Vernon Subutex, unten angekommen: Moritz Sostmann inszeniert die Wut auf das System

Mehrkörperwesen in Rage

Moritz Sostmann inszeniert »Das Leben des Vernon Subutex 1–3« am Schauspiel Köln

Schulterlanges blondiertes Haar mit Ansatz, zerfurchtes Gesicht, auf der Nase eine verspiegelte Pilotenbrille: Sein Kopf sitzt tief zwischen den Schultern, hin und wieder fährt er auf dem sehnigen Hals abrupt nach vorne. Das ist Vernon Subutex in Moritz Sostmanns Inszenierung der Romantrilogie von Virginie Despentes. Besser gesagt: ein Teil von ihm. Subutex ist im Kölner Schauspiel eine Puppe. Dort wo sein Körper aufhört, geht seine Figur weiter. Als menschlicher Schauspieler und als Körper der Puppenspieler.

Als dieses vielgliedrige Mehrkörperwesen bewegt sich der wohnungslose 50jährige Ex-Plattenladenbesitzer durch Paris — und seinen aus der Not wiederentdeckten Freundeskreis, immer auf der Suche nach einem Schlafplatz. Dabei trifft er auf eine vereinsamte Ex-Punkerin, in der angesichts eines Kalkrands auf der Spülamatur Mordgelüste aufsteigen, einen verkrachten Drehbuchautoren, der bei einem Supermarktbesuch wegen im Weg stehender Einkaufswägen und Paletten ausrastet, und einen prügelnden Marxisten, der seine Gewaltphantasien gegen das Kapital an seiner Frau auslebt.

Zu den alten Freunden kommen neue hinzu. Alle eint eine Wut gegen das System — mal gebändigt, mal lauthals hinausgeschrien, mal sind die Muslime schuld, mal die Frauen, mal die Lohnarbeit. Dabei sind die Figuren von Despentes nie bloße Charaktermasken, sondern in ihren komplexen Motivlagen und Widersprüchen gezeichnet.

Sostmann findet für die 1200-seitige Romantrilogie eine theatrale Entsprechung: eine Puppen-Emilie, die sich in weißen Lackschuhen beherrscht an der Ordnung ihrer Wohnung freut, während eine Katharina Schmalenberg als persongewordene Emilie ob der patriarchalen Zumutungen schäumt, oder Xavier, der den Sturm der Erniedrigung des Filmproduzenten Dopalets wehenden Puppenhaupthaares still hinnimmt, während er gerade noch selber vor Wut raste.

So gelungen Sostmann und sein Ensemble die multiplen Figurenkörper formen, so wenig Interesse zeigt der Regisseur für ihre Entwicklung: ihr Streben nach einer kollektiven Utopie, ausgelebt in entgrenzten Raves. Diesem Begehren wohnt das Scheitern aber längst schon inne. Sostmann denkt es von seinem Ende her. Die Beats des Raves donnern nur hinter verschlossener Tür, die Bilderdichte nimmt ab. Darunter leidet die Dramaturgie des zweiten Teils und die gesellschaftliche Tiefe des Stücks.