Stichwahl sticht

Das Wahlrecht darf nicht zum Spielball ­machtpolitischer Interessen werden

Das kommunale Wahlrecht schlägt den nächsten Haken. Das ­Verfassungsgericht Nordrhein-Westfalen kassierte den Beschluss der schwarz-gelben Landesregierung, bei der Kommunalwahl im Herbst die Stichwahlen abzuschaffen, wenn im ersten Durchgang keiner der Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters oder Landrats eine absolute Mehrheit erreicht. SPD und Grüne hatten dagegen eine Verfassungsklage eingereicht — mit Erfolg.

Die Stichwahl hat im Landeswahlrecht eine wechselhafte Geschichte: von der SPD 1994 eingeführt, von der schwarz-gelben Regierung um Jürgen Rüttgers 2007 abgeschafft und von Rot-
Grün 2011 wieder eingeführt. Die Landesregierung hatte mit der Abschaffung der Stichwahl die demokratische Legitimation der OB-Wahlen stärken wollen. Ihr Argument: Eine Stichwahl weist eine geringere Wahlbeteiligung auf als ein erster Wahldurchgang, im Schnitt knapp 33 Prozent. Die Opposition argumentierte, dass ohne Stichwahl Bürgermeister mit nur einem Viertel der abgegebenen Stimmen gewählt werden könnten.

Die Argumente der Landesregierung greifen nicht: Bei der letzten Kommunalwahl gingen 94 Entscheide in die Stichwahl. In zwei von drei Wahlen erhielten die Sieger mehr Stimmen als im ersten Durchgang — trotz durchschnittlich geringerer Wahlbeteiligung. Vielmehr steckt parteitaktisches Kalkül hinter dem Bestreben: In 24 Stichwahlen lag im zweiten Durchgang ein anderer Kandidat vorne als im ersten, in 17 Fällen zu Ungunsten der CDU. Die Stichwahl brachte die CDU um massiven Einfluss. Es entsteht der Eindruck, dass das Wahlrecht zum Spielball machtpolitischer Interessen werden sollte.

Kölns OB Henriette Reker nannte das Urteil eine »gute Tat für unsere Demokratie«. Für die Wahl in Köln könnte sie unbedeutend sein: Es ist wahrscheinlich, dass Reker der erste Wahlgang ausreicht. Schon 2014 hatte die Parteilose bei einer Beteiligung von knapp über 40 Prozent eine absolute Mehrheit erreicht (52,66 Prozent). Acht Monate vor der Wahl fehlt es diesmal an aussichtsreichen Gegenkandidaten. In Zukunft könnte das Urteil auch für Köln bedeutsam werden. In einem stärker ausdifferenzierten politischen Spektrum macht die Stichwahl weniger wahrscheinlich, dass extreme Positionen dem höchsten politischen Amt nahekommen. Die Haltung gegen Rechts ist der letzte breite Konsens der Kölner Politik.