunstgeschichte und Kulturleben. Sie entwickelt ihre Motive in digitalen 3D-Programmen wie SketchUp, überträgt die Entwürfe auf Leinwand und sprüht schließlich mit einer Airbrush-Pistole Acrylfarbe auf — ein oft monatelanger Prozess.

Singers Malerei könnte zeitgenössischer nicht sein, zum Namensgeber der Reihe »Schultze Projects« gibt es dennoch Verbindungen: So wie Bernhard Schultze (1915–2005), Kölner Pionier des gestisch-abstrakten Informel, die Malerei erneuerte und mit seinen phantastischen Migof-Skulpturen in die dritte Dimension erweiterte, erkundet Avery Singer, was Malerei heute sein kann. Und experimentiert dabei wie der späte Schultze mit XXL-Formaten. Das Ludwig, das seinen Nachlass verwaltet, startete im Gedenken an ihn 2017 die »Schultze Projects«. Wade Guyton und Avery Singer, die ersten beiden, machen Lust auf mehr.

Schultze Projects #2: Avery Singer, Museum Ludwig, bis 2021.