Demonstrieren im Dauerregen: Kurdische Demo auf den Ringen

Keine Heimatfront

Seit Oktober führt die Türkei Krieg gegen kurdische Gruppen in Nordsyrien. In Köln wird deshalb demonstriert. Die Polizei warnt vor Auseinandersetzungen, aber Kölner Türken und Kurden bemühen sich um eine friedliche Konfliktlösung.

Freitagabend am Hauptbahnhof Köln, Mitte Oktober. Es ist der Vorabend der Großdemonstration gegen den Einmarsch der Türkei in Nordsyrien. Aus dem Bahnhof strömen die Pendler und werden begrüßt: von Fahnen der kurdischen Miliz YPG. Seit mehr als einer Woche versammeln sich hier kurdische Gruppen. Heute sind etwa 100 Menschen gekommen. »Man muss einen Tag als Kurde leben, um die Kurden zu verstehen«, sagt Adnan, der die Versammlung angemeldet hat. Seinen Nachnamen möchte er lieber nicht in der Zeitung lesen.

Adnan arbeitet als Sozialarbeiter in Köln, seine Familie kommt aus einem türkischen Dorf im Grenzgebiet, nahe der syrischen Stadt Kobane. »Ich schaue jede freie Minute aufs Handy«, sagt Adnan. Er liest Nachrichtenportale und telefoniert mit Freunden, die südlich der Grenze gewohnt haben. Sie sind mittlerweile ins 100 Kilometer entfernte Raqqa geflohen. »Ich fühle mich hilflos«, sagt er. »Wir sind bestürzt, dass wir alleine gelassen werden.« »Wir«, das sind die Kurd*innen, auch wenn sie wie Adnan in Deutschland aufgewachsen sind. Unsicher fühle er sich in Köln nicht, sagt er, auch wenn er bestimmte Ecken meide, wo sich ultranationalistische Türken treffen. Aber die Solidarität der Kölner Bevölkerung mit der Mahnwache sei groß, berichtet Adnan. »Die Leute sagen: Erdoğan ist ein Diktator.« Nur Politiker*innen hätten sich nicht blicken lassen.

Auch Memo Şahin hat seine Erfahrungen mit der deutschen Politik gemacht. 1996 hat der 60-jährige Friedensaktivist einen Aufruf für eine gewaltfreie Lösung des Kurdistan-Konflikts initiiert, den unter anderem Günter Grass, Jürgen Habermas und Joschka Fischer — bevor er Außenminister wurde — unterschrieben. Heute ist Şahin ehrenamtlicher Geschäftsführer eines Dialog-Kreises für eine politische Lösung des Konflikts. »Wir haben uns einen Dialog gewünscht, aber es kam ein Monolog heraus«, sagt er. Die türkischen Gruppen in Köln und NRW hätten kein Interesse gezeigt. Das war mal anders. »In den 90er Jahren hatten wir viel Kontakt mit islamischen Gruppen wie Mili Görüs«, sagt Şahin. Die islamischen Parteien waren damals in der Opposition. 2002, nach dem Wahlsieg von Erdoğans AKP, haben Şahin und andere ein Memorandum für die Lösung der Kurdenfrage in Ankara präsentiert. »Danach haben wir nie wieder etwas von denen gehört.«

Şahin wohnt seit 1983 in Köln. Etwa 60 Prozent der 100.000 Kölner Migranten aus der Türkei seien Kurden, schätzt er. Fast alle von ihnen hätten jemanden in der Familie, der im Kurdistan-Konflikt vertrieben oder getötet worden sei. »Es gibt unter den Kurd*innen Klagelieder, mit denen auch ich aufgewachsen bin«, sagt er. Aber auch heute, während der Konflikt wieder gewalttätig wird, fühlt er sich in Köln sicher: »Es gibt Provokationen, aber die gehen nur von kleinen Gruppen aus.« Die türkisch-kurdisch geprägten Straßenzüge — die Weidengasse in der Nordstadt oder die Keupstraße in Mülheim — meidet Şahin dennoch. »Das sind rein ethnische Straße. Wir müssen uns mischen.« Er selbst geht lieber an Schulen, um den Kurdistan-Konflikt zu erläutern und eine Gegenerzählung zur Propaganda aus den Kriegsgebieten zu bieten. »Die Schüler*innen sind hier geboren. Wenn man ihnen den Konflikt mit einfachen Worten erklärt, dann verstehen sie das«, sagt Şahin.

Meral Şahin führt ein Geschäft an der Keupstraße in Mülheim. Die 48-Jährige verkauft dort Dekoration für Hochzeiten: Herzen aus Holz, Brautsträuße aus Stoff, Glückwunschkarten. Auch der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan habe Deko bei ihr geordert, bevor er 2007 in der Kölnarena sprach. Şahin hat ein Foto an der Wand hängen, das sie mit Erdoğan zeigt. Aber jetzt muss sie los und spontan eine Führung über die Keupstraße geben. Meral Şahin ist Sprecherin der IG Keupstraße, die die Einzelhändler vertritt. Vor dem Geschäft von Hasan Emektar stoppt sie kurz. Der Deutsch-Kurde verkauft dort Musik und Bücher. Heute aber ist die Tür verschlossen — Emektar hat eine Virusinfektion.

An der Keupstraße versuche man, die politischen Konflikte in der Türkei außen vorzulassen. »Der Keupstraße wurde schon viel nachgesagt««, erzählt Meral Şahin. »Erst ist sie in kurdischer Hand, dann in türkischer, dann wieder sind hier nur Anhänger der einen politischen Richtung in der Türkei. Ich meine: Hallo?!« Und dann macht sie ein Geräusch, als würde ihr Kopf explodieren.

Allerdings: Bis in die Nuller Jahre kam es auf der Straße oft zu Auseinandersetzungen zwischen nationalistischen Türken und Anhängern der kurdischen Arbeiterpartei PKK. 2016 prügelten 50 kurdische Männer einen damals 38-jährigen Türken krankenhausreif, weil er das Logo der rechtsextremen »Grauen Wölfe« auf sein Auto geklebt hatte. »Der Angriff hatte nichts mit der Keupstraße zu tun«, sagt Meral Şahin. Der Vorfall sei nach einer kurdischen Demo passiert, das Kulturzentrum der »Grauen Wölfe« ist zudem ein paar hundert Meter von der Straße entfernt.

»Das friedliche Miteinander steht auf der Keupstraße im Vordergrund«, erzählt Meral Şahin. Eine Schlüsselrolle spielt dabei der Nagelbomben-Anschlag des NSU im Jahr 2004. Die Polizei hatte damals die Täter an der Straße selbst gesucht und auch vermutet, dass der Konflikt über die Rechte der Kurden eine Rolle gespielt haben könne. Das habe für viel Misstrauen unter den Anwohnern und Geschäftsleuten gesorgt — nach der Selbstenttarnung des NSU 2011 sei man aber wieder zusammengerückt.

23 Demonstrationen gab es seit dem Einmarsch der Türkei bis zur ersten Novemberwoche. Sie waren überwiegend friedlich, lediglich am 16. Oktober kam es laut Innenministerium zu Beleidigungen und Körperverletzung zwischen kurdischen und türkischen Demonstranten. Am Tag vor der Groß-Demo gab Polizeipräsident Uwe Jacob eine Warnung heraus. Seine Behörde rechne mit »mehreren Tausend« gewaltbereiten Jugendlichen. Am Tag selbst bleibt die Demonstration laut Polizei »weitgehend friedlich«. Nur wegen Pyrotechnik musste sie kurz angehalten werden. Am Montag darauf rechtfertigte sich Jacob. Die Taktik der Polizei sei aufgegangen: »Das hat zumindest einen Teil der Szene abgehalten, nach Köln zu kommen« Das hätten Gespräche mit »den Diensten« ergeben. »Wir können aber nicht sagen, wie viele das abgehalten hat und wie viele der Regen abgehalten hat«, so Jacob.

Die deutsch-kurdische Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz (Grüne) aus Köln überzeugt das nicht: »Auf Grundlage welcher Erkenntnisse die Polizei Köln die Erklärung abgegeben hat, bleibt weiterhin rätselhaft.« In den kurdischen Communitys habe die Polizei mit der öffentlich angekündigten Verbotsdrohung für Unruhe gesorgt. Schon 2018 wurden einige kurdische Demos von der Polizei verboten. Im Nachgang hat sich das Verbot als nicht rechtmäßig erwiesen. »Gerade in so einer emotionalisierten Situation muss die Polizei mit entsprechender Sensibilität handeln«, sagt Aymaz. »Das Vertrauen der kurdischstämmigen Menschen in unsere freiheitlichen Grundrechte und in unseren Rechtsstaat darf nicht erschüttert werden.«

Am Tag der Großdemonstration steht Memo Şahin am Chlodwigplatz. Mehr als 15.000 Demonstrant*innen wurden erwartet, am Ende werden es 10.000. Am Chlodwigplatz sind nur 1.000 zusammengekommen. Er sei enttäuscht, gesteht Şahin. »Diese Scheiß-Kurden! Sollen die doch woanders demonstrieren«, flucht eine junge Frau im rheinisch-türkischen Akzent, als sie an ihm vorbeigeht. Niemand beachtet sie.