X-Man auf Autorenthron: Marlon James | Foto: Felix Clay

»Ich wollte keinen westlichen Roman in Brownface schreiben«

Marlon James hat mit »Schwarzer Leopard, Roter Wolf« einen postkolonialen Fantasyroman geschrieben

Auch in »Schwarzer Leopard, Roter Wolf« gibt es Riesen und Hexen. Aber ansonsten ist in diesem Fantasy-Roman des US-jamaikanischen Autors Marlon James nichts so, wie man es erwartet. Nachdem er 2015 den Booker-Preis für »Eine kleine Geschichte von sieben Morden«, ein Roman über den Mordversuch an Bob Marley, gewann, hat James nun ein Epos geschrieben, das gut in die zeitgenössische Landschaft von Fantasy-Literatur passt. Die Zeit des weißen Ritters, der ein gesellschaftliches Idyll vor dem Untergang rettet, ist dort längst vorbei: Auenland ist abgebrannt. Die Hauptfigur von James’ Roman ist »der Sucher«, eine mythische Figur, die den Charakter eines Menschen mit seiner Nase erschnuppern kann. Als Söldner sucht er ein verschwundenes Kind. Gleich im ersten Satz enthüllt er, dass die Suche erfolglos bleiben wird: Das Kind ist tot. Dennoch schickt James seine Hauptfigur quer über den Kontinent. Die Suche rückt in den Hintergrund, die Entwicklung des Suchers in den Vordergrund. Er wird zum Adoptivvater von Waisenkindern, verliert ein Auge im Kampf mit Hyänen und verliebt sich in seinen Begleiter, einen »schwarzen Leoparden«, der seine Form wandeln kann: Mal ist er ein Mann, mal ein Raubtier.

Herr James, Ihr neues Buch »Schwarzer Leopard, Roter Löwe« ist ein Fantasyroman, der in einem prä-christlichen Afrika spielt. Warum haben Sie dieses Szenario ausgewählt?

Ich wollte eine Geschichte erzählen, die Fantasy ist, aber für jemanden vom afrikanischen Kontinent wie eine historische Darstellung wirkt. Wir in Europa haben jahrhundertelang das Christentum für so selbstverständlich gehalten, dass wir eine Geschichte aus den Evangelien als historisch betrachtet haben. Wenn man diesen Maßstab für jemanden aus Mali anlegt, der etwas Historisches erzählt, erhält man etwas, das uns wie Fantasy vorkommt. Wenn man einem Yoruba einen magisch-realistischen Roman von Gabriel Garcia Marquez zum Lesen gibt, wird er fragen: »Wo in diesem Buch finde ich denn die Magie?«

Ihr Roman bedient sich ausgiebig bei Figuren aus der afrikanischen Mythologie.

Viele Fantasyromane lassen die Ethnie ihrer Figuren zwar offen, aber beziehen sich trotzdem auf europäische Mythen wie die Geschichte von Thor und Odin. Ich liebe diese Mythen, aber ich wollte keinen westlichen Roman in Brownface schreiben. Also habe ich auf west-afrikanische Ursprungsmythen zurückgegriffen und die Geschichte der äthiopischen Königshäuser studiert. Ich habe den Sundiate-Mythos aus Ghana gelesen, auf dem der Film »König der Löwen« basiert. All diese Geschichten sind der Hintergrund für mein Buch, auch wenn ich sie nicht eins zu eins zitiere.

»Schwarzer Leopard, Roter Wolf« wird aus der Sicht der Hauptfigur, dem »Sucher«, erzählt. Ich habe mich damit etwas schwergetan, denn beim Lesen muss man sich die Welt des Romans aus seinen Geschichten zusammenpuzzlen.

Ich schreibe nicht gerne in der dritten Person, weil ich meine eigene Erzählstimme nicht mag, sondern mich für die Stimmen anderer interessiere. Ich wollte nicht diese Art von Geschichte schreiben, die klingt, als würde sie ein alter Mann aus dem Wald erzählen. Sondern eine sinnliche Geschichte, eine lebendige, undergroundige Geschichte, die so wirkt als sei jemand mittendrin gewesen und nicht außerhalb des Geschehens. Zudem war der Ich-Erzähler in »Schwarzer Leopard, Roter Wolf« auch ein sehr bewusster Versuch, das Buch zu dekolonisieren und nicht für den weißen, kolonialistischen Blick zu schreiben. Es ist mir auch schwer gefallen, auf Englisch zu schreiben, was ja die Sprache der Kolonisatoren ist.

Das merkt man dem Buch nicht an. Besonders die queere Sexualität Ihrer Hauptfiguren ist mit großer Selbstverständlichkeit geschrieben. Der Sucher und der Leopard werden im Laufe der Geschichte sogar ein Paar. Steckt dahinter eine politische Aussage?

Es ist sehr leicht für Leute außerhalb Afrikas und auch für manche auf dem Kontinent, zu sagen: Queerness, Homosexualität und Nicht-binäre Geschlechter sind nicht afrikanisch. Aber diese Haltung ist neu, sie imitiert das evangelikale Christentum. Je mehr man in die Geschichte Afrikas zurückgeht, desto klarer wird: Trans*identitäten, Queerness, Nicht-Binarität — das hat es dort immer gegeben. Es gibt etwa die mythische Figur der Shoga: Männer, in denen eine Frau wohnt. Und erst neulich habe ich einen Workshop für Schwarze Amerikaner gegeben und sie darauf hingewiesen, dass es in vielen afrikanischen Sprachen selbstverständlich ist, geschlechtsneutrale Personalpronomen zu verwenden, was ja auch viele Trans*personen tun.

Sie sind selbst schwul, in Ihrer Heimat Jamaica ist Homophobie sehr verbreitet. Hat Ihnen Fantasy-Literatur beim Aufwachsen geholfen?

Ich habe vor allem Fantasy-Comics gelesen, denn Fantasy-Romane wie »Der Herr der Ringe« waren nur etwas für Kinder mit reichen Eltern. Als ich das erste Mal X-Men gelesen habe, habe ich bemerkt: Die X-Men retten Menschen, die einen töten wollen, sobald man sie gerettet hat. Ich wurde in der Schule gemobbt, weil ich das queere Kid war, das die beliebten Kids nicht mochten. Aber ich habe immer die Hausaufgaben für sie gemacht. Ich habe Menschen geholfen, die mich verletzen wollten. Ich habe eine Welt beschützt, die mich hasst: Oh mein Gott, ich bin ein verdammter Mutant. Wie die X-Men.

Marlon James: »Schwarzer Leopard, Roter Wolf«, Heyne Hardcore, 832 S., 28€