Gefunden! Was in Köln gut gelingt – Teil 2

Die andere ­Teilhabe

Das öffentliche Sportangebot ist überraschend vielfältig

Schräg gegenüber vom Tenniscourt rauschen auf dem Basket­ballplatz Bälle durch den Korb, ein paar Meter weiter ächzen Fitnesssportler im Outdoor-Gym unter der Last ihres eigenen Körpers. Auf den umliegenden Wegen drehen Jogger ihre Runden. Der Grüngürtel zwischen Venloer und Vogelsanger Straße ist die beliebteste öffentliche Freiluft-Sportstätte der Stadt. »Die Nachfrage ist riesig, vor allem im Sommer«, sagt Christoph Tobor. Der Filmschaffende ist ein Park-Athlet der ersten Stunde. Vor mehr als zehn Jahren gründete Tobor die »Asphalttenniscrew«. Seitdem kümmert sich die Gruppe um den Betontennisplatz im Grüngürtel, zieht auf dem Spielfeld die Linien nach, wenn die Markierungen verwittert sind, oder vermittelt Spielpartner.

»Auf dem Platz soll jeder spielen dürfen. Wir wollen Fluktuation«, sagt Tobor über den einzigen öffentlichen Tenniscourt in Deutschland. »Bei uns schwingen sämtliche Nationalitäten und soziale Klassen den Schläger.« Regelmäßig richtet die Asphalttenniscrew Turniere aus, Christoph Tobor hat den Platz dafür sogar schon mal mit Flutlichtern ausgeleuchtet.

Köln nennt sich selbst »Sportstadt«. Im Rathaus und beim Stadtmarketing setzt man den Beinamen meist mit dem Spitzensport gleich und preist die Berufsfußballer vom Effzeh oder die Eishockeyspieler von den Haien an. Sportstadt ist Köln aber vielmehr dort, wo die Kölner ihr Sporttreiben selbst in die Hand nehmen. An der Südspitze des Rheinauhafens sorgte eine Gruppe von Skatern dafür, dass mit dem KAP686 ein moderner Skatepark entstand, während die Community in Nippes seit fast zwei Jahrzehnten die »Lohserampe« in Schuss hält. »Die Lohse« und »das Kap« sind zu überregionalen Skatertreffs geworden. In Kalk, auf dem Gelände der ehemaligen KHD-Hallen, ist in den vergangenen Jahren ein BMX-Parcours entstanden. Wen in Köln der Bewegungsdrang packt, der kann die Stadt zu seinem Fitnessstudio machen. Politik und Verwaltung wollen, so heißt es im neuen »Sportentwicklungsplan«, informelle Sportangebote künftig stärker unterstützen. Anschauungsunterricht bekommen sie täglich gratis im Grüngürtel.

Text: Jan Lüke

 

 

 

Konsens gegen Hass

Antifaschismus ist Teil der Kölner Zivilgesellschaft

Einer Sache kann man sich sicher sein: Egal ob AfD-Bundesparteitag oder AfD-Wahlkampfstand, ein Auflauf von rechten Hools oder autonomen Nationalisten — in Köln können sie mit Gegenprotest rechnen. Mal besteht er in einer Handvoll Aktivist*innen von Kein Veedel für Rassismus, mal bringen Antifa-Gruppen, Gewerkschaften, Parteien und das Kölner Festkommittee 30.000 Menschen auf die Straße. »Mit Rechten reden«? Das läuft in Köln nur mit Sprechchören.

Ein Grund dafür ist die Selbststilisierung von Köln als toleranter Stadt. Einfach niemand hat Lust, sich in die Nazi-Ecke zu stellen, selbst die CDU nicht. Was gäbe es dort auch zu gewinnen? Beim »Stammbaum« der Bläck Fööss könnte man in der Kneipe nicht mehr mitsingen, und selbst von den Politik-Nerds im Kölner Rat würde man geschnitten. Dort existiert eine Übereinkunft: Sobald ein Antrag von der AfD oder der rechtsextremen Ratsgruppe Rot-Weiß stammt oder nur mit Hilfe ihrer Stimmen eine Mehrheit erhalten würde, wird er abgelehnt. Das Kölner Bürgertum lässt nicht jeden rein.

Nun hat sich das Bürgertum historisch als eher unbeständiger Partner im Kampf gegen Rechts erwiesen, aber zum Glück gibt es die Kölner Antifagruppen. Sie beobachten die Naziszene bei Aufmärschen und in Sozialen Medien, teils unter Gefahr für ihre körperliche Unversehrtheit, und immer mit der Androhung einer Unterlassungserklärung im Briefkasten. Für uns Journalisten sind sie die wichtigste Quelle über die Kölner Naziszene. Beeindruckend ist dabei ihre Disziplin. Sicher, es gibt Diskussionen über die richtige Strategie, Bündnisse mit bürgerlichen Parteien und die Frage, wie man es mit der israelischen Politik hält. Aber die Kölner Antifa-Gruppen sorgen gemeinsam dafür, dass diese Fragen nicht zu Grabenkämpfen eskalieren. Als Folge dessen können alle Kölner sich freuen. Anders als in Dortmund gibt es nur ein paar versprengte Neonazis, und von allen deutschen Großstädten fährt die AfD hier in der Regel ihre niedrigsten Wahlergebnisse ein. Danke, Antifa!

Text: Christian Werthschulte

 

 

 

Demokratisierte Pracht

Unter Louwrens Langevoort hat sich die Philharmonie zu einem offenen und experimentierfreudigen Ort gewandelt

Es ist gar nicht so leicht, eine Lücke im Probenplan und Konzertkalender der Philharmonie zu finden, um beim Rundgang durch die Backstage-Räume keine Musiker zu stören. 130 Konzerte veranstaltet die Philharmonie im eigenen Haus, hinzu kommen die Auftritte von Gürzenich- und WDR-Sinfonie-Orchester, 70 Konzerte finden außerhalb, in den Veedeln, statt, 50 zum Acht-Brücken-Festival im Mai (davon etwa die Hälfte in der Philharmonie), dann die Vermietungen. Mit dem »FELIX!«-Festival kam 2019 noch ein Festival für Alte Musik hinzu. In der ersten Konzertsaison 1986/87 waren es nur 80 Konzerte.

Wer einen ungestörten Blick hinter die Kulissen und in den Konzertsaal werfen möchte, muss tatsächlich früh am Start sein. So wie wir an einem Freitagmorgen Ende November. Um 9 Uhr führt uns Kommunikationschef ­Othmar Gimpel durch die Räume. Ruhig im Haus ist es um diese Zeit schon lange nicht mehr, Handwerker reparieren, bessern aus, bauen um. Das muss sein, denn die Philharmonie hat ihr Erscheinungsbild seit 33 Jahren nicht geändert. Aber immer noch strahlt sie Gediegenheit aus, festlich, aber zurückhaltend. Im Foyer wirkt sie ein bisschen klobig, aber immer noch angenehm schlicht, viel Holz sorgt für Wärme, der Teppich dämpft die Schritte. Hier hält sich die Philharmonie mit ihren Reizen noch zurück. Erst, wenn man den Konzertsaal mit seinen 2000 Sitz- und einigen Stehplätzen betritt, stellen sich Größe und Erhabenheit ein. Für das enge, zugebaute, unter chronischem Platzmangel ächzende Köln ist das — immer wieder — ein ungewöhnlicher Ort, weit und tief, nichts stört den Blick, man sitzt wie in einem Amphitheater, der Klang scheint überall gleich präsent zu sein. Musik kann diesen riesigen Raum wirklich erfüllen.

Die Eröffnung der Philharmonie war seinerzeit spektakulär. Sie war die Elbphilharmonie ihrer Zeit, nur ohne Kostenexplosion und Verzögerungen beim Bau. Tatsächlich hat erst die Elbphilharmonie die Kölner in puncto Publikumszuspruch abgelöst, 600.000 Besucherinnen und Besucher pro Jahr sind allerdings immer noch ein Spitzenwert. Der Vergleich mit der Elbphilharmonie lässt sich noch in anderer Hinsicht durchspielen: Wie jetzt das Hamburger Haus galt auch einst die Philharmonie als Ausdruck einer elitären, abgehobenen Kulturpolitik. Hier sollten die Stars aus Klassik und Jazz spielen, Glamour für die Weltstadt Köln. Der späte Miles Davis schleppte sich noch auf die Bühne. Große Namen, Leuchtturmprojekte, mit der 1994 ins Leben gerufenen Musiktriennale ein hochdotiertes Festival — Gründungsdirektor Franz Xaver Ohnesorg tat einiges, die Philharmonie als Marke zu etablieren, durchaus im Geist der 80er und 90er Jahre, als öffentliche Kultur vor allem die Größe und Pracht ihrer Auftraggeber widerspiegeln sollte.

Das hat sich geändert, nicht mit einem Knall, sondern allmählich, kontinuierlich. Unter Louwrens Langevoort, Intendant seit 2005, hat sich die Philharmonie Schritt für Schritt geöffnet. Große Namen stehen immer noch auf der Liste, aber es gibt nun einen soliden Unterbau: So wurde 2011 aus der protzigen Triennale das Festival Acht Brücken, das programmatisch klar ist — Neue Musik und Avant-Jazz, mit Ausflügen in den modernen Pop — und die Kooperation mit Musikerinitiativen vor Ort sucht. Das Festival zielt auf Nachhaltigkeit und lokale Verankerung. Das »FELIX!«-Festival folgt, mit dem Blick auf eine ganz andere Epoche, der gleichen Agenda. Noch wichtiger sind aber die zahlreichen Veedels-Konzerte: Musik in Kölner Gegenden, die als kulturfern und trist verschrien sind. Die Konzerte finden im Bürgerzentrum Chorweiler oder im Porzer Engelshof statt.

Auch die Kinder- und Familienkonzerte haben zugenommen. Das geschehe, sagt Othmar Gimpel, nicht zuletzt aus Eigennutz: In den Schulen findet immer weniger musikalische Erziehung statt, auch zu Hause kommen die Kinder kaum noch mit klassischer oder gar Neuer Musik in Kontakt. Das Publikum wächst nicht mehr »natürlich« nach. Mit ihren zahlreichen niedrigschwelligen Angeboten — vor allem was Eintritts- und Abo-Preise betrifft — sucht sich die Philharmonie selbst ihren Nachwuchs. Daraus ist unter der Hand gesellschaftliche Verantwortung erwachsen: Die Philharmonie präsentiert Konzerte, die dem jeweiligen Zeitgeist enthoben sind und die für Weltläufigkeit, ästhetischen Pluralismus und nicht selten auch Experimentierfreude stehen, wie sie zu keinem politisch-populistischen Programm passen würden. Die Agenda die Philharmonie ist antipopulistisch, und sie fährt damit sehr erfolgreich.

Der Erfolg hat aber auch mit ihrer rechtlichen Kon­struk­tion zu tun: Die Philharmonie wird von der Köln­Musik GmbH betrieben. Zwar ist die Stadt Köln zu 90 Prozent Anteilseignerin (der WDR hält die übrigen zehn), aber sie ist keine städtische Institution. In vielen Bereichen muss sie eigenverantwortlich wirtschaften. Der Konzertbetrieb wird nur zu einem Drittel aus städtischen Mitteln finanziert, etwa neun Millionen muss sie selber generieren. Dafür bleiben ihr viele Verstrickungen in die undurchsichtige, intrigante, politisch aufgeladene Bürokratie der Stadt erspart. Die Mischung aus städtischer Förderung und öffentlicher Eigenverantwortung hat sich als richtig ­erwiesen.

Die Philharmonie ist unspektakulär spektakulär gut. Alle neuralgischen Punkte und fragilen Konstrukte Kölns sind in unmittelbarer Nähe, die Nord-Süd-Bahn, der Hauptbahnhof, der Dom, natürlich der Heinrich-Böll-Platz, der — berüchtigt! — stets abgesperrt werden muss, damit die Schritte der Passanten nicht im darunter gelegenen Konzertsaal widerhallen. Und dennoch: Man tritt in den Saal und staunt jedes Mal, wie gut Köln doch klingen kann.

Text: Felix Klopotek

 

 

 

Geht doch! Geht’s noch?

Schluss mit der Schönfärberei. Eine Intervention von Christian Wertschulte

»Fast perfekt! Was in Köln gut läuft«, das hatten sich die ­Kollegen als Arbeitstitel für diese Ausgabe überlegt. Geht’s noch? Das einzige, was in Köln gut läuft, ist die schleichende Gewöhnung daran, dass es woanders immer besser läuft. Und mit »besser« meine ich: »nicht total beschissen«. Aber wenn man sich in den 90ern, als der Pop aus Köln noch gut und die Mieten vergleichsweise günstig waren, eine Wohnung in Ehrenfeld oder der Südstadt gesichert hat, kriegt man das vielleicht nicht mit. Ok, Boomer.

Womit wir schon beim Thema wären: Haben Sie innerhalb der letzten zehn Jahre mal versucht, eine Wohnung in Köln zu finden? Ich hoffe, Sie haben Spaß beim Schlangestehen. Die Kölner Bevölkerung wächst, nur die Zahl von bezahlbaren Wohnungen wächst nicht mit. Das liegt an der Verwaltung, die bei Baugenehmigungen nicht nachkommt. Außerdem wurden in der Vergangenheit mal ziemlich viele Grundstücke verramscht (»Privat vor Staat«). Das fällt der Stadt jetzt auf die Füße.

Dahinter steckt ein größeres Problem: In Köln hat kaum jemand eine Vorstellung davon, wie die Dinge einfach mal nur beständig rund laufen könnten — ohne Superlative und ohne Kata­strophen. Stattdessen wird, wenn es mal nicht gut läuft, gleich ein Zukunftsszenario entworfen, das die Erwartungen, die daran geknüpft werden, kaum erfüllen kann.

Die KVB etwa hat viele Probleme, aber vor allem ist sie für die Fahrgäste zu teuer und unterfinanziert, um für den Bevölkerungsanstieg gerüstet zu sein. Anstatt aber kleine Schritte zur Verbesserung des ÖPNV zu gehen, wird auf der Ost-West-Achse eine Großplanung auf den Weg gebracht, die erst in zwei Jahrzehnten irgendeine Wirkung zeigen dürfte.

Und das ist nicht der einzige Fall: Opernsanierung, Radwege, Feinstaubbelastung, Bürgerbeteiligung, Zwischen­nutzungen — überall, wo kleine Schritte viel bringen könnten, werden sie unnötig verkompliziert oder zugunsten der ­»großen Lösung« in die Zukunft verschoben.

Die Kölner Bevölkerung geht darüber hinweg wie der Hund im »This is fine«-Meme. Sie sitzen beim Kölsch an der Bar und freuen sich, dass sie nicht woanders wohnen, sondern in »der besten Stadt der Welt«. Wenigstens das läuft gut.

Anm. der Red.: Wir veröffentlichen diesen Text aus Gründen der journalistischen Ausgewogenheit