Schon Luft geholt? Bendik Giske

Da bleibt die Puste weg!

Saxofonist Bendik Giske inszeniert den Atem

Bildungsbürgers liebste Effekhascherei heißt dieser Tage Zirkularatmung: Anstatt auf die natürlichen Grenzen des Lungenvolumens begrenzt zu sein, legen geübte Bläser Luft im Mundraum als Reservoir an und setzen sie dann ein, wenn der Gaumen schon geschloßen wurde um über die Nase die Lunge wieder zu füllen. Muss man natürlich viel und lange üben, doch die zahlreichen Didgeridoo-Spieler in Deutschlands Einkaufsstraßen zeigen, dass das auch kein Teufelswerk ist. Lange andauernde Töne ohne Pause sind das Ergebnis, erzeugen Ahs und Ohs, der Dämon des Smooth-Jazz‘, Kenny G, setzte sich damit ein Denkmal: Mit einem 45 Minuten und 47 Sekunden dauernden Ton landete er im Guinnessbuch. Man munkelt, es sei sein bestes Solo gewesen. Doch vermag diese Zirkusttechnik in den richtigen Händen tatsächlich »Atemberaubendes« zu bewirken. Der britische Free Jazzer Evan Parker spielt so hinreißend wie schroff, Colin Stetson bläst derweil minutenlang sein Basssaxofon und drönt wie ein Metall-Konzert — und der neue Stern am Firmament vereint gleich alles: Jazz, Avantgarde und Club-Musik. Es ist Bendik Giske.

Giske stammt aus Oslo, lebte aber auch einige Zeit in Bali (wo er mit dem Didgeridoo in Kontakt kam) und stand lange Jahre seinem Saxofon recht kritisch gegenüber. »Sobald man eine Melodie spielt, steigt man ein in die lange Geschichte des Instruments«, erzählte er letztes Jahr in einem Interview. Er wollte sich in diese nie einreihen. Den Wendepunkt und -ort in diesem Verhältnis stellt, wie so häufig in den letzten Jahren in den Vitae von jungen, coolen Musikern, das Berghain dar. Einige Nächte in diesem legendären Ort später war Giske versöhnt mit dem Holzblasinstrument. Er erkannte eine inhärente Nähe zwischen den Sounds des Clubs und jenen mit denen er seit längerem experimentiert hatte. Außerdem konzilierte die teils offen gelebte Fetisch-Kultur des Berliner Clubs Giske mit seinem eigenen Körper. Seine Musik sollte zur Verlängerung seiner fluiden Identität werden. Das Ergebnis heißt vieldeutig »Surrender«, es ist Giskes Debüt auf dem Osloer Szene-Label Smalltown Supersound und kam Anfang
2019 raus.

Aufgenommen mit unzähligen Mikrofonen, die am Korpus seines Saxofons montiert wurden — ohne Backingtrack oder Overdubs —, entstehen somnambule Drones und weit ausgreifende Wellen, körperlich wirken, Mark und Bein durchdringen. Genremäßig lässt sich das kaum einordnen; im King Georg, das nunmehr ein Jazzclub ist, wähnt sich das erste Konzert des Osloers in Köln aber sicher nicht am falschesten Ort.