Das Sürther Feld in Rodenkirchen

Tendenz zum Drittauto

Das Sürther Feld in Rodenkirchen gilt als Familienviertel mit gelungener

sozialer Durchmischung. Jetzt wird der nächste Bauabschnitt geplant —

und viele sind sich unsicher, ob es wie bisher weitergehen kann.

Anfang Januar stehen im Sürther Feld noch etliche Weihnachtsbäume, nicht nur in den Neubauten, sondern auch davor: in einigen der bislang unbepflanzten Baumbeete. Die Bewohner sagen, in manchen Straßen sei es mittlerweile gar Tradition, die Bäume vor Weihnachten gemeinsam zu schmücken. Überhaupt werde viel zusammen gefeiert. Zwei Mütter berichten von spontanen Grillabenden vor den Häusern, bei denen »das Steak von rechts, die Weinschorle von links« gereicht wurden. Auf einem ehemaligen Acker ist ein neues Veedel entstanden, innerhalb der Großstadt und doch nah am Grünen. Auch der Rhein ist nicht weit. Die junge Nachbarschaft im Neubaugebiet, das verwaltungstechnisch zu Rodenkirchen gehört, aber näher am dörflichen Sürth liegt, ist gesellig.

Wie es im Sürther Feld heute aussieht, wurde vor mehr als 20 Jahren entschieden. Dieter Maretzky von der Bürgervereinigung Rodenkirchen erinnert sich noch an Diskussionen aus der Zeit davor. In den 60er Jahren sollte das ­Zentrum der damals noch eigenständigen Stadt auf das Sürther Feld verlagert werden, samt neuem Rathausbau und Wohnungen für bis zu 10.000 Menschen. »Planereuphorie« nennen manche diese Phase des modernen ­Städtebaus. Mit der Hochhaussiedlung in Meschenich hatte Rodenkirchen allerdings schon gezeigt, dass diese schnell schwindet, wenn das Gebaute den menschlichen Bedürfnissen nicht gerecht wird. Und so wurde aus den Plänen für das Sürther Feld erst einmal nichts, auch in
den Jahren nach der Eingemeindung 1975. Dann fand die Gesamtschule Rodenkirchen und die Bezirkssportanlage am Rande der landwirtschaftlichen Fläche Platz. Die Idee eines Wohngebiets auf dem freien Feld ringsum war jedoch nie ganz begraben. Schließlich fasste der Rat den Beschluss, das Gebiet in drei Abschnitten zu bebauen, weit weniger dicht und mit reichlich Grün.

In der Zwischenzeit hatte sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt enorm verschärft. Die Politik streitet deshalb über den noch unbebauten dritten Bauabschnitt. Dort sollen nach den bisherigen Plänen unter anderem weitere freistehende Einfamilienhäuser und Doppelhaushälften gebaut werden. Ob das noch zeitgemäß ist, diskutieren die Ratsfraktionen derzeit.

Die Häuser in den ersten beiden Abschnitten sind weitgehend fertig. 280 Wohnungen (davon 120 mit Wohnberechtigungsschein), 250 Einfamilienhäuser, Doppelhaushälften und Reihenhäuser: Damit ist die Stadtverwaltung heute sehr zufrieden. Sie seien ein »wichtiger Beitrag zur Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum«. Durch die gemischte Bebauung sei eine »sozial stabile Bewohnerstruktur« erreicht worden. Insbesondere jungen Familien und Älteren werde das Gebiet gerecht.

»Wahnsinnig familienfreundlich«, urteilt Sebastian Erlhofer. Wie viele Nachbarn ist er mit kleinen Kindern eingezogen. Der Alltag, die Bedürfnisse, die Freizeitgestaltung und die Probleme ähneln sich: »Auf welche Schule gehen die Kinder, Babysitten, Handwerksgeräte, Schub­karren: Wir haben alle die gleichen Themen«, sagt Erlhofer. Gemeinsam mit anderen Bewohnern hat er eine lose ­organisierte Initiative ins Leben gerufen, um gemeinsame Anliegen zu vertreten. Er will nicht klagen. Im Großen und Ganzen sei es erstaunlich, was in den vergangenen Jahren entstanden sei. Zwei Kitas sind bereits eröffnet. Den Bedarf decken sie nicht. Eine Grundschule und ein Gebäude für die Offene Schule Köln sollen in den nächsten Jahren folgen, wenn viele Eltern bereits auf der Suche nach einem Platz an den weiterführenden Schulen sind.

Auf den meisten Straßen des Quartiers sind am Nachmittag Kinder zu sehen: spielende Kleinkinder mit von der Straßenkreide eingefärbten Händen, Schulkinder, die auf dem Weg nach Hause Pläne für den nächsten Tag schmieden, Mütter und Väter, die Kita-Kinder nach Hause schieben, Kinder auf Rollern und Rädern. Statt sterilem Neubau­charme versprüht das Sürther Feld viel Lebendigkeit.

Dazu tragen auch drei Gebäude bei, die Wohnraum für Menschen bieten, die auf dem Wohnungsmarkt weniger Chancen haben. »Inklusiv wohnen« heißt die Initiaitve von Christiane Strohecker. Die GAG hat für sie ein barrierefreies Haus gebaut, in dem Studenten mit Menschen mit Behinderung zusammen in WGs wohnen, in kleinen Wohnungen und vier größeren, frei vermieteten Wohnungen. »Wir sind keine Exoten hier. Zumindest erleben wir das nicht so«, sagt Strohecker. Unter ihren Bewohnern seien trotzdem Leute, die es sonst in solchen Vierteln nicht geben würde.

Die soziale Mischung mag stabil sein. Das Gebiet sei mit seinen Grundstückspreisen aber für eine gewisse Klientel attraktiv, sagt Erlhofer. Dennoch sei es »kein zweites Hahnwald«. Nebenan wohne »der Feuerwehrmann« und auch »die Krankenschwester«, nicht nur »Anwälte«. Er lobt den offenen Umgang miteinander, wenngleich er anmerkt, dass viele Bewohner berufstätig und mit ihren Kindern ausgelastet seien. Auch das Engagement für die gemeinsame Initiative sei eher anlassbezogen. Derzeit diskutiert das gut vernetzte Viertel in Whatsapp-Gruppen und auf gelegentlichen Versammlungen über die Ausfahrt im Süden der noch baumlosen Mittelallee. Dort, wo der dritte Bauabschnitt geplant ist, stehen zwei Verbotsschilder, die lediglich dem Bus die Durchfahrt erlauben. Daran halten sich nur wenige Autofahrer, trotz der Mahnung einer fast lebensgroß auf einem Schild abgebildeten Polizistin mit erhobener Hand.

Obwohl es inzwischen eine Bushaltestelle im Quartier gibt und die KVB-Linie 16 nur rund zehn Minuten Fußweg entfernt hält, stellt das Auto das Hauptverkehrsmittel für die Bewohner dar. Erlhofer bescheinigt seinen Nachbarn eine »Tendenz zum Drittauto«. Entsprechend rar seien die Parkplätze im neuen Viertel, trotz einiger Garagenhöfe und den zahlreichen Tiefgaragen. Car Sharing? Fehlanzeige. Autofreie Bereiche gibt es nur in den Innenhöfen. Auch Supermärkte sind im Viertel bislang nicht vorgesehen. Sogar einen Kiosk suchen die Bewohner noch vergeblich.

Zum Straßenbild gehören deshalb auch die Lieferwagen der Getränke- und Lebensmittelhändler. Die Stadtplaner hatten eigentlich Einzelhandel für den neuen Stadtteil vorgesehen. Die stadteigene Entwicklungstochter »Moderne Stadt« hatte vor einigen Jahren einen Entwurf vorgelegt für ein städtisches Grundstück an der zentralen Zufahrtsstraße zum Sürther Feld. Allerdings soll damals eine Einigung über den Preis nicht möglich gewesen sein. Dann wurde das Grundstück für eine Flüchtlingsunterkunft, und später auch für die Containerklassen der Gesamtschule genutzt. Derzeit gebe es wieder Gespräche mit potenziellen Investoren, teilt die Stadt mit.

Dem Grundstück kommt eine besondere Bedeutung zu. Es grenzt an die Sürther Straße, eine der wichtigen Ausfallstraßen zur Autobahn nach Süden. Auf der anderen Seite betreibt die Diakonie Michaelshoven verschiedene soziale Einrichtungen, die ein eigenes kleines Quartier bilden. Auch dort werden neue Wohnungen gebaut, im Januar zogen die ersten Mieter ein. Sie können die Hilfsangebote der Diakonie nutzen. Die Kita der Diakonie, die kulturellen und kirchlichen Veranstaltungen, der Kiosk und ein neues Restaurant in Michaelshoven würden von den Bewohnern des Nachbarquartiers rege genutzt, teilt die Presseabteilung mit. Dadurch sei eine »enge Verbindung« entstanden.