Nach innen hören

Neue Kräfte wirken an der hiesigen Hochschule für Musik und Tanz: Jüngst wurden Brigitta ­Mun­tendorf und Miroslav Srnka zu Pro­fes­soren für »Instrumentale Komposition« ernannt. Wir haben beide zum Gespräch getroffen

Das Kernrepertoire von deutschen Berufsorchestern bildet noch immer die Musik der Klassik bis Spätroman­tik. Den stilistischen Anforderungen entsprechend spielen die Musi­ker*innen ihre Instrumente in traditioneller Weise, hierfür werden sie auch bezahlt. Keine sonderlich überraschende Tatsache. Doch da ist noch die Neue Musik, die nach speziellen, »erweiterten Spieltechniken« verlangt, oft auch nach ­szenischen Aktionen. Das Besondere daran: Alles, was von der traditionellen Art, ein Instrument zu spielen, abweicht, wird zusätzlich vergütet. Salopp formuliert: Soll die Hornistin während des Stücks aufstehen, kostet das extra.

Die 1982 geborene öster­rei­chisch-­deutsche Komponistin ­Brigitta Muntendorf versteht diese Tatsache als Symptom eines unzeit­gemäßen Musik- und auch Kom­positionsverständnisses. Für die Kom­ponistin, deren multimediale Arbei­ten Kommunikationsprozesse und deren Veränderung durch die Wechselwirkungen zwischen virtuellen und realem Handlungsraum reflektieren, ist die Bezeichnung »Instrumentale Komposition« irreführend. Sie deckt das, was der Studiengang eigentlich vermitteln soll, nicht ab: nonbinäres, interdisziplinäres, diverses Komponieren.

Neuerungen des musikalischen Erlebens können für den 44jährigen, aus Prag stammenden Komponisten Miroslav Srnka deshalb auch nicht ohne Alternativen zum traditionellen Konzert geschehen — ein zentraler Aspekt: Den Mut aufbringen mit festgefahrenen Beziehungen zwischen Aufführenden und Rezipierenden zu brechen und letztere aktiv in die Konzertsituation einzubinden.

Austausch auf Augenhöhe

Realisiert hat Srnka das in dem ­Projekt »Listening Eyes«: Eine Konstruktion, welche an beliebigen Orten aufgebaut werden kann, umgibt drei Musiker*innen wie ein Zelt und schafft so einen beschützten Raum; zahlreiche Öffnungen ermöglichen jedoch Außenstehenden, einen Blick hineinzuwerfen und die Musik nicht nur hören, sondern auch sehen zu können — das erfordert jedoch sowohl Reflexion als auch aktives Handeln durch die Rezipierenden.

Dieses dialektische Moment spielt für den Hochschulalltag von Muntendorf und Srnka bei der Arbeit mit den Studierenden eine grundlegende Rolle. In enger Zusammenarbeit mit Michael Beil, der seit 2007 Professor für »Elektronische Komposition« an der Hochschule ist, sollen die Studierenden von Anfang an ermutigt werden, sich in den Schnittstellen zwischen instrumentaler, vokaler und elektronischer Komposition zu bewegen.

Ihre Kurse richten sich zwar in der Hauptsache an Komponist*innen, sind aber grundsätzlich auch für Studierende offen, die keine Komposition, sondern beispielsweise ein Instrument studieren. Mit Hinblick auf die Kompositionsprojekte ist es sogar ausdrücklich erwünscht, dass die zukünftigen Interpret*in­nen bereits vor den Proben in den Diskurs eingebunden werden — auf diese Weise kann lange vor der Aufführungssituation ein Austausch auf Augenhöhe zwischen den Studierenden stattfinden. Die gemeinsame Arbeit von Interpret*innen und Komponist*innen erhält so das Potenzial, über das bloße Proben und Aufführen hinauszugehen, um ein gegenseitiges Verständnis und Wahrnehmen der Bedürfnisse und Anliegen des jeweiligen Gegenübers zu entwickeln.

Für Muntendorf und Srnka ist aber genauso wichtig, dass die jungen Komponist*innen nicht nur nach außen, sondern ebenso nach innen hören: Bewusstsein für die eigenen künstlerischen, aber auch menschlichen Bedürfnisse entwickeln — dazu gehört ganz grundlegend der für eine künstlerische Arbeit essentielle Rückzug in die Stille, ebenso wie die Geduld, die Spannung zwischen Idealismus und Pragmatismus auszuhalten — was sich oft als ein Drahtseilakt erweist. Unterschied­lichste Akteu­r*in­­nen bestimmen das Spannungs­feld, in welchem sich der Arbeits­alltag von Kompo­nist*innen abspielt: Da sind zum einen die etablierten Institutionen, Konzert- und Opernhäuser, Festivals für Neue Musik; zum anderen die Interpret*innen und Ensembles, aber auch Journa­list*in­­nen, Wis­sen­schaftler*innen, und Geld­geber*in­nen — und all das geschieht obendrein im nicht zu vernachlässigenden Kontext des gesellschaftlichen und politischen Tagesgeschehens.

Ganzheitliches Komponieren und träge Institutionen

Plötzlich nehmen ganz praktische Fragen dem Idealismus der Kom­ponist*innen regelrecht den Wind aus den Segeln: Wie wird finanzielle Unterstützung bei Stiftungen oder öffentlichen Kulturförderungen bean­tragt? Welche Rechte haben Kom­ponist*innen überhaupt? Wie funktioniert die Künstlersozialkasse, wie sichere ich mich ab? Wie werden erfolgreich Konzerte und Aufführungen organisiert und durchgeführt?

Die Folge: »Trägheit«, wie es Srnka auf den Punkt bringt — denn je mehr Institutionalisierung in den künstlerischen Prozessen involviert ist, desto langsamer und letztlich mühsamer werden diese. Dennoch bilden Institutionen, wie Muntendorf entgegensetzt, zugleich eine Konstante in einem schnelllebigen Handlungs­raum — eine Konstante, welche wiederum einen Teil der Lebens­grundlage von Interpreten und Komponistinnen bildet und so auch Sicherheiten schafft.

So konnte Michael Beil gemeinsam mit dem Ensemble Musikfabrik das Projekt »Adventure« initiieren; im Rahmen einer fünfjährigen Ko­ope­ration stellt das Ensemble den jungen Komponist*innen wertvolle personelle und infrastukturelle Ressourcen zur Verfügung. Seit Sommer dieses Jahres konnten die Früchte dieser Zusammenarbeit bereits in drei Konzertabenden mit zahlreichen Uraufführungen der Kompositionsstudierenden realisiert werden.

Doch so wichtig die Institutionalisierung für die Neue Musik ist, desto hinderlich kann sie mitunter sein, gewachsene Strukturen sind eingespielt, mitunter wenig flexibel. Doch Muntendorf beobachtet zunehmend, wie auch großbesetzte Orchesterapparate immer mehr an Flexibilität gewinnen. Sie vergleicht diese mit hochprofessionalisierten »Produktionseinheiten«, die sich auf die adäquate Aufführung von Musik nicht nur einer, sondern unter­schied­licher Stile konzentrieren — sei es nun französische Musik des Barock oder (neuste) Neue Musik. Das äußert sich in einem ganz praktischen Sinne nicht nur in Bezug auf die fluide Zusammensetzung der Instrumentalist*innen, sondern vor allem darin, dass Offenheit von vornerein Basis des Ensembleselbstverständnisses sind.

Das Vermitteln eben dieser Werte ist für Brigitta Muntendorf und Miroslav Srnka besonders wichtig: Es geht den beiden darum, den Studierenden ein ganzheitliches Komponieren aufzuzeigen, das über das Lernen des Handwerks und der musikalischen Umsetzung von Konzepten hinausgeht. Gleichsam wie die Musik, muss für eine produktive, künstlerische und vor allem unabhängige Arbeit stets Eigenverantwortung übernommen und das erforderliche Umfeld ebenso aktiv komponiert werden. Das impliziert ebenso den Mut, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben und die Komfortzone zu verlassen, sich auf Neues einzulassen, Altes gehen lassen zu können. Kurzum: Nicht das System, sondern die Verbindungen seiner Teile neu denken und erfahrbar machen.

Infos: brigitta-muntendorf.de, srnka.cz