Bauch raus zum Protest: Ensemble-Netzwerk

Mehr als Rosen und Applaus

Das Ensemble-Netzwerk kämpft für faire Arbeitsbedingungen an Theatern — mit Erfolg

»Weniger Frust, mehr geiler Spaß am Theater!« Ein Brief mit dieser Forderung erreichte am 15. Februar 2015 die künstlerischen Betriebsbüros aller Theater in Deutschland. Die Verfasserinnen: Lisa Jopt und Johanna Lücke, Ensemblesprecherinnen des Oldenburger Staatstheaters. Sie appellierten, ihren Frust über prekäre Arbeitsbedingungen nicht mehr nur in der Garderobe oder abends in der Kantine herauszulassen — und bezeichneten den Tarifvertrag für Schauspieler öffentlich als einen Witz.

Ihr Aufruf, man solle sich unter dem Betreff »Mit freundlichem Verfluchen« melden, löste ein Welle der Solidarisierung aus. »Ich habe mehrere Jahrzehnte auf so etwas gewartet«, schrieb etwa ein Schauspieler, andere erklärten, der Brief habe ihnen aus dem Herzen gesprochen. Gemeinsam mit anderen Bühnenkünstlern gründeten Jopt und Lücke nur wenige Monate später das Ensemble-Netzwerk, ein freier Zusammenschluss von Bühnenkünstlern, angetreten mit der Forderung nach einer umfassenden Theater-Reform.

Denn wer als Schauspieler an einem deutschen Theater arbeitet, tut dies häufig unter prekären Bedingungen. »In den letzten 15 Jahren haben sich die Arbeitsverhältnisse durch massiven Stellenabbau und Sparmaßnahmen extrem verschlechtert«, sagt Schauspielerin Laura Kiehne, die ebenfalls beim Ensemble-Netzwerk aktiv ist. Gleichzeitig sollen mehr Produktionen entwickelt und gespielt werden. Auch internationale Organisationen wie »art but fair« weisen auf diese Entwicklungen seit Jahren hin. Wie etwa 2013, als die österreichische Mezzosopranistin Elisabeth Kulman, die Missstände in der »Oberliga« des Kulturbetriebs öffentlich machte. Ihre Kritik betraf vor allem die ersatzlose Streichung der Probengelder bei mehrwöchigen Opernproduktionen, außerdem würden kaum Ruhezeiten in den engen Terminplan eingeplant.

Dass sich auch nach diesem Vorwurf wenig geändert hat, zeigt eine Online-Umfrage, die 2016 von »art but fair« in Kooperation mit der Hans-Böckler-Stiftung veröffentlicht wurde: 40 Prozent der teilnehmenden Bühnenkünstler gab an, dass ihnen jährlich weniger als 10.000 Euro netto bliebe. Mehr als zwei Drittel beklagten, dass Proben oder die Zeit, um Texte auswendig zu lernen, nicht bezahlt würden. »Zehn bis 15 Stunden am Tag zu arbeiten, ist in unserem Beruf Normalität«, sagt auch Laura Kiehne. Manche Schauspieler würden sogar auf der Probebühne schlafen, um die gesetzlichen Regelungen zum Arbeitsschutz einzuhalten.

»Noch bis vor einigen Jahren betrachtete man die Schauspielerei als Lebenspassion, die sich jeglicher Regulierung entzieht«, erzählt Bruno Winzen, der als festangesteller Schauspieler am Stadttheater Krefeld beschäftigt ist. Auch in seinem Haus würde seit dem öffentlichen Druck durch das Ensemble Netzwerk an den Arbeitsbedingungen geschraubt. »Man achtet jetzt mehr auf die Einhaltung von Arbeitszeiten und tariflich festgelegte freie Tage.« An anderen nordrhein-westfälischen Stadttheatern, etwa in Oberhausen und Dortmund, hat man die Mindestgage, also das Einstiegsgehalt von Neueinsteigern, kürzlich von 2.000 Euro auf mindestens 2.300 Euro erhöht. Doch die Tarifverhandlungen gestalten sich schwierig: »Die Mindestgage ist zwar teilweise bereits gestiegen, doch die Bezahlung der älteren Schauspieler stagniert weiterhin«, sagt Laura Kiehne. Der Grund: Die finanzielle Förderung der Theater ist nicht mitgewachsen.

Als »radikalen Punk-Verein« bezeichnet Laura Kiehne das Ensemble-Netzwerk, weil man sich im Vergleich zum Arbeitgeberverband »Deutscher Bühnenverein« herausnehme, drastischere Forderungen gegenüber Ländern und Kommunen zu stellen. Dass die Förderung von Kultur auf kommunaler Ebene noch immer eine freiwillige Leistung ist, kritisiert Kiehne. »Dort kann beliebig gespart werden, weil die finanzielle Förderung eben keinen Vorgaben unterliegt.« Mit Aktionen wie »40.000«, bei der Theaterschaffende ihre Abgeordneten treffen, will das Ensemble-Netzwerk ihre Forderungen direkt an die Politik richten. »Am Theater leiden alle an den ­prekären Bedingungen, nicht nur die, die allabendlich auf der Bühne stehen.«

Um den aktuellen Stand der Theater-Reform zu diskutieren, kam Mitte Oktober das Ensemble-Netzwerk erneut an der Volksbühne in Berlin zusammen — zur vierten bundesweiten Versammlung. Neben Vorträgen über soziale Standards, wie Altersvorsorge und Arbeitslosenversicherung, standen dort auch Workshops auf dem Programm: Wie verhandelt man eine Gage? Welche Freiräume braucht es, um Proben kreativ zu gestalten? Und was hat die Nachhaltigkeit eines Theaters mit Bezahlung, Hierarchien und menschlichen Ressourcen zu tun? Auch ein »Argumentationstraining gegen Stammtischparolen« wurde angeboten. »Wir beobachten, dass rechte Parteien in den letzten Jahren immer stärker versuchen, Einfluss auf die an Theatern vermittelten Inhalte zu nehmen«, sagt Laura Kiehne. »Darauf müssen wir uns auch als Schauspieler vorbereiten, denn regieren sie in Kommunen erst einmal mit, werden sie auch existentielle Entscheidungen über die finanzielle Kulturförderung treffen.«