Sprache als Denkstütze: Bibi Bakare-Yusuf

Grenzen überschreiten, um Sprachen zu retten

Das Literaturfestival Crossing Borders zeigt die Polyphonie des Kontinents

Sprache ist ein Instrument der Macht. Sie ist nicht nur Träger, sondern auch Mitgestalter von kultureller Praxis und gesellschaftlichem Wissen. Doch was geschieht, wenn minoritäre Sprachen aussterben? Was sich bereits im Kolonialismus abzeichnete, setzt sich in Zeiten der Globalisierung fort: Die zunehmende Homogenisierung führt zur Dominanz einzelner linguistischer Gruppen. Vor allem einheimische Sprachen sind fortan vom Aussterben bedroht, und damit auch ihr kulturelles Erbe. Unsere Weltsicht wird durch Sprachpolitiken beeinflusst und läuft Gefahr immer eindimensionaler zu werden. Daher hat die UNESCO 2019 zum »Internationalen Jahr der indigenen Sprachen« erklärt.

Die Kölner Literaturreihe »Stimmen Afrikas« versucht bereits seit 2009 dem Verlust von Diversität entgegen zu wirken. Mit über 2100 Varianten ist Afrika der sprachreichste Kontinent unserer Erde, durch seine Kolonialgeschichte aber auch der kulturell gefährdetste. Noch wächst die Mehrheit der Bevölkerung mehrsprachig auf. Doch viele der afrikanischen Sprachen sind ernsthaft bedroht. Zur Wahrung der kulturellen Vielfalt, sagt die nigerianische Verlegerin Bibi Bakare-Yusuf, sind heterogene Sprachlandschaften unabdingbar: »Wenn wir das Denken dekolonisieren wollen, müssen wir mit der Sprache beginnen.«

Bibi Bakare-Yusuf ist Kuratorin des Festivals »Crossing Borders: translate – transpose – communicate«, das »Stimmen Afrikas« zum zehnjährigen Jubiläum veranstaltet. Literatur- und Kulturschaffende verschiedener Nationalitäten tauschen sich in unterschiedlichsten Veranstaltungsformaten über Mehrsprachigkeit, Diversität, Sprachpolitik und Wissenstransfer aus. Besondere Wertschätzung erfährt dabei die literarische sowie kulturelle Übersetzung, ohne die uns andere Welten wie der afrikanische Kontinent verschlossen bleiben würden. »Die Idee des Festivals ist es, mentale und kulturelle Grenzen zu überwinden«, erklärt die Gründerin Christa Morgenrath, »um auf den Reichtum der afrikanischen Sprachen aufmerksam zu machen«.

Angefangen hat alles auf lokalem Boden, und zwar vor zehn Jahren im Allerweltshaus Köln. Dorthin verschlug es die Literaturwissenschaftlerin Christa Morgenrath nach einem längeren Aufenthalt in Afrika. Beeindruckt von der Bibliothek afrikanischer Werke, beschloss sie dem deutschsprachigen Publikum die Kultur durch Lesungen näher zu bringen: »Ich bin immer literaturbegeistert gewesen und habe mir den Kontinent selbst, soweit es mit Literatur möglich ist, auch durch das Lesen erschlossen.« Seither ist die Veranstaltungsreihe stetig gewachsen und hat sich mit ansteigenden Gäste- und Besucherzahlen auf weitere Spielstätten der Stadt verteilt. Durch die Zusammenarbeit mit dem kenianischen Schriftsteller Ngũgĩ wa Thiong‘o erfolgte 2017 sogar die erste Publikation: ein Essayband über die »Dekolonisierung des Denkens«. In den vergangenen zehn Jahren habe man somit das Anliegen verwirklicht, mit den »Stimmen Afrikas« in Deutschland ein anderes, von negativen Stereotypen befreites Afrikabild mitzuprägen.

Die eigene Geschichte neuschreiben, will auch die Verlegerin Bibi Bakare-Yusuf: »Die Verlags­arbeit ist ein gesellschaftsbildendes Projekt, das eine gewisse Macht über die Produktion alternativer Narrative besitzt.« Daher gründete die Nigerianerin 2006 die Cassava Republic Press, eines der heute wichtigsten afrikanischen Verlagshäuser zur Förderung einheimischer Literatur. Statt auf Veröffentlichungen in der Mehrheitssprache Englisch, konzentriert sich Bakare-Yusuf auf Publikationen in indigenen Sprachen wie Hausa oder Yoruba. Das Publikum für die Literatur lokaler Schriftsteller*innen wachse zunehmend und könne einen völlig neuen Markt für Ver­leger und Übersetzer generieren, sagt sie. Die Menschen in Afrika seien hungrig nach eigener Literatur. Und auch wenn das Patriarchat ein Ungleichgewicht zwischen weiblicher Leserschaft und männ­licher Autorenschaft, zwischen Konsumenten und Produzenten eines alternativen Narrativs befördere, hofft die Genderforscherin im Kanon der Weltliteratur auf Gehör für die einheimischen ­Stimmen.

»Den Autor*innen Afrikas zu helfen, durch das Denken der Zukunft die Gegenwart selbst mit zu gestalten« — das sei die wichtigste Arbeit des Literaturfestivals, so Bakare-Yusuf. Passend dazu wird zum Jubiläumsfest der Sammelband »Imagine Africa 2060« vorgestellt, in dem zehn Autor*innen Utopien zur Geschichte des afrikanischen Kontinents 100 Jahre nach der Unabhängigkeit entwerfen. Sich in der Muttersprache aus­drücken und fühlen zu können, so Mitherausgeberin Christa Morgenrath, sei nicht nur ein grundlegendes Menschenrecht, sondern auch die demokratische Bedingung des sozialen Friedens. Damit die Vielfalt der Kulturen und ihrer Sprachen seine Gleichberechtigung findet, muss man den »Stimmen Afrikas« ihre originalen Stimmen zurück­geben, sie über die Grenzen hinaustragen und mit den bisher dominierenden Stimmen in einen Dialog setzen.

Stadtrevue PRÄSENTIERT, Literaturfestival Crossing Borders, 6.11.–9.11., diverse Orte, mehr Info: crossingborders-stimmenafrikas.de