Für den Cast würden Regisseure morden: Jamie Lee Curtis, Chris Evans, Toni Colette, Don Johnson, Michael Shannon u.a.

»Knives Out«

Rian Johnson (»The Last Jedi«) macht Unterhaltungskino ohne schlechtes Gewissen

 

Der Filmemacher Rian Johnson ist so etwas wie der Christopher Nolan des kleinen Mannes. Smart verwinkelte Filme mit doppeltem Boden drehen beide, doch wo Nolan die große Oper beschwört, die hehre Hochwertigkeit seines Werks betont, haftet Johnsons verschmitzten Film-Purzelbäumen immer noch der Rest-Geschmack von Chips und Bier an. Schon klar, dass in Filmen wie »Brick«, »Looper« und auch im vorbildlich das Franchise anrempelnden »Star Wars«-Film »The Last Jedi« mit falschen Karten gespielt wird. Aber während Nolan auf andächtige Bewunderung zielt, stößt Johnson einem augen­zwinkernd den Ellbogen in die Seiten.

Das Kunststück, seinem Publikum auf Augenhöhe zu begegnen und dennoch zwei, drei Schritte voraus zu sein, gelingt ihm mit seinem spaßigen Whodunit »Knives Out« aufs Neue mit Bravour. Wofür sich der Whodunit als das »smarter als Du«-Genre par excellence regelrecht anbietet: Am Ende ist’s halt wer gewesen, und wer es gewesen ist, hat noch selten einer erraten.

Freilich stimmt in diesem Film im Geiste Agatha Christies zunächst einmal alles, aber irgendwie auch nichts: Das adelige Anwesen auf dem Lande atmet englische Verschrobenheit, liegt aber in Massachusetts. Der Ermittler ist zwar Daniel Craig, also Brite und obendrein so quasi auch James Bond, obwohl er mit derbem Ami-Akzent spricht. Natürlich gibt es den Pater familias — Christopher Plummer als immens erfolgreicher Autor durchgeknallter Kriminalromane —, ein erhebliches Erbe von Geld und Urheberrechten sowie eine missgünstige Familie voller Erbgeier, deren Cast so ziemlich jeden Ensemble-Film der letzten Jahre in den Schatten stellt.

Der Pater familias liegt bald tot darnieder. Die Zeichen drängen auf Suizid, doch der Ermittler riecht bald Lunte. Zumal das Testament — kein Whodunit ohne solches — die Enterbung der nahen Verwandten zugunsten der herzensguten Assistentin Marta (Ana de Armas) vorsieht, die unter einem für den Film so entscheidendem wie toll beknacktem körperlichen Handicap leidet: Kommt ihr eine Lüge über die ­Lippen, folgt dem sogleich auch Martas Mageninhalt.

Wie Nolan begreift Johnson Kino als Baukasten voller Erzählklötze, die man interessant neu zusammenstecken kann. Kino als Spielwiese. Was der Whodunit-Krimi hergibt, wird verbogen und zur Kenntlichkeit entstellt. Was etwa dazu führt, dass »Knives Out« seine haarsträubende Lösung nach knapp dreißig Minuten munter ausplaudert und per Rückblick vors Auge führt — Todsünde jedes Krimis, der aber in diesem Falle dennoch knobelig bleibt, da gerade das Haarsträubende der Konstruktion und deren Verdeckung vor allzu neugierigen Blicken zum eigentlichen Spektakel wird. Und Johnson wäre natürlich nicht Johnson, wenn er dabei nicht doch ein Blatt in der Hand behielte.

Dass sich dieser Freude am Spiel mit den Erzählmechanismen noch ein, zwei gallige Bemerkungen über den Stand der Dinge in den USA eingeschlichen haben, sollte einen nicht beirren: »Knives Out« begreift seine Erzählmasse strikt als Konstruktionsmaterial, auf außerfilmische Parameter wie soziale Wirklichkeit oder an der Realität überprüfbare Plausibilität legt der Film nicht so wahnsinnig viel Wert. »Knives Out« ist Unterhaltungskino — aber eben jener Sorte, das auf die Bedürfnisse seines Publikums nicht hinabblickt. Die rege Freude, die auch der sagenhaft zusammengestellte Cast beim Spiel mit den Ticks, Marotten und Abgründen hatte, überträgt sich dabei abriebfrei aufs Publikum.

Man verlässt den Saal nicht als besserer Mensch, nicht mit neuen Erkenntnissen und auch nicht mit neuen Vorsätzen. Man hat lediglich nicht unter Wert zwei Stunden im Kino verbracht und Kino erlebt. In Zeiten der fortlaufenden Ideologie des Zweckrationalen ist das fast schon ein rebellischer Akt.

 

(dto) USA 2019, R: Rian Johnston, D: Daniel Craig, Chris Evans, Ana de Armas, 130 Min.