»Die Welt ist eine Selbsthilfegruppe«

Am 29. November findet der nächste globale Klima-Streik statt. Im ­September sollen sich allein in Köln 70.000 Menschen versammelt haben, um für den Klima­schutz zu demonstrieren. Wir haben Kölns Umweltdezernent Harald Rau mit Klimaaktivisten von Fridays forFuture, Scientists for Future und Extinction Rebellion an einen Tisch gebeten. Ein Gespräch über ehrgeizige Klima-Ziele, Angst vor Verzicht, CO2-intensive Lebensstile und Aktionen am Rande der Legalität

Herr Rau, was tun Sie als Umweltdezernent, damit Köln seinen Beitrag leistet, den Klimawandel abzufedern?

Harald Rau: Ich bereite zurzeit einen Fahrplan für die Klimaneutralität vor, ein Projekt, das
sich bis zum Jahr 2050 erstrecken wird. Eine Beschlussvorlage für den Rat der Stadt muss von allen Dezernaten mitgetragen werden. Ich werbe dort gerade für dieses Projekt. Sie können sich vorstellen, dass ich dabei ehrgeizigere Ziele verfolge und Zielkonflikte auftreten.

Wir leben in Köln laut Ratsbeschluss im Klimanotstand. Was hat das bislang bewirkt?

Rau: Na ja, das Thema wird jetzt in Verwaltung und Politik als wichtig wahrgenommen. Ich kenne aber bislang keine Beschlüsse, die einen Wandel in der Klimapolitik mit größerer Entschiedenheit konkretisieren. Der Entwurf der Formulierung zum Klimanotstand war mein Aufschlag; aber mein Text ist natürlich im Rahmen der Verwaltungsabstimmung verändert worden. Jetzt steht dort auch ein Satz, der hellhörig macht: »Dabei sind konkurrierende Zielsetzungen zu berücksichtigen.«

Wer konkurriert da mit der Klimaneutralität?

Rau: Ganz viele, allen voran die Finanzen. Wenn der städtische Haushalt saniert werden soll, aber die Klimaneutralität jährlich eine halbe Milliarde Euro kosten würde, kollidiert das. Aber auch die Vorstellungen, wie wir eine Energiewende schnell, wirksam und sozialverträglich gestalten können, gehen auseinander. Ich trete auch in meiner Verantwortung sowohl für das soziale als auch das ökologische Köln dafür ein, dass die von uns verlangten Anstrengungen sozial gerecht, aber gleichzeitig wirksam genug sein werden.

Wie soll mit Ihrem Projekt die Klimapolitik nun konkreter werden?

Rau: Wir streben in Übereinstimmung mit der Bundesregierung und dem Pariser Klimaschutzabkommen an, die Emissionen Kölns bis 2030 im Vergleich zu 1990 zu halbieren, also nur noch 6,1 Mio. Tonnen pro Jahr auszustoßen. Wir haben 30 Jahre gebraucht, um eine Reduktion von 2 Mio. Tonnen auf jetzt noch
10 Mio. Tonnen zu schaffen; in den kommenden nur noch 10 Jahren müssen wir weitere 4 Mio. Tonnen realisieren. Allein die Mobilität erzeugt aber jährlich Emissionen von 2,5 Mio. Tonnen. Das heißt, selbst wenn wir den kompletten Verkehr stilllegen würden, reichte das nicht aus.

Woher nehmen Sie dann den Optimismus, es zu schaffen?

Rau: Erstens hat die Bundesregierung dieses Ziel als ihres erklärt; auch wenn Fachleute sagen, dass ihre Maßnahmen nicht ausreichen und nachgeschärft werden muss. Zweitens hat der Rat den Klimanotstand ausgerufen. Drittens haben wir in einem Jahr Kommunalwahlen, und die Politik realisiert, dass es öffentlichen Druck gibt.

Herr Mayer, ist Ihnen nicht selbst das ehrgeizige Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein, noch zu wenig?

Sebastian Mayer: Diese Pläne sind aus dem Bericht des Weltklimarats (IPPC) abgeleitet, wo man sich noch am dem Ziel orientiert, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu beschränken. Das 1,5-Grad-Ziel wäre noch ambitionierter. Die gesamte Gesellschaft wollte das jahrzehntelang nicht wahrhaben — nicht nur Politik und Unternehmen, sondern auch wir Bürger. Dabei sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse seit den 80er Jahren klar. Wir alle hatten es in der Hand, Transformationspfade einzuschlagen, die bequem gewesen wären. Jetzt wird es leider sehr anstrengend werden.

Was schlägt die Wissenschaft vor?

Mayer: Es lagern tonnenweise Konzepte in den Schubladen: wie die Stadtentwicklung aussehen muss, welche Möglich­keiten wir haben, unser Energiesystem umzubauen — aber es betrifft den Kern unseres Wohlstandsmodells. An manchen Stellen werden wir verzichten müssen, an anderen Stellen vielleicht nicht, oder wir merken, dass Verzicht nur eine Frage des Lebensstils ist. Wir brauchen ein gesellschaft­liches Klima, in dem wir bereit sind, diesen Weg zu gehen.

Aber selbst wenn es nur eine Frage des Lebensstils wäre — gerade in diesem Punkt sind die Menschen sehr beharrend!

Rau: Die Anforderung ist so groß, dass wir es ohne eine deutliche Lenkung durch die Politik nicht schaffen werden. Wenn wir die Transformation geschafft haben, werden wir in einer guten Welt leben, uns wird es richtig gutgehen — aber dieser Weg wird steinig sein. Den schaffen wir nicht nur über Lockangebote. Da muss es deutlichen Druck geben, Gesetze, Steuern, Preisanreize.

Also auch Proteste. Frau Ajlan, was hat Fridays for Future erreicht, außer sehr viel Aufmerk­samkeit?

Padma Ajlan: Das Klima-Paketchen der Bundesregierung (lacht). Das war der wohl kleinste Erfolg und auch enttäuschend, da das Paket noch lange nicht ausreicht. Aber viele Menschen wissen jetzt, was abgeht. Viele würden sonst nicht daran denken, was passiert, wenn man zum Beispiel Auto fährt, weil man das einfach immer schon getan hat. Wir haben geschafft, dass unglaublich viele Menschen weltweit nachdenken, welche Konsequenzen ihr Handeln hat — auch für ihre eigene Zukunft.

Aber haben die Proteste nicht auch zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt? Viele Menschen sind schon genervt von den Klimaprotesten und der Kritik an ihrem Lebensstil, es entwickelt sich Trotz, nicht nur Einsicht.

Ajlan: Menschen, die nicht die Kontrolle über ihren Lebens­stil abgeben wollen, gibt es immer. Aber wenn die Politik sagen würde: Leute, wir haben da Scheiße gebaut, wir müssen jetzt zusammen an einem Strang ziehen, und wenn die Politik zeigt, wie die Menschen trotz der Umstellung besser leben als bisher — dann machen sie auch mit. Dann denkt niemand, er verliere nun alles, was er sich aufgebaut hat. Wenn wir nichts tun, dann verlieren alle alles.

Aber sind nicht sozial Schwächere die Verlierer? Die Milieus, die Sie erreichen, können sich die Transformation, von der Sie reden, sicher einfacher leisten.

Ajlan: Manche sind eben schwieriger zu erreichen als andere. Wer täglich darum kämpft, in seiner Wohnung bleiben zu können und von einem Job zum nächsten hetzt, hat keine Zeit, über den Klimawandel nachzudenken. Um diesen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich für ihre Zukunft zu engagieren, brauchen wir Input von der Politik. Diese Menschen müssen unterstützt werden. Wir brauchen das Modell der »Klima-Dividende« aus der Schweiz: Wer wenig CO2 ausstößt, muss mehr zurückbekommen als jemand, der viele Emissionen verursacht. Wir brauchen eine CO2-Steuer. Dann wollen alle weniger CO2 produzieren.

Mayer: Die Debatte um einen sozialen Ausgleich ist wichtig. Aber man muss auch sehen, das der Pro-Kopf-Ausstoß von CO2 massiv ungleich verteilt ist. Wer weniger Geld hat, stößt weniger aus. Der Hartz-IV-Empfänger hat kein Geld für eine große Wohnung oder Flugreisen.

Klimaaktivisten propagieren einen Lebensstil, der armen Menschen möglicherweise sehr fremd ist, so dass sie sich abgestoßen fühlen. Kein Fleisch essen, teuer einkaufen…

Mayer: Arme Menschen leben ohnehin klimakonformer als wohlhabendere...

Rau: Mit Ausnahme der Ernährung!

Mayer: Ja, okay. Aber das war ja das Wohlstandsversprechen: Fleisch sollte so billig wie möglich sein.

Herr Philippi, Sie engagieren sich bei Extinction Rebellion, reklamieren das Recht auf zivilen Ungehorsam und gewaltfreien Widerstand. Sind Ihnen die Kampagnen von Frau Ajlan und Fridays for Future zu lasch?

Werner Philippi: Bloß demonstrieren und Petitionen aufsetzen — ja, das ist uns zu wenig. Uns läuft die Zeit davon! Wir müssen die Politik zwingen, Maßnahmen zu ergreifen, denn sie werden es sonst nicht tun. Die Politik muss endlich sagen, was passieren wird, wenn wir das Pariser Abkom­men nicht erfüllen, wenn die Erwärmung höher als 1,5 oder 2 Grad ausfallen wird. Erst wenn gezeigt wird, wie einschneidend die Veränderungen durch den Klimawandel wirklich sein werden, werden die Menschen sagen: Das kann ich nicht zulassen! Die Politik aber bleibt nebulös, und viele Schichten lesen keine Zeitung, informieren sich nicht, die wissen nicht, was auf uns zukommt. Man wirft uns vor, wir seien dystopisch — aber was ist besser, damit endlich etwas unternommen wird?

Extinction Rebellion entwirft ein Endzeit-Szenario, erzeugt Angst, damit die Menschheit reagiert, und Fridays for Future entwerfen ein positives Bild: das einer geglückten Transformation, wenn wir unseren Lebensstil ändern?

Rau: Wir brauchen beides: push and pull, also Anreiz und Druck. Wir müssen auch zeigen, was passiert, wenn wir zu wenig tun. Denken Sie an Jakarta in Indonesien. In dieser Ballungsregion müssen in den nächsten zehn Jahren 10 Mio. Menschen umziehen, die Stadt versinkt im Meer. Das löst auch Migrationsströme aus, die Menschen werden zu uns kommen. Die Diversität der Insekten geht weltweit massiv zurück, und in Köln hatten wir Hitzetote in diesem Jahr. Wir haben längst ein Stadium erreicht, in dem basisdemokratische Absprachen und good will alleine nicht mehr funktionieren. Wir brauchen eine Gesetzgebung mit Anreizen.

Was können Sie in Köln konkret tun?

Rau: Unsere städtische Tochter, die Rheinenergie, produziert hier in Köln hauptsächlich mit fossiler Energie Strom und ist für ungefähr ein Viertel der CO2-Emissionen Kölns verantwortlich. Der große zweite Block ist Verkehr, der dritte sind Gebäude, der vierte Landwirtschaft und Ernährung. Ich will eine Lenkungsgruppe installieren, die dafür verantwortlich ist, dass Maßnahmen zur Decarbonisierung geplant und umgesetzt werden. Für jeden Sektor gibt es dann eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der Chemie, der Immobilien — also mit denen, die es umsetzen müssen.

Ajlan: Was haben Sie denn mit der Rheinenergie vor?

Rau: Die Rheinenergie arbeitet ja bisher wirtschaftlich sehr erfolgreich. Mit ihrem Gewinn bezahlen wir zum Beispiel das Defizit der KVB, und Gewinn wird auch in den städtischen Haushalt überwiesen. Wenn wir beschließen, dass die Rheinenergie keinen Gewinn mehr für die anderen produzieren muss, sondern in regenerative Energie investiert und aus dem Gas rauskommt, wird das die Stadt Geld kosten. Die Rheinenergie hat eine bedeutsame Rolle in der Energiewende und auch in der Mobilitätswende. Aber das muss der Rat beschließen und sagen: wir schichten Geld um. Und damit sind es die Politiker, die auch gewählt werden wollen. Sie müssen jetzt die Richtung vorgeben. Angenommen, die Stadt wird eine halbe Milliarde im Jahr inves­tieren: Das wird an anderer Stelle fehlen: bei Kultur, bei Bildung?

Wie soll da man das ausgleichen?

Rau: Natürlich können wir das nicht als Stadt allein. Aber wir dürfen uns nicht immer herausreden und sagen, Bund und Land haben ja keine Gesetze gemacht. Wir starten jetzt!

Philippi: Herr Rau, glauben Sie, Sie hätten das so formulieren und durchsetzen können, wie es jetzt vielleicht geht, wenn es die Klimabewegung nicht gegeben hätte?

Rau: Eindeutig nein.

Herr Philippi, Sie sagen, der Protest von Fridays for Future reiche Ihnen nicht aus. Aber wie weit darf der Protest gehen?

Philippi: Die Aktionen müssen gewaltfrei und ohne Sachschäden vonstatten gehen. Aber das Stören als Element des zivilen Ungehorsams – wir denken schon, dass uns leider nichts anderes übrigbleibt. Ich bin 67, habe vier Kinder und vier Enkel. Was bringt junge Leute und sogar mich dazu, mich gegen den Staat zu stellen, um ihn zu retten? Was ist an dieser Gesellschaft falsch, dass sich junge Frauen überlegen, ob sie noch Kinder kriegen in dieser Welt?

Die meisten Klima-Protestgruppen fordern nicht nur eine andere Klimapolitik, sondern auch einen Systemwechsel, eine andere Wirtschaftsweise. Auch bei Fridays for Future überwiegt diese Ansicht. Ist Extinction Rebellion links?

Philippi: Dieses Links-Rechts Schema ist aufgelöst. Das gab es früher im Kampf gegen Atomkraft und Aufrüstung. Aber wir haben einen dritten großen Mitspieler an Bord, und das ist das Klima. Und das Klima wird allein durch die Fakten geschaffen. Als Erstes wollen wir die Wahrheit gesagt bekommen. Wie steht es um uns? Dann werden sich die Konsequenzen daraus von selbst ergeben. Die Welt ist eine Selbsthilfegruppe, wir müssen gucken, dass wir da durchkommen. Ein Links-Rechts-Schema hilft dabei nicht.

Können Sie das nachvollziehen, Herr Rau?

Rau: Für mich ist die Frage der Klimaschutzmaßnahmen auch jenseits von rechts-links. Ich sehe natürlich schon, dass es unseren Lebenswandel und damit vielleicht auch unser Wirtschaftsmodell betrifft. Aber ich will keine gelenkte Wirtschaft. Die ist aus meiner Sicht gescheitert. Und ich will keine gelenkte Demokratie. Ich will, dass wir im Prinzip frei handeln können — aber in Rahmenbedingungen, die die Politik setzen muss. Und diese Rahmenbedingungen müssen so sein, dass sie uns in der Tat zu einem anderen Leben bringen. Es wird dann nicht mehr möglich sein, dass eine deutsche Autoindustrie systemrelevant betrügen darf. In unserer sozialen Marktwirtschaft setzt der Staat Rahmenbedingungen, macht aber bei weitem nicht alles selber. Wenn ich mir die verschiedenen Klima-Fraktionen anschaue, die Scientists, die Parents, die jungen Menschen, sehe ich sie schon eher als linke Kraft. Aber ich glaube trotzdem, dass sie ein Stück weit unabhängig vom politischen Links-Rechts-Spektrum sind, zumindest in der großen Zielsetzung.

Wie ist das bei Fridays for Future?

Ajlan: Wir sind größtenteils linksorientiert. Aber das heißt nicht, dass unter uns nicht auch liberale oder konservative Menschen sind. Jeder kann für seine Zukunft und für ein besseres Klima demonstrieren. Allerdings ist Klimapolitik schwer von Sozialpolitik zu trennen. Wir müssen das System so ändern, dass alle Menschen gleiche Chancen haben. Es ist die Aufgabe der Politik, die Menschen zu schützen, vor allem sozial schwächere Menschen brauchen Unterstützung.

Mayer: Da wir gerade auch links eingeordnet wurden: Natürlich wurden durch Fridays for Future vor allem solche Leute mobilisiert, die vorher schon ein stärkeres Ohr dafür hatten. Wahrscheinlich tendenziell Grünen-Wähler. Aber das eigentliche Problem ist gar nicht die Links-Rechts-Debatte, sondern die Milieus. Wir Wissenschaftler gehören überwiegend zum kosmopolitisch-liberalen Milieu. Das ist das Grundproblem. Nehmen Sie mich: Als Computerwissenschaftler profitiere ich von Globalisierung und Digitalisierung, andere nicht unbedingt. Wie wirkt da die Klima-Thematik, die als weitere Bedrohung des Lebensstandards hinzukommt? Darin sehe ich eine große politisch-gesellschaftliche Herausforderung.

Philippi: Ich stehe seit Monaten Woche für Woche auf der Straße und komme mit Menschen ins Gespräch. Meine Einschätzung ist: Von fünf Leuten wissen vier über das Klima Bescheid. Sie wissen nur noch nicht, was sie tun sollen. Nur etwa jeder fünfte ignoriert das — und das sind eher Leute aus unserem Milieu.

Mayer: Das kann ich bestätigen. Den stärksten Widerstand gibt es von denen, die am meisten zu verlieren haben: den Wohlhabenden.

Das heißt, die große Mehrheit wartet nur darauf, dass die Politik strengere Regeln vorgibt?

Rau: Selbst namhafte deutsche Firmen sagen, wir brauchen eine strengere Klimapolitik. Wir erleben doch, wie die deutsche Autoindustrie genau deshalb gefährdet ist, weil sie die Transformation nicht mitgemacht hat.

Mayer: Die Mehrheit erwartet, dass man abgeholt wird und eine positive Vision beschrieben bekommt.

Dann gibt es zwei Sichtweisen aufs Thema. Extinction Rebellion sagt, wir brauchen Panik. Sie sagen, wir brauchen eine positive Vision.

Mayer: Dass wir Panik brauchen, ist Folge unserer aufmerk­samkeitsökonomisch getriebenen Gesellschaft. Die Wissen­schaft ist dreißig Jahre lang daran gescheitert, mit ihren Erkenntnissen durchzudringen. Da scheint es zu helfen, manche Dinge überzubetonen. Das würden Wissenschaftler nicht machen, aber es kann für die Gesamtgesellschaft trotzdem gut sein.

Rau: Am Rande der Legalität zu handeln, gibt der Sache auch Schub. Fridays for Future ist am Rande der Legalität, wegen der Schulpflicht. Auch Sie sind am Rande der Legalität, Herr Philippi, das ist ziviler Ungehorsam, da gibt es Leute, die verklagt werden. Ich bedauere, dass es so ist, aber ich nehme zur Kenntnis, dass sich ohne diese Legalitäts-Testung nicht genügend Stärke entwickelt.

Philippi: Diese jungen Leute zeigen Mut, wenn sie sich wegtragen lassen, und sie nichts ernten können außer Nachteilen, Anzeigen oder Einträgen ins Führungszeugnis. Sie machen es trotzdem. Diesen Mut wünsche ich auch der Politik: Endlich zu sagen, was Sache ist.

Rau: Ich bin gerade jeden Tag unterwegs und versuche, der Politik Mut zu machen. Ich gelte da ja auch manchmal als schwierig.

Und wie viel Mut spüren Sie in der Politik?

Rau: Ich sehe die Mutigen noch nicht in der Überzahl. Es gibt die, die es eigentlich kapiert haben, die auch wollen, aber sich noch nicht trauen. Weil sie nicht glauben, dass sie noch gewählt werden, wenn sie die Autos einschränken. Ich hoffe, dass die Mutigen noch mehr Menschen überzeugen und mitnehmen werden.

Mayer: Unsere Aufforderung richtet sich an die Lenker in den Unternehmen, den Verwaltungen, der Politik. Sie sollen sich nicht länger herausreden, dass erst mal die ganze Gesellschaft auf Kurs sein muss.

Müsste dann Fridays for Future nicht eine Partei werden, um zu einer Lenkerin zu werden?

Ajlan: Nein. Wir wollen etwas in der Politik bewegen, aber dafür werden wir keine Partei, die sich mit dem ganzen bürokratischen Kram auseinander setzen muss. Wir sind Schülerinnen und Schüler, wir können nicht mehr machen, als weiter Hunderttausende Menschen zu mobilisieren. Wie Greta Thunberg gesagt hat: Wir sind noch Kinder— warum machen wir dann den Job der Politiker?

Kommen Sie zur nächsten großen Klima-Demo am 29. November, Herr Rau?

Rau: Auf jeden Fall.

Mit dem Dienstwagen?

Rau: Nein. Ich habe ein Jobticket. Ich gebe zu, ich habe auch einen Dienstwagen, aber ich nutze jeden Tag die KVB und bin Fahrradfahrer.

Vielleicht kommt Frau Reker dann ja auch mal mit der KVB zum Klimastreik.

Rau: Dazu sage ich jetzt nichts.