Rettungsdecken für die Kunst: »Die Vielen« bei einer Demo gegen die AfD im Mai 2018

Glänzen statt Grenzen

Das Netzwerk »Die Vielen« will die Kulturszene gegen die Neue Rechte vereinen

Die golden-glitzernde Rettungsdecke ist das Symbol des Netzwerkes »Die Vielen«. Zum ersten Mal wehte sie im Mai 2018 auf dem Rosa-Luxemberg-Platz im Frühlingswind: Vor der Volksbühne in Berlin hatten sich hunderte Menschen versammelt, um für die Freiheit
der Kunst zu demonstrieren — und gegen den von der AfD geplanten Aufzug zum »Tag der Abrechnung«. Gekommen waren laut Schätzungen der Polizei rund 25.000 Gegendemonstranten, die AfD mobilisierte etwas mehr als 5.000. »Ihr wollt das Volk sein?«, fragte die Musikerin Bernadette La Hengst in ihrem Protestlied, das bald schon zur Hymne des Netzwerkes werden sollte: »Wir sind die Vielen!«

Doch wer sind »Die Vielen«? Gegründet wurde der Verein um Initiator Holger Bergmann im Juni 2017 in Berlin — zur Förderung der Toleranz auf allen Gebieten der Kunst. »Als Aktive der Kulturlandschaft in Deutschland stehen wir nicht über den Dingen, sondern auf einem Boden, von dem aus die größten Staatsverbrechen der Menschheitsgeschichte begangen wurden«, heißt es in der Erklärung, die am 9. November 2018 auf zeitgleichen Pressekonferenzen in verschiedenen deutschen Städten veröffentlicht wurde. Über hundert Kulturinstitutionen, darunter ­Theater, Museen und Opernhäuser, gehörten zu den Erstunterzeichnern. Die Liste liest sich wie ein Who-is-who des Kulturbetriebes. Es gehe darum, einen kritischen Dialog über rechte Strategien zu führen, schreiben »Die Vielen« in ihrer kämpferischen Selbstverpflichtung. Und darum, zusammenzustehen, wenn durch Hetze und Schmähungen versucht werde, Druck auf Kunstschaffende auszuüben.

Rund 3.000 Kulturinstitutionen und Privatpersonen haben bis heute die Erklärung unterschrieben, darunter Regisseur Daniel Schüßler, Leiter des Analog-Theaters in Köln. Auch er beobachtet, wie die Neue Rechte immer häufiger versucht, in die Spielpläne von Theaterhäusern einzugreifen und Kunstschaffende mit Drohungen einzuschüchtern. Das betrifft auch die Freie Szene in Nordrhein-Westfalen: Im Februar 2019 etwa erkundigte sich die AfD-Landtagsabgeordnete Gabriele Walger-Demolsky in einer Kleinen Anfrage, ob bei der jährlichen Vergabe der Fördermittel durch die Stadt Bochum die Verfassungstreue der jeweiligen Träger geprüft werde.

»Es ist wichtig, rechtzeitig Strukturen zu schaffen«, findet Daniel Schüßler. Bei regelmäßigen regionalen Treffen des Netzwerkes tauscht er sich mit anderen Kulturschaffenden aus, organisiert Aktionen und Workshops und diskutiert: »Auf der Bühne müssen Ambiguitäten ihren Platz haben, aber man muss als Theatermacher eine Position dazu finden, sich immer wieder selbst reflektieren.« Schließlich wolle man nicht nur die Symptome bekämpfen, sondern in die Tiefe wirken, heißt es in der nordrhein-westfälischen Erklärung. Darin ist festgehalten, dass auch eigene Strukturen selbstkritisch hinterfragt werden müssen: Wer kann das Wort ergreifen, und wer bleibt, um es mit den Worten von Brecht zu sagen, im Dunkeln? Die Frage, wie politisch das Theater sein kann, ist immer eine Frage nach der Teilhabe.

Und so sehen manche Kritiker in dem Netzwerk, in dem sich die teils so verkrusteten Kulturinstitutionen zusammenschließen, vor allem Symbolpolitik. »In Sachen Diversität und Gleichstellung sind wir in der Kulturszene noch lange nicht da, wo wir sein wollen«, sagt eine Berliner Sprecherin vom Verein »Die Vielen« am Telefon. Ihren Namen will sie lieber nicht in der Zeitung lesen, die Reaktionen gegenüber den Organisatoren des Netzwerkes seien ­teilweise zu heftig. »Angesichts der gesellschaftspolitischen Situation in Europa ist es aber wichtig, einen solidarischen Austausch zu schaffen.« In Flandern will die rechtskonservative Regierung unter Jan Jambon zum Januar diesen Jahres das Budget der großen Bühnen um drei bis sechs Prozent gekürzt. Die Förderung der freien Szene, aus der die großen Namen der flämischen Kunst kommen, sogar um sechzig Prozent. »Wir müssen lernen, auf diese Entwicklungen nicht erst aus der Defensive zu reagieren«, sagt die Sprecherin. »Rechtzeitig«, ist ein Begriff, den auch sie im Interview häufig benutzt.

Tatsächlich könnte auch in Deutschland die Kunstfreiheit durch nationalistische oder rechtsautoritäre Regierungsbeteiligungen in Gefahr geraten. Allein in den vergangenen drei Jahren beantragte die AfD mehrmals die Kürzung des Etats für einige Theaterhäuser, wie etwa das Maxim Gorki Theater und das Deutsche Theater in Berlin. Die Begründung: Es würde dort »Gesinnungstheater« für ein »bestimmtes Meinungskartell« gemacht. Im März 2019 trat die Kultusministerkonferenz diesem Vorwurf scharf gegenüber. In einer öffentlichen Erklärung betonte sie: »Nach übereinstimmender Auffassung besteht kein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot staatlich finanzierter Einrichtungen, wenn die Verteidigung verfassungsrechtlicher Grundfreiheiten Gegenstand der Aktivitäten ist.«

Doch haben Netzwerke wie »Die Vielen« wirklich Einfluss auf die Politik? Können Theaterhäuser in der Gesellschaft überhaupt etwas bewegen? »Ich glaube nicht, dass das Theater die Welt verändern kann,« schrieb Iris Laufenberg, Intendantin am Schauspielhaus Graz, vor einigen Monaten. »Es ist aber immer noch einer der wenigen Orte in unserer Gesellschaft, an dem Menschen gemeinsam und analog lachen, leiden und weinen.«