Autonome Zellen: Sebastian Gramss (links oben) und Genossen

Diskurse aufbrechen

Sebastian Gramss will mit »Hardboiled Wonderland« musikalischen Widerstand organisieren

Wenn jemand »den Elfenbeinturm verlassen will«, dann ist das für gewöhnlich einer dieser Nullsätze. Man sollte doch dankbar sein, dass es in der Welt von Twitter und Insta­gram überhaupt noch Elfenbeintürme gibt! Aber wenn Sebastian Gramss das sagt, ist das in der Tat ungewöhnlich: Der Kölner Bassist und Komponist ist seit 25 Jahren einer der wichtigsten Vertreter der Jazz- und Improvisationsszene — nicht nur in Köln. Seine Projekte — zuletzt das Kontrabassorchester »Bassmasse« — sind so ungestüm wie nonkonformistisch und bestimmt nicht zeitgeistig. Für seine Eigenwilligkeit ist er bekannt, Gramss’ Musik ist mehrfach preisgekrönt. Warum also den Elfenbeinturm verlassen?

Es geht ihm um eine politische Intervention. »Die poetische Tiefe der Musik«, wie er es nennt, kann dabei helfen, einen »Widerstandspunkt zu finden«. Die Mittel der musikalischen Avantgarde und Improvisation sollen eingesetzt werden, um verkrustete ideologische Diskurse aufzubrechen.

Gramss hat in den letzten Jahren den Wahnsinn um uns herum gesichtet: den Mob, der durch die sozialen Netzwerke tobt; den europäischen (deutschen) Zynismus, liberale Politik im Inneren mit brutaler Abschottung nach außen zu kombinieren; das Sterben der Flüchtlinge im Mittelmeer; die Internationale der Populisten und Neofaschisten. Er hat das buchstäblich gesichtet: Er hat Texte gesammelt und sie vertont, eingebaut in eine Collage aus Klängen und Stimmen, die die Absurdität hiesiger Politikverhältnisse zur Kenntlichkeit entstellen will.

Hardboiled Wonderland nennt sich das Projekt, für das er eine Combo zusammengestellt, musikalische Gäste eingeladen, Sprecherinnen und den Chor Les Saxosythes engagiert hat (unterstützt wird er dabei vom Gitarristen Rodrigo Lopez-Klingenfuss). Auch ein Moderator ist dabei, Jürgen Wiebicke vom WDR, denn nach den Konzerten wollen die Musiker mit dem Publikum ins Gespräch kommen. Für Gramss ist es ein »Pilotprojekt«, eine offene Versuchsanordnung, die wachsen und verbindlich arbeiten soll.

Er möchte mit Hardboiled Wonderland bis zur Grenze der musikalischen Darstellbarkeit gehen: Es werden Texte vorgetragen, sagt er, da verbiete sich jede musikalische Begleitung. Etwa wenn Seawatch-Kapitäne von der Situation im Mittelmeer berichten. Über die Darstellbarkeit der Not radikal zu reflektieren sprengt schließlich den künstlerischen Rahmen: Es ist dann Nicht-Musik für nicht-soziale Zustände.