Das Klima der Gegenwart

»Update Cologne #3« überzeugt mit einer ästhetisch präzisen Doppelschau von Doris Frohnapfel und Jon Shelton

Es gibt wie überall Ausnahmen von der Regel, aber Künstlerkarrieren folgen einem wohlbekannten Muster. Man startet nach dem Studium mit Elan, engagiert sich für Ausstellungen in Off Spaces, kleinen Kunst­vereinen, füttert Instagram fleißig mit Bildmaterial, wird im seltensten Fall als vielversprechender »emerging artist« entdeckt, im Normalfall arbeitet man einfach immer weiter. Bis Mitte dreißig, vierzig hat man es entweder in eine potente Galerie geschafft — endlich drin, im Kunstmarkt! — oder schlägt sich mit Förderung, Stipendien, Nebenjobs und viel Idealismus durch. Das geht zum Glück recht gut, solange man zum attraktiven »Nachwuchs« zählt. Und danach?

Ab fünfzig wird es eng. Man bilanziert. Ein Kunstmarkt, der gnadenlos auf »young and exciting« oder sichere Blue Chips setzt. Ein Fördersystem, das mit Mitte dreißig eine seltsame Schallmauer errichtet hat. Hat man es in renommierte Sammlungen geschafft, die ein oder andere Museumsausstellung in der Vita, geht es weiter, vielleicht sogar bergauf. Ansonsten — ist man brutal schnell vergessen. Das Dumme ist: Mit der Qualität eines Werks hat das wenig zu tun.

Es braucht diese kleine Einleitung, um das besondere der Ausstellungsreihe »Update Cologne« ermessen zu können, die die Stadt Köln 2018 ins Leben gerufen hat. Sie fördert Künstler*innen ab fünfzig aufwärts, deren aktuelle Arbeiten im Rheinland länger nicht zu sehen waren, mit einer großen Ausstellung plus Dokumentation. Die Auswahl trifft eine fachkundige Jury, Birgit Laskowski betreut die Ausstellungen kuratorisch, der BBK Köln als Projektträger — und auch im dritten Jahr ist die Preisträgerausstellung sehenswert.

Nach dem Bildhauer Adi Meier-Grolman (2018) und den beiden Malern Heiner Blumenthal und Matthias Surges (2019) hat die Jury für 2020 Doris Frohnapfel (*1959 Düsseldorf) und Jon Shelton (*1965 Detroit, USA) gekürt. Die Ausstellungsinstallation in drei Räumen der Horbach Stiftung führt mitten durch unsere hochvernetzte, krisenhafte Gegenwart; von Köln über Istanbul, Beirut, die Kriegsschauplätze im Nahen Osten, die (Einfluss-)Territorien der Weltmacht USA, High-Tech-Förderanlagen in der Tiefsee, das Karwendelgebirge, Wasiristan und wieder zurück: in die politisierten 80er Jahre in Köln (Südstadt!), an die Doris Frohnapfel mit einer autobiografischen s/w-Fotoserie erinnert. Als Schlusspunkt eine postweihnachtliche In Situ-Installation: Jon Sheltons wie geschundener, halb kahlgeschla­gener Tannenbaum nebst vorgefundenem Inventar (o.T., Tanne, Piano, Tisch, Spotlight). Und das alles geht prima zusammen.

Beide Künstler verbindet, dass ihre Arbeit einen starken inhaltlichen Gegenwartsbezug hat, bei Shelton explizit politisch, humorvoll karikierend, bei Frohnapfel gesellschaftskritisch lesbar. Sie knüpfen ihre Bedeutungsnetze assoziativ, an der Schwelle von Dokumentation und subjektiver Erzählung.

Jon Shelton, der in den USA Kunst und Geschichte studiert hat, emigrierte 1991 nach Köln und agiert als Künstler auch unter dem fingierten Label »Oscitant Enterprises«. Bis heute ist die Rolle der USA im Weltgeschehen sein Ausgangspunkt für Zeichnungen, Wandmalereien und Installationen, die thematisch um (militärische) Strategien zum Machterhalt, Politik- und Finanznetzwerke und Medienmanipulation kreisen. Als Atelier (und Lager!) nutzt er eine mit japanischem Perfektionismus platzsparend organisierte Doppelgarage im Belgischen Viertel, was durchaus eine Haltung verrät. Für »Update Cologne« hat er die kunstvoll verschachtelten Archiv-Kisten zum Ausstellungsort überführt, vor Ort entstand seine über drei Räume mäandernde Installation aus an Decke und Säulen verspannten Seilen, bemalten Stoffbahnen, Arrangements aus diversen Objekten (Rettungsdecken, Reisetaschen, technische Apparate, Fundstücke), filigranen Tuschemalereien, Zeichnungen, Manuskripten und plastischen Schriftzügen.

Beim Ausstellungsrundgang übt man vergleichendes Sehen. Während Shelton sein Material eher spielerisch, mit handwerklicher Perfektion und feinem Gespür für sinnliche Qualitäten aufbereitet, wählt Doris Frohnapfel den sachlich-analytischen Zugang einer Gegenwartsarchäologin. Als ausgebildete Architektin und Stadtplanerin mit Blick für soziale und ästhetische Zusammenhänge erkundet sie scheinbar vertraute (Köln) und fremde Territorien, vorzugsweise mit der Kamera. Bei Stipendienaufenthalten in Istanbul und dem Libanon entstanden u.a. die Architektur-Fotografien »Confrontation & Construction Sites«, die das alte (zerbombte) Beirut dem boomenden neuen Immobilienbau-Eldorado gegenüberstellen. Dass auch Frohnapfel Pointen schätzt, zeigen Details wie in der Installation »Conflict Sites« das kopfüber gestürzte Modellauto Marke »Hummer«, das auf einer Ausgabe von Deleuzes und Guattaris »Mille Plateaux« (1980) ruht.

Nicht jedes Werk in dieser Ausstellung lässt sich ohne erläuternden Text dechiffrieren, das muss es auch nicht. Ihre Stärke liegt — neben der politischen Relevanz — in der Sensibilität und Präzision im Umgang mit Material und Raum­bezügen, mit dem verblüffenden Erlebnis, dass sich zwei künst­lerische Werke zu einer offenen Gesamtinstallation fügen und doch erkennbar bleiben. Für die erste gemeinsame Ausstellung von Doris Frohnapfel und Jon Shelton überhaupt ist das ein Überraschungserfolg, für die Reihe »Update Cologne« ein: Weiter so!

Kunsträume der Michael Horbach Stiftung, Wormser Straße 23 (Hinterhof)
Mi + Fr 15.30–18.30 Uhr, So 11–14 Uhr, bis 1.3.
So 16.2. um 11.30 Uhr Künstlergespräch (Moderation: Noemi Smolik)
So 1.3., 11–14 Uhr Finissage mit Book Release