Nach der Feier keinen Kaffee

Der Grüne Weg gilt als Symbol für den Wandel in Ehrenfeld. Anfang des Jahrzehnts war er eine Partymeile, jetzt sind Ruhe und Flachdächer eingekehrt.

Ein urbaner Pionier, das ist jemand, der zuerst da ist. Jemand, der Räume erschließt und bewohnbar macht. In der GAG-Siedlung am Grünen Weg in Ehrenfeld heißt der urbane Pionier Patrick Nasshoven. »Ich bin seit seit 2013 hier«, sagt er. Seitdem hier die ersten Häuser stehen also. Patrick Nasshoven ist Hausmeister.

Nasshoven macht, was anfällt: Fahrstühle in Gang halten, die Tiefgarage kontrollieren und bei leerstehenden Wohnungen die Leitungen durchspülen. Wobei letzteres kaum nötig ist — der Grüne Weg ist ein begehrtes Wohngebiet. 240 Wohnungen stehen hier, zwischen Gürtel, Vogelsanger Straße und Weinsbergstraße, etwa fünf Minuten von der KVB-Haltestelle »Venloer Str./Gürtel« entfernt. Knapp ein Viertel davon sind geförderter Wohnraum — das Viertel ist genehmigt worden, bevor das Kooperative Baulandmodell der Stadt eine Quote von 30 Prozent Sozialwohnungen zur Pflicht machte. Die Kaltmiete in den übrigen Wohnungen betrage 11,50 Euro pro Quadratmeter, sagt GAG-Sprecher Jörg Fleischer.

Drei Architekturbüros haben die Häuser am Grünen Weg geplant. Sie entwarfen eine nahezu identische Wohnbebauung: vier Stockwerke oder mehr, selbstverständlich mit Flachdach. Ihr Unterscheidungsmerkmal ist etwas anderes: die Balkone. Manche Häuser haben einen leicht zurückgezogenen Steinbalkon, andere Balkone sind an die Häuser appliziert, eine dritte Spielart ist mit Lochblech verkleidet. »Das dient dem Schallschutz«, sagt Patrick Nasshoven, der Hausmeister. Über das Gelände verteilt findet sich die corporate identity der Siedlung: ein auffälliges, ins Gelb changierendes Neon-Grün. Hier führt die GAG ein strenges Regiment, wie Nasshoven erzählt. Die städtische Wohnungsgesellschaft stellt etwa die Sichtschutze für die Erdgeschosswohnungen bereit, um ein homogenes Erscheinungsbild zu gewährleisten. Es gibt sogar Blumenkübel im Farbton Grüner Weg.

»Die Häuser haben keinen Konstruktionsfehler«, sagt Nasshoven und fügt nach einer kritischen Nachfrage hinzu: »Auch wenn Sie mir das nicht glauben.« Nur im Außenbereich habe man etwas nachgebessert. Auf der Fläche für Fußball und Hockey wurden lose Kieselsteine verwendet. Nach ersten Stürzen sei dies geändert worden. Die Siedlung erscheint schmucklos, aber weitläufig. Es gibt mehrere Spielplätze, auch die Kita mit drei Gruppen verfügt über ein großes Außengelände. Poller garantieren, dass der Grüne Weg autofrei bleibt.

Die Siedlung ist ein Mischgebiet für Wohnen und Arbeiten. Softwareentwickler, Inklusionsberater und Arztpraxen sind hier untergebracht. Einer der größten Mieter ist der Malteser Hilfsdienst. »Für uns war das Neuland«, sagt GAG-Sprecher Fleischer. Aber die Gewerbehäuser haben eine doppelte Funktion: Sie dienen auch als Lärmwall. Westlich der Siedlung liegt das Vulkangelände, wo früher Straßenlaternen hergestellt wurden und sich heute Studios, Büroräume und Ateliers befinden. Die Firmen dort hatten sich bei Baubeginn am Grünen Weg über strengere Lärmauflagen gesorgt. Die Firmen in den drei Gewerbebauten verursachten kaum Lärm, sagt Patrick Nasshoven. »Viele, die hier arbeiten, kommen mit dem Fahrrad.«

Als wir an einem verregneten Dezembervormittag zwischen den Häusern am Grünen Weg spazieren, ist es aber laut: Die viel befahrene Zufahrt zum Baumarkt durchschneidet die Siedlung. Auch ein Discounter befindet sich auf dem Gelände. Von nebenan kommt zudem noch Baulärm. Direkt neben dem Grünen Weg entsteht ein Neubau mit Ladenlokalen, 42 Eigentumswohnungen und mehr als 10.000 Quadratmetern Wohnfläche.

Denn der Grüne Weg ist auch Symbol für den Wandel von Ehrenfeld: eine alte Industriebrache, die Kölner*innen unter 40 Jahren vor allem wegen des Nachtlebens schätzten. Am Anfang der 10er Jahre befand sich hier die »Papierfabrik«, ein Club als Zwischenmieter bis zum Baubeginn. Mittlerweile ist von den Clubs nur noch das »Barinton« übrig. Es soll im Sommer 2020 schließen.

Die Entwicklung stört selbst Menschen, die am Grünen Weg ein Zuhause gefunden haben. »Je länger wir hier sind, desto mehr sind wir eingekesselt von Wohnen mit ein bisschen Arbeitsräumen«, sagt Ruth zum Kley. »Das ist zwar gut, weil hier viele Leute sind, die zu uns kommen können. Aber Ehrenfeld verliert auch ein wenig.« Zusammen mit ihrem Mann Georg leitet Ruth zum Kley das Kölner Künstler Theater (KKT), einer der ersten Mieter am Grünen Weg. 2013 ist das Theater in den Neubau am Melatengürtel umgezogen. Der alte Theaterraum an der Ehrenfelder Stammstraße war baufällig, hinzu kam Ärger mit dem Vermieter. »Wir haben uns dann mit der Vorstandsetage der GAG in Verbindung gesetzt«, sagt zum Kley. Gemeinsam haben sie den Grundriss für das Theater entworfen, das zwei Stockwerke des Hauses einnimmt, darüber liegen Wohnungen. Das Theater ist barrierefrei, der Theaterraum neu eingerichtet — das kostet. »Die GAG hat für den Rohbau bezahlt, den Innenausbau haben wir mit Hilfe von Förderungen und Eigenmitteln bestritten.« Die Miete für das Theater sei auf 20 Jahre festgeschrieben, sagt Ruth zum Kley. »2011, als wir das verhandelt haben, war das Mietniveau hier noch niedriger«. Dennoch sei die Miete nicht niedrig, aber fair. »Die GAG hat sich darauf eingelassen.« Die Partnerschaft geht weiter. Das KKT bietet Theater-Workshops, die mit dem Sozialraumprogramm der GAG gefördert werden.

Trotzdem — ein Theater im Wohngebiet, das kann schiefgehen, wenn Anwohner die Spielstätte als Lärmquelle ausmachen. »Wir spielen überwiegend tagsüber«, sagt Ruth zum Kley. Von daher gebe es keine Beschwerden, auch wenn das Theater-Foyer, wie beim Gespräch, voller Kindergartenkinder ist. Der Theaterraum selbst ist schalldicht, schon um den Verkehrslärm vom Gürtel abzuhalten. »Es ist eher ein Problem für uns, wenn jemand oben im Haus bohrt«, sagt zum Kley. Das höre man auch unten.

Das Verhältnis zu den Anwohnern sei gut, sagt die Theatermacherin. Das KKT bietet jedes Jahr »2-für-1-Gutscheine« für Bewohner, bei der Kartenbestellung würden sich viele zudem als Nachbarn zu erkennen geben. Auch am Sommerfest der Siedlung hat das Theater schon teilgenommen.

Sommerfest, Flohmarkt, Silvesterparty — all das ist am Grünen Weg meist selbstorganisiert, sagt Hausmeister Patrick Nasshoven. Die Bewohner haben sich dafür in einer Social-Media-Gruppe zusammengeschlossen. »Da wird alles mögliche besprochen. Sogar, ob jemand auf den Spielplatz geht und dort auf die Pänz aufpassen kann.« Die GAG stellt den Bewohnern einen Raum, den sie für Versammlungen, Geburtstage oder eine Halloween-Party nutzen können. Das ist auch nötig. Denn obwohl sich die Siedlung auf der ehemaligen Ehrenfelder Partymeile befindet, ist sie gastronomisch eine Wüste. Der Nachbarschaft würde daher eine Sache ganz besonders nutzen, sagt Ruth zum Kley: ein Café.