O. T. (Lederkappe und Hosenanzug für eine Dame), 1982

Möbel auf hoher See

Stefan Wewerka räumt auf mit rechtwinkligen Gewissheiten

Ist ein Stuhl auch dann noch ein Stuhl, wenn er als Sitzmöbel ganz und gar ungeeignet ist? Die Varianten, die uns Stefan Wewerka (1928-2013) vorführt, scheinen sich um Funktionalität nicht zu scheren: Der »Vertreterstuhl« ist in einer Art devotem Knicks geneigt, als »Desaster« scheinen zwei Stühle zu kollidieren, ihre Sitzflächen hochkant aufzuspringen. Das Modell »Zürich« hingegen spart die Sitzfläche ganz aus, während der durchlöcherte »Termitenstuhl« seine tragende Substanz nahezu komplett eingebüßt hat. Als wenig standfest erweist sich auch der schlaff durchhängende »Gummistuhl« aus Schaumstoff.


Zwei Hälften einer Münze oder die Stücke eines Kleiderbügels fügt Wewerka durch ein Scharnier zusammen — allerdings falsch herum. Die Halbierung, Verdrehung und Zusammenführung der so entstandenen Teile stellt ein gattungsübergreifendes Gestaltungsprinzip dar, das der Universalkünstler Wewerka in Architektur, Möbeldesign, Grafik, und Mode, in Malerei, Film und Aktionskunst angewandt hat. Dieses so eigenwillige wie abwechslungsreiche Werk führt uns die Überblicksschau in der Villa Zanders vor Augen.


Ausgehend von der Annahme, man müsse sich auf den Kopf stellen, um die Dinge besser zu sehen, rüttelte Wewerka durch Bewegung, Schwung, Verschiebung — bis hin zur Verkehrung der Grundformen — systematisch an den Grundfesten von Solidität und Stabilität. Klappen, Falten, vor allem aber Kippen sind wiederkehrende Techniken und Themen. Die für Wewerka typische Schräglage führt er anekdotisch auf ein Erlebnis bei Starkwind an der holländischen Küste zurück: Die steile Neigung von 30 Grad wird zum unverkennbaren Markenzeichen seiner Bildfindungen; wie ein philosophischer Grundsatz liegt sie seiner künstlerischen Haltung zugrunde, die, wie er sagte, Schluss macht mit »rechtwinklig-funktionalen Gewissheiten«.

Aber auch das Soziale prägt Wewerkas Sicht auf die Welt, gleich ganze Städte wollte er mit dieser Haltung umkrempeln, wie sein Konzept zum »Umbau von Paris« zeigt. Wie sein gesamtes Werk wird es getragen von einem mitunter slapstickhaften, skurrilen Sinn für Humor, dessen körperbezogene Komik sich auch als kritischer Kommentar auf den urbanen Lebensraum und unser soziales Miteinander lesen lässt.


»Stefan Wewerka — Dekonstruktion der Moderne«, Kunstmuseum Villa Zanders, Konrad-Adenauer-Platz 8, Bergisch Gladbach, Di–Sa 14–18, Do 14–20, So 11–18 Uhr, bis 19.4.

villa-zanders.de