Mein Winterzauber ist politisch

Die dunkle Jahreszeit, es gibt sie nicht mehr. Der Himmel mag manchen Tag grau und wolkenverhangen erscheinen, aber wer schaute schon noch zum Himmel? Wen bedrückte irgendein Wetter? Wir hier unten sind Kriechtiere, flügellos und ohne aerologische Ambitionen. Erd-Bewohner, die wir sind, lockt man uns mit spätkapitalistischem Glitzer aus unseren Höhlen und Behausungen, dahin, wo man uns haben will. Diese Grellheit, die dort auf uns wartet, das ist unsere Erleuchtung. Noch vor dem Advent fährt es wie ein Blitz hinab in die Straßen und geht nicht mehr weg, bis dieser Spuk zum Jahreswechsel mit Donner zerstiebt und bloß bunten Plunder, Feinstaub und Sodbrennen zurücklässt.

Jetzt aber mal zur Sache: Bei aller berechtigten Glitzer-Kritik, man muss doch bitte differenzieren! Es gibt den qualitätvollen Glitzer und es gibt, Gott sei’s geklagt, den lieblosen und falschen, das Talmi.

Meine empirische Untersuchung beginnt am Fenster. Während die Christbäume oft schon am zweiten Weihnachtstag in die Altpapier-Container gestopft werden — ja, Herr Schröder von unten links, Sie sind gemeint! —, erweist sich der saisonale Fensterschmuck als erstaunlich langlebig. Manch weihnachtliche Dekoration wird durch bloß geringfügige Korrek­turen zum burlesken Karnevalsschmuck.

Es sind oft geradezu Schau-Fenster. Fensterschmuck ist ein wenig wie Social Media: Man sendet nach draußen und es bekümmert einen nicht sehr, ob andere belästigt werden; Stichwort: rhythmisch pulsierende Weihnachtsbeleuchtung.

Bei mir dürfen Fenster hingegen noch Fenster sein, nämlich verglaste viereckige Löcher in der Wand, damit man rausgucken kann und dabei nicht Hinterteile von Weihnachtsmännern, Clowns oder Osterhäschen die Sicht versperren.

Ich komme nun vom Fenster zu den Zimmern. Die sind erstaunlich selten saisonal dekoriert (Ausnahmen wie im Falle von Oma Porz bestätigen die Regel). Aber man kann doch nicht die Fenster mit »Deko-Artikeln« zurammeln, und dahinter sieht es aus wie in einem Möbelkatalog, wo Menschen ganz verloren wirken und sich gelangweilt auf viel zu großen Sofas fläzen, weil sie nichts zum Angucken haben außer einen teuren Steinfliesenboden und eine alte Vase.

Ich aber bin im Zweifel für die Fülle und gegen die Kargheit. Ich übe mich seit kurzem im Dekorieren. Ich besitze gute Voraussetzungen. Meine Zimmer sind ganzjährig dekoriert, wenngleich es ein eher zufälliges Konzept ist. Es liegt und steht halt überall etwas rum und geht nicht weg. Man könnte von einer aleatorischen Dekorations- und Gestaltungskonzeption sprechen. Es ergibt sich. Gesine Stabroth nennt es »nicht ganz aufgeräumt«. Es werden halt in den Städten zu wenig bezahlbare Sieben-Zimmer-Wohnungen angeboten.

Man darf da nicht ängstlich sein beim Dekorieren, und man darf sich auf keinen Fall einreden lassen, man besitze kein Talent und keinen Geschmack. Ich dachte, ein bisschen winterzauberische Anmutung täte meinen Räumen gut. Hier und da ein Tannenzapfen, etwas Tannengrün und ein paar Äste (ja, Herr Schröder, die hab ich aus der Bio-Tonne genommen!) — dazu ein paar Figürchen von Oma Porz! Die öde Hegemonie des Abstrakten muss gebrochen werden! Die Geringschätzung alles Kunsthandwerklichen ist der Snobismus kleiner Geister! Leider stehen die Nikoläuse und Porzellanengelchen nun in einer Art Klimakatastrophe oder Amazonas-Kahlschlag, denn der Grünschnitt welkt arg schnell. Aber wer sagt, dass saisonale Dekoration nicht politisch sein darf? Die Jahreszeit ist nicht dunkel, aber die Zeiten sind es.