Ist wieder gestartet: Saša Stanišić

Er kommt von der Drina

Saša Stanišić schreibt über Herkunft, die keine Rückkehr ist

 

Wer in diesen Tagen über Saša Stanišić schreibt, der muss auch Peter Handke erwähnen. Handke kommt von Tolstoi, Homer und Cervantes und hat viel über Jugoslawien geschrieben. Stanišić kommt von der Drina, einem Fluß in Višegrad, wo er aufgewachsen ist. Heute liegt es in Bosnien-­Herzegowina, damals lag es in Jugoslawien.

»Ich war ein Kind des Vielvölkerstaats, Ertrag und Bekenntnis zweier einander zugeneigter ­Menschen, die der jugoslawische Melting Pot befreit hatte von den Zwängen unterschiedlicher Herkunft und Religion. Dazu muss man wissen: Auch jemand, dessen Vater Pole und Mutter Mazedonierin war, konnte sich zum Jugoslawen erklären, sofern ihm Selbstbestimmung und Blutgruppe mehr bedeuteten als Fremdbestimmung und Blut«, schreibt Stanišić in seinem Roman »Herkunft«, für den er gerade mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Stanišić griff Handke mit seiner Dankesrede an: Dieser habe die Massaker der serbischen Milizen an der bosnischen Bevölkerung in Višegrad im Frühjahr 1992 geleugnet.

»Ich lebe seit dem 24. August 1992, einem Regentag, in Deutschland«, schreibt Stanišić in »Herkunft«. Deutschland, das ist Heidelberg,
wo er mit seinen Eltern nicht in der Altstadt, sondern in einem Hochhaus im Vorort lebt. Die Eltern schufften in schlechten Jobs, der Sohn erlebt die 90er Jahre in der Provinz, wo die Angst vor rassistischen Anschlägen und Abschiebung ein fester Begleiter ist. Schließlich entdeckt er die Literatur, studiert. Der Rest ist Bestsellerliste.

»Erfinden und übertreiben, heute verdienst du sogar dein Geld damit,« sagt Stanišićs Großmutter in »Herkunft« zu ihm. Sie ist im ehemaligen Jugoslawien geblieben, ihr Enkel besucht sie regelmäßig dort, wo es nur »Stolz und Vergangenheit« gibt. Die Großmutter erkrankt an Demenz, ihre Erinnerung verblasst, aber sie verschwindet nicht. Denn Stanišić nimmt von diesen Fahrten Motive mit, die er im Rest seines literarischen Lebens immer wieder aufgreift. Herkunft ist nichts, zu dem man zurückkehrt, sondern von dem aus man startet.

 

Saša Stanišić: »Herkunft«, Luchterhand, 360 S., 22 Euro