Feine Ironie ist sein Ding

Eamon Hamill und sein Kölner Label »The Strategic Tape Reserve« verhelfen den Magnetbändern zum Comeback

Was haben analoge Kompaktkassetten und Netzmusik miteinander zu tun? Nun, der Online-Musikdienst Bandcamp verzeichnete im Jahr 2016 erstmalig einen Anstieg der Tape-Verkäufe um etwa 50 Prozent. Zahlreiche auf Tapes spezia­lisierte, unabhängige Labels nutzen diese Plattform mittlerweile für den Vertrieb.

Musikliebhaberinnen und -lieb­haber dieses speziellen Formats gibt es also nach wie vor, und neben der so schön rauschenden Kassette und dem hübschen Cover ist die Musik zum Download oder Streamen verfügbar. Es handelt sich heute offenbar nicht mehr nur um Menschen, die mit der Kassette aufwuchsen oder gar um Nostalgiker: »Ich habe viele Leute um die 20 getroffen, die heute Tapes kaufen oder veröffentlichen, und die 80er vermutlich nicht kennen«, erzählt mir Eamon Hamill, dessen Label The Strategic Tape Reserve Anlass unseres Treffens ist.

»Das Tape ist als Medium für Musik total unpraktisch und definitiv nichts, womit man heutzutage noch jemanden auffallen ließe. Auf Tapelabels findet man eher eine Menge besonders ungewöhnliche Musik, vieles, was sich nicht leicht einordnen lässt. Ich denke also, dass viele Tape-Käufer genau das su­­chen.« Trotz der wieder steigenden Popularität sind Tapes nach wie vor eine Nische, bestätigt Hamill: »Ich denke, fast alle Tapelabels heute werden von Leuten betrieben, die das ausschließlich aus Liebe zur Musik tun — das Herausbringen eines Tapes ist ziemlich günstig, besonders im Vergleich zu Vinyl. Strategic Tape Reserve ist sehr DIY — ich mache den größten Teil des Designs, das Überspielen etc. selbst, dadurch komme ich recht schnell in bescheidene schwarze Zahlen.«

Es brauchte übrigens ein wenig Zeit, bis ich das Label und seinen schrägen Humor verstand: Kryptische Botschaften in Tweets und Blogposts, merkwürdige Videos und Bilder auf Youtube und Instagram. Wie passt das zur veröffentlichten, durchweg differenzierten Musik, die von seltsamer, leiernder Elektronik über Noise und Improvisation bis zu Elektroakustischem und selten gehörten Klängen reicht?

Hamill verschleiert das gesamte Erscheinungsbild seines Labels. Es kommt wie ein konservatives, etwas zwielichtiges, bürokratisches Etwas mit verschroben-unternehmerischem Anspruch daher. Dass Hamill dabei die häufig professionell-zeitgemäße PR-Sprache anderer Labels oder gar der Musikindustrie so charmant wie respektvoll karikiert, erschließt sich erst ein wenig später.

»In Sachen Verpackung, Liner Notes, Konzept und Kommunikation glaube ich, dass STR einen eige­nen Stil hat. Für mich ist es sehr wichtig, dass sich das Label nicht wie ein Job anfühlt — ich habe bereits einen. Ich versuche also, etwas Spaß damit zu haben. Insofern neigt das Label dazu, zu allem einen stilisierten, strengen, wortreichen, etwas finsteren Ton zu haben. Wenn ich das alles profes­sioneller und ernsthafter machen müsste, würde mir das ziemlich schwer fallen«, sagt der aus New Jersey stammende und hier in Köln lebende Labelbetreiber.

Feine Ironie ist sein Ding: Es sei ziemlich schwierig, in jeder Stadt so um die 50 Leute zu finden, die sich für schräge elektronische Musik interessieren, die auf einem obsoleten Lo-Fi-Medium veröffentlicht wird. Dennoch ist die Nachfrage so groß, dass er die Tapes seiner internationalen Künstler in die USA, nach Großbritannien und in ganz Europa verschickt — natürlich auch in Deutschland selbst. Bandcamp, Blogs und Soziale Netzwerke sind für Tapelabels zentrale Plattformen, und in der Szene unterstütze man sich gegenseitig: »Meiner Erfahrung nach sind viele der anderen Menschen, die Musik auf Kassette veröffentlichen, sehr offen und hilfreich. Die An­sprü­che sind so gering und es geht um so wenig Geld, dass da nicht viel Platz für Wettbewerb oder Ego ist«, konstatiert Hamill.

Gestartet hat er das Label im Jahr 2013 um die Musik von Freunden und seine eigene herauszubrin­gen — Hamill performt als VLK und zollt hier Plunderphonic-Künstern wie People Like Us großen ­Respekt, als Emerging Industries of Wupper­tal ist er stark beeinflusst von Kraut­rock und New Wave.

Als VLK performte er bereits mit dem Kölner Ambient Noise-Produzent, Synth-Frickler und Youtuber The Tuesday Night Machines auf dem Platine-Festival 2015. Dessen neues Album Roof Tent Rhythms erscheint am 29. November auf Strategic Tape Reserve. »Es ist ein Beat-Tape, das er während einer Europareise mit einem batteriebetriebenen Sampler in einem Zelt auf dem Dach seines Autos aufnahm. Das Tape wird in Zeltplane verpackt sein«, erklärt Hamill. Ich durfte es schon hören: Eingängig und doch schräges Zeugs, das zu hören sich lohnt, sicher nicht nur wegen des Tapeformats und der Verpackung.

Abschließend interessiert mich noch, warum er alle Veröffent­lichun­­­gen unter einer Creative Commons-Lizenz veröffentlicht: »Offen gesagt ist das etwas, worüber ich nicht viel nachgedacht habe und besser informiert sein sollte. Aber so wie ich es verstehe, stimmt CC mit meinen per­­sönlichen Ansichten überein.« Bei aller fiesen Tape-Bürokratie ist der CEO der Strategic Tape Reser­ve of­­fen­sichtlich doch sehr pragmatisch.

Eine ungekürzte, englischsprachige Fassung des Interviews mit Eamon Hamill sowie Streams der STR-Releases, Tapeblog-Links und vieles mehr findet ihr auf marco.trovatello.net