Das Museumspersonal (die Hunde sind Kunst): Tillmann zwischen Bettina Gruber (li) und Maria Vedder, 1986 | © Nachlass Ulrich Tillmann

Die Subversion der Fiktion

Das Klaus Peter Schnüttger-Webs Museum brennt im Kolumba ein Feuerwerk an Kunst-Fakes ab

Es war 1986, diesem für Köln so folgenreichen Jahr. Die Kunstmetropole strebt mit dem großen Sammler Peter Ludwig und dem nach ihm benannten Museum ­Ludwig als Flaggschiff ein internationales Profil an, alternative Kunsträume konkurrieren mehr oder weniger anarchisch mit der bereits boomenden Galerienszene. Und im Herbst, genauer: am 6. September 1986, wird das »Klaus Peter Schnüttger-Webs Museum« gegründet. Zeitlich parallel zur feierlichen Eröffnung des Museum Ludwig-Neubaus am Dom reüssiert das KPSW-Museum am nördlichen Stadtrand Kölns mit einer subver­siven Konkurrenz-Vernissage, an­geleitet von Gründungsdirektor Ulrich Tillmann. Dem selbsternannten Leiter des neuen Museums in Volkhoven obliegt die Verantwortung für die Kunst-Kollektion des — nie leibhaftig gesehenen — Sammlers Klaus Peter Schnüttger-Webs. Das Museum wird nach der Eröffnung sofort wieder geschlossen, »wegen der enormen Folgekosten«.

Spätestens an dieser Stelle dürften sich selbst Kunstaficionados fragen: Wo gab es in Volkhoven je ein Museum? Welcher Museumsleiter ernennt sich selbst? Alles Fake? Der Gründungsdirektor Ulrich Tillmann jedenfalls nicht: Der 1951 geborene Foto- und Konzeptkünstler arbeitete parallel zu seiner KPSW-Direktorentätigkeit als Kurator und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Museum Ludwig für die Fotosammlung; er verstarb, 67-jährig, im vergangenen Jahr. Tatsache ist ferner, dass es in Volkhoven ein recht kurioses Bauwerk gab und gibt: Die Architekten Busmann+Haberer errichteten für das von ihnen gebaute Museum Ludwig dort einen Probebau, um die Lichtverhältnisse zu testen — eine Art Architektur-Dummy, der unter dem Namen Simultanhalle mehrere KPSW-Schauen erlebte und heute noch junge Kunst zeigt.

Geniale Kunstfigur

Eine geniale Erfindung hingegen ist die Kunstfigur Klaus Peter Schnüttger-Webs, seine Sammlung Fiktion. Alle Kunstwerke der in Ausstellungen gezeigten KPSW-Sammlung waren Arbeiten von Ulrich Tillmann und den befreundeten Künstler*innen. Überhaupt liegt der Reiz des Projekts darin, die Fiktion liebevoll, selbstironisch und subversiv zugleich bis ins Detail zu perfektionieren, die eigenen Spuren zu verwischen und dabei die Mechanismen und Standards des Kunstbetriebs so artig zu erfüllen, dass die Frechheit aus dem Hinterhalt zuschlägt. Auch dass der Name Schnüttger-Webs an den Sammler und Namensgeber des Kölner Schnütgen-Museums erinnert und man das komplizierte Akronym KPSW irgendwie mit Kommunistischer Partei assoziiert — alles pure Absicht.

Zu den begehrtesten Insider-Tipps in der Kölner Kunstwelt zählten die schrägen KPSW-Events dann nicht nur in den 80er Jahren, sondern über Jahrzehnte. Offenbar tun sie es posthum auch heute noch: Als »Ausstellung in der Ausstellung« ist im Ostturm von Kolumba seit September eine faszinierende Präsentation aus dem KPSW-Kosmos zu sehen. Nicht nur als Leihgabe: Ein Drittel der Exponate gehört zur Nachlass-Schenkung des Künstlers an das von ihm stets geschätzte Haus. So wird Klaus Peter Schnüttger-Webs auch künftig in den Kolumba-Ausstellungen präsent sein und für produktive Verwirrung sorgen.

Institutionenkritik und Klamauk

Den anarchischen Geist des Projekts kann man in der aktuellen Ausstellung anhand zahlreicher Exponate erleben. Institutionskritisch, gerne auch klamaukig waren viele der Inszenierungen, die meist in Kooperation mit den Videokünstlerinnen Maria Fedder, Bettina Gruber sowie dem Fotografen Wolfgang Vollmer entstanden. Mit Vollmer produzierte Tillmanns 1984 den umwerfenden Fotoband »Meisterwerke der Fotokunst«, mit einem Originalsplitter (!) der Plattenkamera von Klaus Peter Schnüttger-Webs: Hier posiert

Tillmann als Darsteller in Foto-Per­­siflagen von etlichen Ikonen der mo­dernen Fotokunst. Bettina ­Gruber, die Tochter von Kölns promi­nentem Foto-Experten und Kunst­sammler Fritz Gruber, agierte in Tillmanns Museum offiziell als Vorsitzende des KPSW-Fördervereins, Maria Vedder als Hauptkustodin des virtuellen Ausstellungshauses.

Das KPSW sei, wie Direktor Ulrich Tillmann auf einer Vernissage in kunsthistorisch-bürokratischer Diktion einmal schlaumeierte, »nicht ein System der Ordnung, sondern ein System der Unordnung«. Wohl wahr, auch für Bettina Gruber: Sie habe immer »voller Freude« mit Tillmann improvisiert, erzählt sie, nach der bewährten Devise »Wir machen das jetzt einfach!« — selbst als sie für einen Super 8 Film ohne vorherige Proben gemeinsam mit Tillmann auftreten und einen Strip hinlegen sollte, ihm aber bald rat- und hilflos hinterherblickte, als dieser einfach mitten im Dreh und kommentarlos das Setting verließ. Der komische Streifen wird auch in Kolumba gezeigt.

Als »Geniestreich« empfindet Brigitte Burgmer, Künstlerin und im engeren Freundeskreis Tillmanns, das Potenzial der Rollenfigur Klaus Peter Schnüttger-Webs: Als »verkannter Pionier« konnte der Allroundkünstler sich für die gattungsübergreifenden Aktionen des Museums »alle möglichen und unmöglichen Objekte der Kunstgeschichte, des Designs sowie des Alltagslebens einverleiben«.

Ulrich Tillmann selbst resümierte 1999 in einer mit »Klassenkampf« betitelten Gruppenschau von Studierenden und Meisterschüler*innen aus der Klasse des Professors KPSW: »Wie bei allen Schnüttger-Webs-Schauen zeigen wir hoch politische Kunst, die auf unscheinbare Weise die Rolle der Bildenden Kunst in der Gesellschaft hinterfragt, indem sie sich dem westlichen Kunstmarkt widersetzt.« Die von einem Studierenden namens Hu Xian Shan geschaffene Plastik »Die Bürger von Calais« aus Holz, Bleiklümpchen, Eisendraht und Samenkörnern schätzte der Direktor sehr, weil sie sich »radikal einfach eines Themas annimmt, das von Rodin so gewaltig vorgebaut wurde«. Die Kunstwerk ist jetzt auch im Kolumba zu sehen — und stammt natürlich von Klaus Peter Schnüttger-Webs selbst. Bzw. von Ulrich Tillmann.

Kolumba, Mi–Mo 12–17 Uhr,
Di geschlossen, bis 17.8.