Jugend forscht: Maj-Britt Klenke

»Das freiwillige Jahr«

Ulrich Köhler und Henner Winkler zeigen treffend den bundesrepublikanischen Mittelstand

Vater spricht, Tochter schweigt. Man spürt eine unausgesprochene Spannung zwischen den beiden. Sie ist am Handy, er sagt: »Pack’ das doch mal weg, das nervt dich doch selber.« Er weiß, was gut für sie ist; sie sieht das anders. Sie hat Probleme mit ihrem Freund, sie heult. Er macht alle möglichen Dinge »für die Tochter«, die sie gar nicht gemacht haben will. Wir lernen den Vater sogleich als übergriffigen Menschen kennen und Tochter Jette in Hektik. Sie hat gerade ihr Abitur bestanden, muss zum Flughafen, um nach Costa Rica zu fliegen, wo sie in einem Krankenhaus arbeiten soll. Das ist das »Freiwillige Jahr« des Titels.

Ulrich Köhler und Henner Winkler — beide Jahrgang 1969 — zeigen eine klare Konstellation: Vater und Tochter sind zwei Menschen, die ihr Leben in verschiedener Weise nicht ganz unter Kontrolle haben. Tochter Jette hat Schwierigkeiten, sich zu entscheiden. Sie weiß nur, was sie nicht will. Vater Urs ist praktischer Arzt, sehr auf sich fixiert und auf seine Tochter. Er will es zwar allen recht machen, macht es dadurch aber niemanden recht — zumal klar ist, dass er auch will, dass alle seinen Erwartungen entsprechen.

Die beiden Berliner Regisseure entwickelten und inszenierten diesen Film gemeinsam — ursprünglich als reine Fernseharbeit für den WDR. Das merkt man dem Film kaum an. Im Gegenteil findet auch Kameramann Patrick Orth immer wieder ungewöhnliche Bilder und überraschende, schiefe, auch poetische Perspektiven auf die Figuren und den Ort. Sehr gelungen ist der Film als ein etwas anderes Porträt der Provinz und des »ganz normalen« bundesrepublikanischen Mittelstands.

Es ist auch ein Film über Generationenverhältnisse: Die Alten können nicht loslassen, die Jungen kopieren entweder schon das Lebensmodell ihrer Eltern, leben verspießert und alternativlos, oder sie müssen noch lernen, die Bevormundungen durch die Erwartungen der Anderen abzuwerfen.

Die Menschen in diesem Film haben alle das Talent, ungebetene Gäste zu sein, im falschen Moment am falschen Ort aufzutauchen. Jeder hier will vom Anderen irgendetwas, was der andere nicht will. »Du musst Dir vielleicht mal klar werden, was du willst, auch wenn du damit vielleicht jemand anderen verletzt«, sagt der Vater zur Tochter und könnte damit auch sich selbst meinen. Wenn geschwiegen wird, ist es ein sehr lautes Schweigen. Unausgesprochen bleiben auch viele Geschichten, die dieser dichte, mitunter absurden Witz entfaltende Film auch noch erzählen könnte, aber nur andeutet.

D 2019, R: Ulrich Köhler, Henner Winkler, D: Maj-Britt Klenke, Thomas Schubert, Sebastian Rudolph, 86 Min.