Oriana Weatherbee Day, »Die Mission San Francisco de Asís (Mission Dolores)«, 19. Jahrhundert, Öl auf Leinwand

Darüber der weite Himmel

»California Dreams« in der Bundeskunsthalle porträtiert die Stadt San Francisco

Kein Straßennetz gliedert das Tal um die »Dolores Mission«. Teils verfallen, verlieren sich ihre einst prunkvollen Bauten im Grün, als Mary Park Seavy Benton sie 1857 auf Leinwand in Szene setzt. Neun Jahre nach Einsetzen des Goldrauschs wuchs San Francisco weiterhin rasant, doch noch liegt die hügelige Landschaft still unter einem Himmel, dessen schmutzig-gräuliches Hellblau in einen pastellrosa bis sanft apricotfarbenen Sonnenuntergang übergeht. Ein Nebelschleier löst sich, kriecht geisterhaft die Anhöhen hinab.

Diesen Farbenzauber sehen wir noch mehrmals beim Rundgang durch die Schau »California Dreams« — in der Malerei vor 1900 bei Oriana Weatherbee Day, Thomas Hill, William Keith und William Coutler, später dann in Robert Arnesons liebevollen Portrait des ersten offen schwulen, dann ermordeten Stadtrats Harvey Milk. Der Nebel breitet sich über die gesamte Ausstellung aus, still und zugleich gedankenschwer lässt er die Besucher*innen irrlichtern. Nicht, dass es an Konkretem fehlt: Man erfährt viel, gar Kurioses, etwa, dass Glückskekse eine Erfindung der chinesischen Migranten San Franciscos sind. Doch umgeben von Kunst wähnt man sich inmitten eines soziologischen Essays über Menschenströme, Vertreibung, Unterdrückung und Kasernierung.

Kontrastierend wird San Franciscos Offenheit betont. Im Nebel verschwimmen Botschaften zu neuen Komplexitäten. Die Fotos und handgefertigten Werkstücke von Ishi, dem Letzten der von Siedlern massakrierten Yahi Indianer, geben dem Aufdruck eines unweit ausgestellten Hoodies »Immigrants make America great« eine andere Perspektive. Nie ist alles nur gut. Am erstaunlichsten scheint, wie rasch aus all den Menschenströmen, der Gewalt und den Schicksalen eine libertäre Kultur oft selbst gemachter Glückskeksidentitäten entstand. Riesige Containerschiffe beliefern diese Menschen in Doug Halls majestätischem Video »Chrysopylae« — die Golden Gate Bridge als Tor der Welt.

Erst spät nähert man sich Individuen, beim Blick auf die Beat Literaten, die Hippies, Black Panther und die Queer Liberation. Doch alsbald, im abschließenden »Silicon Valley«-Raum, verschwinden sie wieder, gleich einer invertierten Evolutionsgeschichte. Noch eimal blicken wir in die Gegend um die Mission, noch einmal Graublau und Pastellrosa, nun entzaubert als Farben der Objekte in Robert Bechtles Holzschnitt der »Potrero Houses« (1988), einst Arbeiterdomizile, nun Wohnwelt der Dot-Com Elite. Lebt nur noch der Traum?

Bundeskunsthalle, Museumsmeile / Helmut-Kohl-Allee 4, Bonn, Di/Mi 10–21, Do/Fr/Sa/So 10–19 Uhr, bis 12.1.20