Probenphase wie am Theater: Sam Mendes am Set

»Bond ist wie in den Krieg ziehen«

Sam Mendes über seinen neuen Film »1917«, die Erlebnisse seines Großvaters im Ersten Weltkrieg und seine Erfahrungen als Bond-Regisseur

»1917« begleitet zwei britische Soldaten im Ersten Weltkrieg, inszeniert ist er als Echtzeiterfahrung. Was war die Motivation für diese ungewöhnliche Form?

Die Idee war von Anfang an, diese Geschichte über zwei Stunden scheinbar ohne Schnitte zu erzählen, um zu spüren, wie die Zeit vergeht, Sekunde für Sekunde. Das hatte ich auch beim Schreiben des Drehbuchs immer im Hinterkopf. Wir wollten das Publikum so nah wie möglich am Geschehen teilhaben lassen. Man fühlt sich gefangen mit diesen Männern. Die Kamera ist dabei nicht immer vor oder hinter den Protagonisten, sie ist mal subjektiv an eine Figur gebunden und mal objektiv beobachtend, wenn man sie aus der Ferne inmitten des Niemandslands aus Tod und Zerstörung ausmacht. Manchmal wollte ich die Aufmerksamkeit auf ein ganz bestimmtes Detail lenken, dann wieder die Freiheit geben, den Blick schweifen zu lassen. Es ging also immer wieder um die Frage, wie sich Schauspieler, Kamera und Filmraum zueinander verhalten.

Wie war das für die Schauspieler?

Wir haben Sequenzen von zehn, elf Minuten am Stück gedreht. Selbst wenn wir vorher intensiv geprobt haben, kommt man so ­hoffentlich näher an authentische menschliche Reaktionen. Die Darsteller sind weniger damit beschäftigt, wie sie wirken, vergessen zum Teil sogar die Kamera und agieren einfach.

Dafür haben Sie sechs Monate lang geprobt. Wie schwierig war es, die Produzenten davon zu überzeugen?

Die beiden Hauptdarsteller sind jung, so lange mit ihnen vorzubereiten, hat nicht unbedingt die Bank gesprengt. Die Proben waren vor allem für den Kameramann Roger Deakins und mich wichtig, aber durch das ständige Wieder­holen über Wochen und Monate haben sich George und Dean-Charles ihre Rollen völlig angeeignet, die Uniformen und Waffen wurden wie eine zweite Haut für sie. Und ich habe wie bei meinen Theaterproduktionen gearbeitet, habe sie erst einmal machen lassen, sie beobachtet, ohne zu kommentieren, so dass sich vieles natürlich entwickelt hat. Währenddessen entstand und entwickelte sich erst die Sprache, es war alles sehr organisch. Diese Art des Ausprobierens erwies sich als sehr viel sinnvoller, als von Anfang jeden Schritt exakt festzulegen.

Der Film hat auch einen persönlichen Bezug für Sie. Er beruht auf den Erzählungen Ihres Großvaters.

Der Film handelt nicht von meinem Großvater, er war aber der Anlass. Er war 17 Jahre alt, als er eingezogen wurde. Der Film ist eine seiner Erinnerungen, wie unter einem Brennglas vergrößert und durch Details erweitert, die er selbst nicht erlebt hat. Wenn er vom Krieg erzählte, ging es nicht um Heldengeschichten oder wie tapfer er war, sondern wie unsicher das Leben war, wie viel von Zufällen abhing, wie dünn die Grenze zum Tod war. Warum wurde sein Freund, der neben ihm stand, von einem Granatsplitter getötet und nicht er? Er hat mir keine Geschichts­stunden gegeben, sondern existentialistische Erfahrungen geschildert. Und auch ich wollte keinen Film über den Ersten Weltkrieg machen, sondern zeigen, was es bedeutet, als junger Mann Krieg erleben zu müssen. Wie verhalten sich Menschen in extremen Situationen? Mir geht es um eine menschliche Wahrheit, keine politische.

Viele Kriegstraumatisierte erzählen ungern von ihren Erfahrungen. Wie offen war Ihr Großvater?

Als Kinder fragten meine Cousins und ich ihn oft aus und er erzählte uns etliche seiner Erinnerungen. Aber dazu musste für ihn erst eine Generation vergehen. Meinem Vater hatte er nie ein Wort aus dieser Zeit erzählt. Aber auch meinem Vater war klar, dass etwa der Tick, sich ständig exzessiv die Hände zu waschen, damit zu tun hatte, dass mein Großvater den Dreck in den Schützengräben nicht vergessen konnte.

Wie schwierig war es, eine Balance zu finden zwischen der authentischen Darstellung der Kriegsgräuel und der Konstruktion einer filmischen Seherfahrung?

Diese Diskrepanz war mir immer bewusst: Wir benutzen das Leid von Menschen, um Unterhaltung zu schaffen. Mir war wichtig, diese Geschichte so wahrhaftig wie möglich zu erzählen. Er sollte eher eine Art Augenzeugenbericht aus dem Niemandsland sein, als den Zuschauer mit der Nase auf grausige Details zu stoßen. Die Kamera bewegt sich durch das Kriegsgebiet und ja, am Rand des Blickfelds sind Leichen und Pferdekadaver. Die Kamera legt Zeugnis darüber ab, was existiert. Aber wie die beiden Protagonisten, von denen einer nicht hinsehen will und der andere den Blick nicht abwenden kann, haben wir die Wahl.

Sie haben zuvor zwei James-Bond-Filme inszeniert. Was war komplizierter?

Bond! Bond ist wirklich wie in den Krieg ziehen. Die Produktion ist so komplex, mit mehreren Einheiten, die parallel arbeiten. Man muss sehr genau und strategisch planen. Dieser Film hier war schwierig, aber sehr methodisch und linear. Alleine schon, mit nur einer Kamera zu drehen und nicht mit drei oder mehr, ist wunderbar. Es ist wie in einem Tunnel, sehr konzentriert.

Sam Mendes

(*1965 in GB) begann seine Karriere als Theaterregisseur, sein Debütfilm »American Beauty« wurde u.a. mit fünf Oscars ausgezeichnet. Es folgten »Road to Perdition« (2002), »Jarhead« (2005) und »Revolutionary Road« (2008). Mainstream-Erfolg feierte er mit seinen beiden James-Bond-Filmen »Skyfall« (2012) und »Spectre« (2015).

»1917«

GB/USA 2019, mit Georg McKay, Dean-Charles Chapman, Colin Firth
118 Min. Filmstart: 16.1.