Blootwoosch, Kölsch un #MeToo

Karneval ist das Fest der Enthemmung — und der Unterordnung der Frau? Hier tanzen die Funkenmariechen, und in den Kneipen wird gegrapscht, als habe es #MeToo nie gegeben. Ein weibliches Dreigestirn? Undenkbar. Muss Karneval verbotenwerden? Wir haben Vertreter von Festkomitee und alternativem Karneval gefragt, woran die Gleichberechtigung im Fasteleer scheitert. Und wir haben stereotype Männer- und Frauenkostüme fotografiert.

Was im Kölner Karneval als Sensation gilt, ist für Außenstehende zuweilen schwer nachzuvollziehen. Im vergangenen Jahr reichte die Ankündigung, dass Katja Lavassas bei der Prinzenproklamation auf der Bühne stehen wird. Eine Frau moderiert die »Pripro«, das wichtigste gesellschaftliche Ereignis in Köln! Auch, wenn sie das nicht allein tat, sondern gemeinsam mit Christoph Kuckelkorn, dem Präsidenten des Festkomitees, — so etwas hatte es noch nicht gegeben!

Katja Lavassas ist Puppenspielerin im Hänneschen-Theater und ehemalige Präsidentin der alternativen Immisitzung. Sie ist mit dem Karneval groß geworden, spricht perfekt Kölsch. Trotzdem wirkte sie auf der Pripro wie ein Wirbelwind im Altenheim. Die Reaktionen waren begeistert. Auch Katja Lavassas freute sich, dass sie die Pripro moderieren durfte: »Das war ein symbolischer Akt.«

Auf die Bühne geholt wurde Lavassas von Christoph Kuckelkorn, Chef des Festkomitees und damit mächtigster Mann im Kölner Karneval. Kuckelkorn will, dass der organisierte Karneval nicht den Anschluss verliert. Er macht sich Gedanken über Nachhaltigkeit beim Rosenmontagszug, sucht die Nähe zum alternativen Karneval und hält überall nach Nachwuchs Ausschau. Vor allem nach weiblichem. »In meiner Amtszeit habe ich bisher vier neue Karnevalspräsidentinnen, aber nur einen Präsidenten vereidigt«, sagt Kuckelkorn stolz. »Es freut mich ungemein, dass der Karneval weiblicher wird.« Aber wird er das tatsächlich? Übernehmen Frauen die Männerdomäne? 

Jahrhundertelang feierten Männer und Frauen gleichermaßen Karneval, ohne dass man ihnen dabei bestimmte Rollen zuwies. Erst als die Feiern immer mehr in Exzesse ausarteten und sich 1823 als Reaktion darauf das »festordnende Comité« — das heutige Festkomitee — gründete, wurde Karneval zur Männerangelegenheit. Frauen waren von der Aufnahme in die Gesellschaften ebenso ausgeschlossen wie von Sitzungen und Umzügen. Daran änderte sich auch nicht viel, als Frauen das Wahlrecht erhielten und Männern auch sonst gesetzlich gleichgestellt wurden. Bis 1979 war es Frauen sogar verboten, im Rosenmontagszug mitzulaufen. Noch heute gibt es in Köln knapp zwanzig reine Herrengesellschaften, allen voran die Traditionskorps Rote und Blaue Funken oder die Prinzengarde. Henriette Reker schaffte durch ihre Wahl zur Oberbürgermeisterin Revolutionäres: Sie wurde 2016 die erste Rote Funkin, weil per Statut jedes Stadtoberhaupt aufgenommen wird. Doch sonst bleibt das Machtgefüge unangetastet. Ein weibliches Dreigestirn? Undenkbar. Käme der Karneval vor ein #MeToo-Gericht, seine Schuld stünde außer Frage.

Es gibt kaum Büttenrednerinnen im Karneval, und wenn doch mal eine Frau auf der Bühne steht, trägt sie meist einen kurzen Rock und wirft als Tanzmariechen die Beine in die Luft. Mann-Frau-Witze laufen auf Karnevalsbühnen noch immer am besten. Doch im vergangenen Jahr musste Büttenredner Bernd Stelter feststellen, dass die Zeiten sich geändert haben. Als er einen Witz über weibliche Doppelnamen und insbesondere den von Annegret Kramp-Karrenbauer machte, regte sich nicht nur im Publikum Protest. Vor allem auf Twitter fragte man sich: Wie sexistisch ist eigentlich dieser Karneval?

»Junge Frauen, aufreizend dekoriert, schwingen die Beine, Männer, meist alt, sitzen im Publikum und schauen zu. Das ist irritierend und nicht mehr zeitgemäß«, sagt die Soziologin Yvonne Niekrenz, die ihre Doktorarbeit über den rheinischen Straßenkarneval geschrieben hat. Bundesweit debattiert man in Sportvereinen, ob Cheerleader als attraktive Pausenfüller von Männerveranstaltungen noch zeitgemäß sind. Der Basketballverein Alba Berlin hat sich bereits von seinen Tänzerinnen getrennt. In den Karnevalsvereinen jedoch stehen die Funkenmariechen nicht zur Debatte.

Da wird gegrapscht, und das gilt als normal

Für ihre Studie hat Niekrenz den rheinischen Karneval beobachtet und Interviews geführt. Ihr ernüchterndes Fazit: Im Karneval tritt die gesellschaftliche Unterordnung der Frau wieder zutage. »Karneval ist ja eine stark auf ­Tradition und Historie aufbauende Veranstaltung. Da kommen natürlich auch traditionelle Geschlechterrollen wieder zum Vorschein.« Noch immer geben männliche Büttenredner den Ton an, während Frauen vor allem Staffage sind.  »Wenn der Karneval nicht von gestern sein will, muss er sich mit veränderten Rollenbildern und gesellschaftlichen Bedingungen auseinandersetzen«, sagt ­Niekrenz. »Im Karneval wurde ursprünglich der Anspruch formuliert: Wir sind für alle da, und alle sind willkommen. Aber stimmt das noch?«

Lange Zeit wurde etwa kein großes Aufhebens um das Grapschen in den Kneipen gemacht. Köln halt, hieß es, als seien damit alle Fragen beantwortet. Dann kam die Silvesternacht 2015/16, und plötzlich redeten alle über sexualisierte Gewalt. Auch im Karneval.

Der Straßenkarneval feiert seit jeher den sozialen Ausnahmezustand. Dabei ist der Grat zwischen Bützen fürs Brauchtum und Grenzüberschreitung schmal. »Exzessorientierte Veranstaltungen sind ein idealer Nährboden für sexuelle Übergriffe. Das ist wie in Bayern im Bierzelt. Da wird gegrapscht, und das gilt als normal«, sagt Irmgard Kopetzky vom Verein »Notruf und Beratung für vergewaltigte Frauen«. Kopetzky kennt aus ihren Beratungen viele Frauen, die an Karneval nicht mehr vor die Tür gehen. »Die haben Angst, von männlichen Betrunkenen angefallen zu werden.« Die Kombination aus Alkohol und Kostümierung sei gefährlich: »Unter dem Vorwand, locker zu sein — ›Stell dich nicht so an‹ — versuchen Männer, ihre Grenzüberschreitungen herunterzuspielen.«

Auch K.-o.-Tropfen, die zu Erinnerungslücken und Gedächtnisverlust führen, kommen an Karneval, wie auch über das Jahr verteilt, häufig zum Einsatz. »Das sind nicht nur Fremdtäter in Discos«, erklärt Irmgard Kopetzky. Ge­­rade im sozialen Umfeld ginge es immer wieder um die Kombination mit digitaler Gewalt. »Ich hatte Frauen in der Beratung, die erst über Fotos oder Filme mitgekriegt haben, dass sie vergewaltigt worden sind.« Diese Fälle haben laut Kopetzky in den vergangenen Jahren stark zugenommen. 

Die offizielle Polizeistatistik belegt das: Vergangenes Jahr seien an den Karnevalstagen mehr Sexualdelikte als 2018 angezeigt worden, so ein Polizeisprecher. Konkrete Daten wollte die Polizei nicht veröffentlichen, es ginge um eine Zahl »im mittleren zweistelligen Bereich«: »In jedem Fall kommt es zu deutlich mehr Sexualdelikten als an einem normalen Tag«, so der Polizeisprecher. Dabei kommen viele Übergriffe gar nicht erst zur Anzeige. Häufig meldeten sich Frauen aus Scham erst Monate oder Jahre nach dem Übergriff in der Beratungsstelle, so Irmgard Kopetzky. 

»Sexuelle Übergriffe und Grapschen gehen absolut nicht, und dafür gibt es auch keine Ausrede«, sagt Christoph Kuckelkorn vom Festkomitee. »Das hat mit Fastelovend nichts zu tun.« Allerdings erlebe man diese Probleme seltener bei Kölnern, die mit dem Karneval aufgewachsen seien, glaubt Kuckelkorn. Schuld sei vielmehr der Karnevalstourismus. »Da kommen Menschen nach Köln, die meinen, es gehe beim Karneval nur darum, Frauen aufzureißen und zu saufen. Die Kultur und Tradition dahinter werden völlig ignoriert.« Deshalb habe das Festkomitee schon vor Jahren ein Buch mit dem Titel »Karneval. Wie geht das?« herausgegeben. »Karneval, das muss man lernen.« Irmgard Kopetzky vom Notruf für vergewaltigte Frauen reicht das noch nicht. »In den Karnevalsvereinen sind die Themen Sexismus und sexuelle Gewalt nur vereinzelt angekommen.« In anderen Städten hätten die Gesellschaften deutlich mehr bewegt.

Der organisierte Karneval versuchte sich in der Vergangenheit mit der Devise »Von Zoten frei die Narretei« einen familiengerechten Anstrich zu geben. Peinlich achteten die Vereinspräsidenten darauf, dass ein Mariechen niemals auf dem Schoß eines Karnevalisten zu sitzen kommt. In den 50er und 60er Jahren brachen sich in der Bütt jedoch Vulgärwitze Bahn, die auf einen erheblichen sexuellen Überdruck schließen ließen. In dieser Zeit bekamen die Herrensitzungen das Schweißig-Schmierige, das heute selbst ­leidenschaftliche Karnevalisten erschaudern lässt. »Vor den Herrensitzungen außerhalb von Köln sind wir immer gewarnt worden«, sagt Tanja Wolters, die Ende der 90er Jahre bei den »Höppemötzjer« tanzte. Dort seien sie stets paarweise aufmarschiert statt nach Geschlechtern getrennt, »weil es hieß, dass da gerne mal gegrapscht wird«.

Von 1999 bis 2006 war Tanja Wolters Mariechen bei den Roten Funken und somit die einzige Frau in einem Verein von hunderten Männern. »Die Leute denken immer, dass man da nur angebaggert wird«, sagt sie. Das sei aber nie passiert — im Gegenteil: »Ich wurde auf Händen getragen. Es gibt einen Ehrenkodex in den Gesellschaften, und der wird penibel eingehalten.«

Ein weibliches Dreigestirn? Undenkbar.

Wenn Funkenmariechen nicht mehr tanzen können, ist ihre Laufbahn im Karneval normalerweise beendet — zumindest in den Traditionskorps, denn dort können sie ja kein Mitglied werden. Bei Tanja Wolters aber, die ein Unternehmen für Busreisen führt und die Kölner Bimmelbahn betreibt, fing die Karriere im Karneval dann erst richtig an. Seit dem Sommer 2019 ist sie Präsidentin der Großen KG Frohsinn und damit erst die zweite Frau an der Spitze einer gemischten Gesellschaft. Sie habe nie Widerstände gespürt, weil sie eine Frau sei, sagt Wolters. »Ich hatte immer das Gefühl, ich renne offene Türen ein. Da hat sich in den letzten zwanzig Jahren schon viel verändert.«

»Ich hätte gerne noch viel mehr Frauen in führenden Ämtern«, sagt Christoph Kuckelkorn. »Aber nicht alle wollen sich so exponieren und auf der Bühne den Max machen.« Das Durchschnittsalter in vielen Karnevalsvereinen ist extrem hoch. »Deshalb hängt der Karneval den gesellschaftlichen Entwicklungen immer so eine halbe Generation hinterher«, glaubt Kuckelkorn. Doch der Wandel sei unaufhaltsam. So gebe es zum Beispiel so gut wie keine Herrensitzungen mehr in Köln, denn die wolle keiner mehr sehen. Stattdessen boomen die »Mädchensitzungen«, die man früher Hausfrauennachmittage nannte. »Letztlich ist der Karneval auch nur ein Markt, der auf Nachfrage reagiert.«

Ein weibliches Dreigestirn ist jedoch in weiter Ferne. Hier argumentiert Kuckelkorn wieder mit der Tradition. Das Dreigestirn sei in früheren Zeiten, wie alle Theater- und Bühnenrollen, stets von Männern besetzt worden. Heute sehe man in der von einem Mann gespielten Jungfrau eine »lieb gewordene Persiflage auf die Wirklichkeit«. Lediglich unter den Nazis musste die Jungfrau von einer Frau dargestellt werden, damit der Karneval bloß nicht unter Travestie-Verdacht geriet. »An die Nazi-Tradition möchten wir natürlich nicht anknüpfen«, sagt Kuckelkorn. 

Allerdings hat sich der Karneval nicht von allem verabschiedet, was die Nazis eingeführt haben. Auch die Funkenmariechen wurden zuvor mit Männern besetzt. Hier aber hatte man offenbar Gefallen an den weiblichen Maries gefunden, so dass die Gesellschaften bis auf wenige Ausnahmen auch nach 1945 dabei blieben. Lediglich die Dellbröcker Boore und ihr »Schnäuzer-Ballett« beschäftigen eine männliche Marie, und auch bei der 2014 gegründeten Damengarde Coeln, einer reinen Frauengesellschaft, ist die Marie männlich und tanzt mit einem weiblichen Offizier.

Ein weibliches Dreigestirn sei aber etwas anderes, findet Kuckelkorn. »Prinz, Bauer und Jungfrau sind genauso männlich wie der Weihnachtsmann. Dieses Bild ist einfach in einem drin.« Und dann sei da noch das Problem mit der Logistik. Zöge eine Frau in die Hofburg ein, hätte das Folgen für den gesamten Hofstaat: Eine weibliche Figur im Dreigestirn bräuchte weibliche Adjutanten, die sie anziehen und mit ihr zur Toilette gehen, erklärt Kuckelkorn. Aber die Ehren- und Prinzengarde, die das Dreigestirn Session für Session unterstützen, sind reine Männerkorps. »Um auf das Weihnachtsmannbild zurückzukommen: Man müsste die Rentiere neu besetzen, mit Schwänen oder so. Das wäre ein unglaublicher Aufwand. Das heißt aber nicht, dass es nicht irgendwann mal möglich wäre.«

Aber wie weit kann es mit der Gleichberechtigung im Karneval her sein, wenn es die Strukturen nicht mal erlauben, einen weiblichen Prinzen bei seinen Auftritten zu unterstützen?

Jonathan Briefs, der den traditionellen und den alternativen Karneval gut kennt, hat wenig Hoffnung, dass sich daran bald viel ändert. »Fort Knox und der russische Geheimdienst sind leichter zu entern als das Dreigestirn.« Karneval sei großes Business: Als Prinz, Bauer oder Jungfrau müsse man nicht nur über einen gewissen Wohlstand verfügen, sondern auch über ein berufliches Netzwerk in die Führungsetagen der wichtigsten Kölner Unternehmen und Institutionen.

Für Briefs, der seit mehr als zwanzig Jahren im schwul-lesbischen Karneval engagiert ist, muss das Umdenken im Festkomitee ansetzen, nur so könne sich der Karneval wirklich öffnen. »Wenn dort nicht mehr Frauen an die Macht kommen, wird sich am Sexismus nichts ändern.« Briefs vermisst wirkliche Toleranz auch gegenüber dem schwul-lesbischen Karneval. Da sei der organisierte Karneval wie die katholische Kirche. »Du darfst schwul sein, aber nicht darüber reden. Und erst recht nicht es offen leben.« Vor Jahren gab es mal einen schwulen Prinzen und eine schwule Jungfrau — darauf verweist das Festkomitee immer stolz. »Aber bei der WDR-Prinzen-Proklamation hat er seinen Mann beim Einzug in den Saal nicht geküsst. Das wäre zu weit gegangen.« Die heterosexuellen Prinzen verteilen selbstredend immer Bützje an ihre Frauen.  Briefs erinnert auch daran, dass das Festkomitee und KölnTourismus in den vergangenen Jahren massiv Werbung für den Straßenkarneval gemacht haben. Das habe dessen Image geschadet, zu lange sei nur der Wirtschaftsfaktor gesehen worden, und nicht die Geister, die  geweckt wurden. Karneval setzt laut einer Studie des Festkomitees vom 11.11. bis Aschermittwoch rund 600 Millionen Euro um. »Komasaufen, Stadtverschmutzung, sexuelle Übergriffe. Ich wohne in der Nähe des Zülpicher Platzes. Das ist keine freundliche Übernahme, sondern eine Besetzung«, sagt Briefs. 

Im alternativen Karneval sind Präsidentinnen schon immer Normalität. Katja Lavassas, die erste Moderatorin der Prinzenproklamation, war vier Jahre lang Präsidentin der alternativen Immisitzung. Auch bei der Stunksitzung, die sich 1983 als Gegenbewegung zum offiziellen Karneval gegründet hat, löste Biggi Wanninger Jürgen Becker ab und führt seit mehr als 20 Jahren das Regiment.

Katja Lavassas steht gerne auf der Bühne, ihre Themen sind Frauen und Rassismus, ihr Vater stammt aus Kamerun. Bei einer Manuskript-Besprechung wurden ihr Vorschläge gemacht, wie sie sich in ihrer Präsentation bezeichnen oder inszenieren sollte. »Eine leider völlig ernst gemeinte Idee war: Schoko-Törtchen und lecker Kotelett. Wenn das ein Mann vorschlägt, ist das nicht charmant-witzig, sondern ein Unding.« Grundsätzlich gälten für Frauen auf der Karnevalsbühne andere Maßstäbe als für Männer.  »Ich kann sehr nach vorne gehen auf der Bühne. Da wird mir schnell der Vorwurf gemacht, ich sei aggressiv. Männer dürfen das, Frauen gelten als aggressiv — oder noch schlimmer — als hysterisch.«

So sehr sie sich an den Traditionen im Sitzungskarneval stört, wenn es um den Straßenkarneval geht, wird auch Katja Lavassas traditionsbewusst und sieht ein Kölner Kulturgut bedroht. »Bei dem ganzen Ballermann-Kommerz werde ich altmodisch. Es geht nur noch darum, die Sau rauszulassen.« Da versteht sie den offiziellen Karneval, der an Traditionen festhält. »Aber vieles ist auch entstanden, als Frauen kaum eine gesellschaftliche Rolle gespielt haben. Solche Traditionen braucht kein Mensch. Da muss der Karneval im Hier und Jetzt ankommen.«

Frauen gesteht man nur wenige Themen zu

Marita Koellner kennt den Karneval noch aus ganz anderen Zeiten, sie steht seit 53 Jahren auf der Bühne. Ihre Karriere begann sie als eine von ganz wenigen Büttenrednerinnen. Als Frau gestand man ihr nur wenige Themen zu: »Ich durfte die Politik nicht berühren. Auch Zoten gingen nicht, da pfiff mich der Präsident sofort zurück.« Dank junger Kolleginnen wie Carolin Kebekus habe sich das inzwischen geändert. »Aber Frauen haben noch nicht den Stellenwert, den sie verdienen.« Viele Sitzungsleiter nähmen noch heute keine Frauen ins Programm, »oder höchstens eine, dann ist genug.«

Koellner käme es nie in den Sinn, sich als Karnevals­kritikerin zu profilieren. »Die Tradition ist wichtig, darum geht es beim Karneval«, sagt sie. Sie ist Ehrenmitglied bei den Roten Funken, und »auf meine Funken lasse ich nichts kommen«. Trotzdem wird sie immer wieder unsanft darauf gestoßen, dass sie nie ganz dazugehören wird. Vor einigen Jahren wollte sie bei den Roten Funken im Rosenmontagszug mitlaufen. »Das ist so ein Kindheitstraum von mir. Ich hätte mich auch abgeschminkt und als Mann verkleidet!« Doch sie durfte nur als Marketenderin auf dem Wagen mitfahren. »So ist das eben bei den Traditionskorps«, sagt Koellner.

Seit Jahren tritt Koellner mit der Stattgarde Colonia Ahoj auf, die ihre Wurzeln im schwulen Karneval hat. Dort fühle sie sich pudelwohl, weil sie endlich keinerlei Vorurteile spüre, sagt Koellner. »Die Stattgarde ist die einzige Gesellschaft, wo du als Frau genommen wirst wie ein Mann.«

Inzwischen hält Koellner keine Büttenreden mehr, stattdessen singt sie. »Jetzt setze ich das musikalisch um, was ich als Rednerin nicht durfte.« Ihren größten Hit hatte sie 1988 mit »Denn mir sin kölsche Mädcher«: »Denn mir sin kölsche Mädcher / hann Spetzebötzjer an / Mir lossen uns nit dran fummele / Mir lossen keiner dran.«

Den Refrain hat Koellner schon als Kind mit ihrer Oma gesungen, bevor sie mit Henning Krautmacher von den Höhnern ein Lied daraus machte. Erst mit der Zeit sei ihr die ganze Bedeutung klar geworden, sagt sie. »Heute, wo es so vielen nur darum geht, Frauen aufzureißen, singe ich das mit ganz anderer Inbrust.« Als Frauen das Lied auf den Demos nach den Silvesterübergriffen sangen, war Marita Koellner stolz. »Wir wollen feiern, aber wir lassen uns nicht angrapschen!«

 

 

 

»Das Höchste, was du erreichen kannst«

Wie wird man eigentlich Funkenmariechen?

»Wer den Karneval nicht kennt, hat dieses Bild von jungen Mädchen in kurzen Röcken im Kopf, die alten Männern etwas vortanzen. Aber das stimmt nicht. Die allermeisten Tanzgruppen sind ja gemischt. Das ist eine ganz eigene Szene, im Grunde wird man da reingeboren. Meist sind die Tanzgruppen den Karnevalsgesellschaften angeschlossen. Die einen machen traditionellen Tanz in ebenso traditionellen Kostümen. Bei den anderen geht es vor allem um Akrobatik. Der Kern bei allen ist aber die Gemeinschaft. Die Eltern brauchen sich keine Gedanken zu machen, wo ihre Kinder mit 18, 19 Jahren herumspringen. Sie wissen immer, wo die Kinder sind, und es bilden sich viele Freundschaften, auch unter den Eltern. Viele Mädchen in den Tanzgruppen träumen davon, irgendwann Mariechen beim Traditionskorps zu werden. Das ist das Höchste, was du erreichen kannst. Da gibt’s richtige Auswahlverfahren, mit drei Bewerbungsrunden. Du musst vortanzen, aber sie wollen dich auch als Person kennenlernen, ob du reden kannst und mit Leidenschaft bei der Sache bist. Und dann geht es mit der Trainingsphase los, Minimum dreimal die Woche. Und du wirst nach und nach ins Korps eingeführt, lernst alle kennen. Viele Karnevalsgesellschaften haben ja Nachwuchsprobleme, aber die gibt es im Tanzsegment kaum. Selbst an Tanzoffizieren herrscht kein Mangel.«

Protokoll: Anne Meyer

 

 

 

 

Humor ist, wenn er lacht

Warum Büttenrednerinnen noch immer die Ausnahme sind

»Sexismus kann man aufschlüsseln in Vorurteile und Macht. Das passt genau auf den Karneval. In meiner Zeit als Ausbilder im literarischen Komitee stellte sich 2013 oder 2014 eine Frau in der Rolle einer Spielerfrau vor. Wenn es für die Newcomer auf der Bühne gut läuft, haben sie nach ihrer Präsentation 40 bis 60 Auftritte in der Tasche. Ich fand die Spielerfrau sehr gut. Ein astreiner Text. Aber bei ihrer Präsentation sagte sie drei Sätze, und der Saal war wie ein Kühlschrank. Sie ist auf der Bühne erfroren, von den Männern im Publikum in Grund und Boden geschwiegen worden. Ihr Problem: In ihrer Rolle als Spielerfrau wollte sie dem männlichen Publikum pointiert den FC erklären. Sie war klug, witzig, sah gut aus und war vor allem gut in ihrer Rolle. Das war eine wunderbare Kombination, nicht aber für die Männer im Karneval. Also in dem Fall die Präsidenten und Literaten der Traditionsvereine, die bei einer Karriere für Büttenredner*innen das Sagen haben. Sexismus im Karneval hat mit Statusverhalten zu tun. Als Putzfrau dürfen Frauen auf der Bühne auftreten, oder als »dümmste Praline der Welt«, nicht aber als Spielerfrau auf Augenhöhe. Weil die Männer sich nicht von Frauen die Welt erklären lassen wollen. Das ist astreiner Sexismus. Das wird auch immer so bleiben.«

Protokoll: Anja Albert

 

 

 

 

Hilfe für Jeckinnen

Das Projekt »Edelgard« bietet Mädchen und Frauen Unterstützung bei sexuellen Übergriffen

»Edelgard geht auf die Silvesterübergriffe von 2015/16 zurück. Wir wollten die Gelegenheit, dass sexualisierte Gewalt plötzlich so stark diskutiert wurde, nicht verstreichen lassen, sondern etwas Positives davon ableiten. So konnten wir 2016 Edelgard starten, eine Kampagne der »Kölner Initiative gegen sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum« — einerseits mit mittlerweile 135 schützenden Orten, wo Frauen Zuflucht finden können, wenn sie sich akut belästigt oder bedroht fühlen. Zum anderen bieten wir bei Großereignissen wie Silvester, Karneval oder den Kölner Lichtern mit unserem Edelgard-Mobil direkt in der Stadt Hilfe an. Inzwischen ist das Edelgard-Mobil ein akzeptiertes Angebot im Sicherheitkonzept der Stadt. An Karneval stehen wir mitten im Kwartier Latäng, Tag und Nacht, denn man weiß nie, wann etwas passiert. Alleine durch unsere Anwesenheit steigt das Gefühl von Sicherheit.
An der Initiative sind Einrichtungen beteiligt, die seit Jahrzehnten zum Thema sexualisierte Gewalt arbeiten. Etwas wie Edelgard haben wir schon viel früher gefordert. Nach den Silvesterübergriffen hatten wir plötzlich Rückhalt. Auch die Haltung der Frauen hat sich zum Glück geändert. Sie sagen: Ich bin nicht verantwortlich, wenn mir jemand etwas antut, auch wenn ich ein sexy Krankenschwesterkostüm anhabe. Niemand hat das Recht, mich zu belästigen.«

Protokoll: Anja Albert