»Die Angst bringt einen fast um«: Nikolaus Benda im Depot 2 | Foto: Krafft Angerer

Wankende Welt

Die »Reise der Verlorenen« im Schauspiel Köln reflektiert das Schicksal jüdischer Flüchtlinge

»Wer weiß, wie ich gehandelt hätte? Ich verrate Ihnen was: Fall’s Sie wirk­lich nicht wissen, wie Sie gehandelt hätten, dann wissen sie es schon«, sagt Otto Schiendick (gespielt von Stefko Hanushevsky), »dann hätten Sie gehandelt wie ich». In »Die Reise der Verlorenen« von Daniel Kehlmann ist Otto Schiendick ein Nazi auf Deck der St. Louis. Das Schiff steuert mit mehr als 900 flüchtenden Juden Kuba an.

Das Stück des Bestsellerautors Kehlmann zeichnet eine wahre Begebenheit nach. Am 14. Mai 1939 läuft ein vollbesetzter Luxusliner aus dem Hamburger Hafen. Sein Ziel: Havanna. An Bord sind vom jüdischen Ärztepaar, über einen Hebärischlehrer zu den verstoßenen Kindern Menschen vereint, die alle dem Tod entkommen wollen. Doch Laredo Bru, der kubanische Präsident sperrt sich: »Wenn ich dieses Schiff anlegen lasse, was ist dann mit dem nächsten Schiff? Bei welchem Schiff muss ich sagen, es ist das letzte?« Ministerrunden, heiße Drähte und Deals folgen. Jedes der gesprochenen Worte könnte aus den Mündern der Seehofers und Salvinis unserer Zeit stammen.

Die Analogie kommt aber ganz ohne Fingerzeig aus. Sie verflacht nicht zur plumpen Parabel. Das gelingt, weil der Text von Daniel Kehlmann an den Geschichten der historischen Figuren interessiert ist. Er verleiht ihnen Kontur und Tiefe. Auch wenn Rafael Sanchez als Regisseur seine neunköpfige Besetzung knapp 30 Rollen spielen lässt, verliert sich davon nichts. Durch eine Wendejacke, eine Brille, einen Schal markiert, schlüpfen sie elegant von einer Rolle in die andere.

Bei aller Nähe zu den Figuren droht der Zuschauer aber auch nie, in ihnen zu versinken. »Ich werde meine Frau und die Kinder nie wiedersehen. Nur mein Tagebuch wird überdauern. Deshalb kennt man meine Geschichte«, sagt Aaron Pozner. Die historische Wirklichkeit schlägt einem kurz vor der Gefühlsbenommenheit immer wieder ins Gesicht.

In seiner Inszenierung verlässt sich Raphael Sanchez auf die Stärken des Texts und des Spiels. Das Bühnenbild ist spartanisch: zehn Stühle, ein mit Pappe ausgekleideter Schiffsinnenraum, ein angedeuteter Bug und das Bild vom Meer im Hintergrund, das ins Wanken gerät, als klar ist, dass die St. Louis in Kuba nicht anlegen kann. Als würde die Welt in eine Schieflage geraten. Damit setzt er die Mittel des Theaters kunstvoll ein und verleiht dem Stück Klarheit.

Am Ende des Abends stellt sich die Frage, wie man selbst gehandelt hätte, auch immer als Frage der Gegenwart: Wie handeln wir heute?

Schauspiel Köln, Depot 2
7., 9., 16., 31.1., 20 Uhr,
26.1., 17 Uhr