Grüner wird’s noch: Carlsgarten am Schauspiel Köln

Wie das Orchester auf der Titanic

Wie reagiert die Tanz- und Theaterszene auf den Klimawandel? Bis sich hinter den Kulissen etwas ändere, sagen die Kritiker, sei es noch ein weiter Weg

 

»Etwas ist in mir zerbrochen«, erzählt der Choreograf Jérôme Bel, wenn er in Interviews auf diesen Moment vor fünf Jahren angesprochen wird, in dem sich für ihn und seine Kompanie vieles veränderte. Eine befreundete Programmmache­rin erzählte ihm damals von einer außergewöhnlichen Performance an ihrem Haus zum Thema Ökologie. Das Ensemble: eigens dafür angereist aus Australien. Jérôme Bel, schockiert über die Selbstverständlichkeit, mit der er seine Mitarbeiter um die halbe Welt schickte, trifft daraufhin eine folgenschwere Entscheidung: absolute Flugverweigerung. Seine Stücke zeigt er außerhalb Frankreichs seitdem häufig mit lokalen Tänzern, Proben werden per Skype gemacht — und wenn er und seine Mitarbeiter reisen, dann nur noch mit dem Zug.

Bereits 2015 verschickte die Zeitschrift Die deutsche Bühne einen Fragebogen zum Thema »Wie grün ist das Theater?« an 150 Theaterhäuser — gerade einmal 35 antworteten. Das Berliner Ensemble vermerkte in seiner Antwort, dass sich viele Mitarbeiter überwiegend von Bio-Lebensmitteln ernähren würden. Immerhin 21 der antwortenden Häuser gaben an, bei laufenden oder abgeschlossen Bau- und Sanierungsmaßnahmen ökologische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. In Chemnitz war man zu diesem Zeitpunkt bereits zu einem neuen Modell übergangen: Opernhaus und Schauspiel waren 2014 energiesparend umgerüstet worden. Die Um­bau­kosten von rund 900.000 Euro übernahm nicht die Stadt, sondern ein externes Unternehmen im Rahmen eines Re-Finanzierungs­programms zur Energieeinsparung.

»Es ist ein bisschen wie mit dem Orchester auf der Titanic: Immer weiter spielen«, schreibt Andrea Heinz im April 2019 auf Nachtkritik. Wie viele andere kritisiert sie, dass es in der deutschsprachigen Tanz- und Theaterszene noch keinen um­weltbewussten Umgang gäbe — gerade was Flugreisen zu Festivals, Aufführungen und Konferenzen angeht. Ständig würden Schauspieler, Regisseure, Dramaturgen und Jury-Mitglieder mit großer Selbstverständnis Flugzeuge besteigen.

Auch Mechthild Tellmann, Direktorin des Kölner Tanzfestivals tanz.tausch und Managerin verschie­dener europäischer Kompanien, ist da noch immer eine Ausnahme: Sie hat vor kurzem eine Selbstverpflich­tung unterschrieben, mit der sie verspricht, immer die nachhaltigste und umweltschonendste Reisemöglichkeit zu wählen. Doch das sei manchmal nicht so einfach: »In ein paar Wochen muss ich zu einer Konferenz nach Tromsø, da wäre ich mit dem Zug von Köln aus insgesamt eine Woche unterwegs.« Den Flieger besteigt sie dann nur für eine kurze Strecke innerhalb Norwegens. Aber sind solche Reise überhaupt immer notwendig?

Tatsächlich spielt sich die Klima­politik im Theater auch heute noch vor allem auf der Bühne ab: In ihrem Langzeittheaterprojekt »Die Welt ohne uns« ließ zwischen 2010 und 2015 das Berliner Ensemblekollektiv eine Basilikumpflanze zu den Klängen von Brahms’ »Deutschem Requiem« in der Mikrowelle verdor­ren. Etwa zur gleichen Zeit lud das Dokumentartheater Rimini Protokoll zur »Welt-Klimakonferenz«, bei der das Hamburger Publikum ihre rot-gepolsterten Zuschauerplätze verließ und als nationale Vertreter vom »Szenario Polkappenschmelze« zum »Strategiegespräch« wechsel­te. Und in Zürich zeigt das Theater gerade »Greta«, ein Klassenzimmerstück über ­»Fridays for Future«. Abseits der Bühnen hat bislang kein europäisches Museum, Theater oder Kino die eigene Klimabilanz durchleuchtet oder öffentlich hinterfragt.

»Je moralisierender das Pathos der Kunst, desto schwächer die Be­reit­schaft zur Selbstkritik«, wettert zuletzt Kunstkritiker Hanno Rauterberg in der ZEIT. In seinem Beitrag »Die Kunst der Scheinheiligkeit« kritisierte er im Juli 2019 die Heuchelei der »sozial und politisch« gepolten Kunst, die weniger eine aufklärerische, als eine besänftigende Wirkung entwickle — nämlich das gute Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Rauterberg mahnte damit auch die neoliberale Verwertungslogik der Häuser an, die Wachs­tum — auch in Sachen Spielzeitproduktionen und Besucherzahlen — anstrebe, ohne klimafreundliche Lösungen zu präsentieren. Im Grunde, so gibt er zähneknirschend zu, müsste die Kulturbranche auf mehr Provinzialität statt Internationalismus setzen.

Gerade jetzt bräuchte man aber den Austausch, erklärte ein Dramaturg bei einer Konferenz zum Thema »Theater und Klimwandel« im vergangenen November in Halle. Dazu kommt, dass öffentliche Institutionen oft nicht auf Ökostrom setzen können, weil sie das billigste Angebot akzeptieren müssen — oder teure Landreisen sich auf das ohnehin meist knappe künstlerische Etat niederschlagen.

Das gilt auch für das Kölner Schau­spiel, das sich dem Problem nun aber doch angenommen hat. Auf die Initiative der beiden Ensem­blesprecherinnen Ines Marie Westernströer und Sophia Burtscher hat sich dort eine Arbeitsgruppe gegründet. Das Projekt stecke noch in den Kinderschu­hen, erklärt Doreen Röder, Pressesprecherin des Hauses, doch schon jetzt versuche man umweltbewusster und nachhaltiger mit den Ressourcen umzugehen. Tongeräte werden seit neuestem nicht mehr mit Batterien betrieben, sondern per USB aufgeladen.