Zug in die Vergangenheit: »The Royal Train« von Johannes Holzhausen

Monarchie und Alltag

Das 22. Dokumentarfilmfestival »Stranger Than Fiction« macht seinem Namen alle Ehre

Rote Teppiche auf verwahrlosten Provinzbahnhöfen, daneben opulente Uniformen und bunte Trachten. Von oben aus den geöffneten Zugfenstern werfen elegant gekleidete Menschen Werbebroschüren für die Monarchie ins mit blau-­rot-schwarzen Wimpeln jubilierende Volk.

Geschehnisse und Lokalitäten von »The Royal Train« scheinen einer Operettengroteske aus dem Umfeld der österreichisch-ungarischen k.u.k.-Monarchie zu entstammen. Doch sie sind schnöde Realität in Rumänien, wo die aus dem Exil in der Schweiz zurückgekehrte Kronprinzessin Margareta mit überzeugten Royalisten an der Re-Etablierung der 1947 abgeschafften Monarchie arbeitet. Dabei lässt sie auch die alte Tradition pompös inszenierter Rundreisen im Salonwagen-Zug aufleben — mit einer vermutlich aus frühsozialistischer Zeit stammenden Signal- und Nachrichtentechnik, die Geräte-Nostalgiker entzücken dürfte. Der erfahrene österreichische Dokumentarfilmer Johannes Holzhausen (»Das große Museum«) liefert neben solchen Delikatessen und Ansichten der inszenierten höfischen Welt auch Blicke aus dem Innern der PR-Maschine.

Mit seinen fantastisch anmutenden Skurrilitäten trifft Holzhausens Film perfekt den Titel des Dokumentarfilm-Festivals Stranger Than Fiction, das nun zum 22. Mal in Köln und in acht weiteren Städten in NRW über ein Dutzend zum größten Teil noch nicht ins Kino gelangte nichtfiktionale Filme aus aller Welt vorstellt. Die zeichnen sich durch eine eigenwillige, nicht formatierte Autoren-Handschrift aus. Beeindruckend etwa in den unkommentierten Szenen, mit denen Jonas Spriestersbach in »Tiere« unseren schizophrenen Umgang mit den nicht-menschlichen Mit-Tieren vorstellt. Das reicht von Tierstimmen-Imitationen zum Pferde-Führ-Seminar für Führungskräfte, von der esoterischen Katzenflüsterin bis zu den starren Ritualen einer Rassehundeschau. Eine Heuschrecken-Zuchtanlage wirft die Frage auf, ob der als ökologisch propagierte Verzehr von Insekten auch ethisch eine gute Idee wäre. Und der ausführliche Besuch in einer Tierkörperverwertungs-Anlage zeigt, wie sich der Mensch körperliche und emotionale Härten durch Technik vom Hals hält.

Aufgespannt zwischen Schrecken und Idyll ist auch die Welt, die Tiago Hespanha in »Campo« impressionistisch vor unseren Augen und Ohren entfaltet. Es geht um ein riesiges, von Natur und Militär geprägtes Gebiet im Süden von Lissabon, auf denen Rehe, Schäfer, Soldaten und Bienenzüchter nebeneinander leben. Ornithologen fangen hier mit dem Mikrofon Vogelstimmen ein, während der Geschützdonnner der Kanonen den Grundrhythmus liefert.

Im Warschauer Statteil Ursus dagegen waren es die schweren Hämmer der örtlichen Traktorenfabrik, die jahrzehntelang auch nachts die Häuser im Umkreis erschütterten. Über zwanzigtausend Menschen arbeiteten hier bis zur Abwicklung Anfang der 90er Jahre im Drei-Schicht-Betrieb mit Rundumversorgung von Kita bis Strandurlaub. »Symphony of the Ursus Factory« von Jamina Wójcik setzt dieser Zeit und den dort Arbeitenden ein Denkmal und lässt Dutzende von ihnen auf dem Werksgelände in und um die Ruinen zu Musik ihren ehemaligen Arbeitsalltag nachspielen: Eine Choreographie industrieller Arbeit, die den Begriff des Reenactement mit authentischer körperlicher Erfahrung auflädt und in einer großen fünfzehnminütigen Traktoren-Parade endet. Schön wäre es gewesen, wenn die im Abspann als Making-of gezeigten Szenen von kollektiven Verhandlungsprozessen für Dreh, Vorbereitungen und Proben auch in den Film selbst eingeflossen wären.

Das westfälische Bad Oeynhausen wirbt für sich selbst als Ort für »Urlaub und Gesundheit«, wurde aber mitten im Zentrum lange Jahrzehnte durch den LKW-Transitverkehr von Amsterdam nach Warschau geteilt. Als Ende 1999 der Bau einer Autobahnumgehung geplant wird, beginnt auch Daniel Abma mit seinem Film, der am Ende zehn Jahre umspannen wird. Hauptfiguren sind neben den Straßen selbst einige auf unterschiedliche Weise involvierte Menschen: Eine Lokaljournalistin, die energische Inhaberin des Handarbeitsladens »Maschenspaß« direkt an der lärmigen Hauptstraße, ein altes Ehepaar, dessen Häuschen an der Trasse der neuen Autobahn steht. Außerdem der Bürgermeister, der die Umgehung auf den Weg gebracht hat und um seine Wiederwahl bangt, und ein russischer Jesus-Fanatiker, der am Autobahn-Neubau eventuell als Sprayer praktiziert.

Prominentester aktueller Beitrag im Programm ist der letzte Teil von Patrizio Guzmáns Trilogie über sein Exil-Heimatland Chile, der in Cannes mit einem Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet wurde. Nach der Atacama-Wüste und dem Meer geht es in »La Cordillera de los Sueños« nun um die Berge der Anden, die achtzig Prozent der terrestrischen Oberfläche des Landes ausmachen. Und wie in den ersten beiden Teilen verknüpft der Altmeister des Dokumentarfilms diese Naturgegebenheiten mit der Erinnerung an verdrängte Momente chilenischer Politik und Geschichte.

strangerthanfiction-nrw.de