Aktivistin und Filmemacherin: Waad al-Kateab

Für Sama

Waad al-Kateab liefert ein erschütterndes Dokument des Krieges in Syrien

»Du bist das Schönste in unserem Leben. Aber was für ein Leben mute ich dir zu? Du hast dir das nicht ausgesucht. Wirst du mir das je verzeihen?« Fragen, die sich angesichts der aktuellen Weltlage vermutlich viele verantwortungsbewusste Eltern stellen. Doch Mutter Waad al-Kateab und ihre Tochter Sama betreffen sie mit anderer Dringlichkeit. Denn sie befinden sich mitten im Krieg. »Für Sama« zeigt gleich zu Beginn zu den aus dem Off gesprochenen Fragen einen Panzergranatenangriff syrischer Regierungstruppen auf das Kinderkrankenhaus in Aleppo. Dort arbeitet Vater Hamza, der seine kleine Tochter gerade mit Mätzchen zum Lächeln bringen will. Wie alle anderen Krankenhausangestellten, Ärzte und Patienten muss auch die Familie al-Kateab in Getöse und Qualm in den Keller fliehen.

Als Sama am 1. Januar 2016 geboren wurde, war der Krieg in eine neue Phase getreten: Seit ein paar Monaten griff die russische Armee in den seit Jahren tobenden Konflikt ein. Die euphorische Aufbruchsstimmung, die der Arabische Frühling auch in Syrien ausgelöst hatte, war längst Bitterkeit, Wut und Angst gewichen. Zu Beginn, in den Jahren 2011 und 2012 hatte sich auch die junge Marketing-Studentin Waad al-Kateab mit viel Enthusiasmus an den Studentenprotesten beteiligt und die Ereignisse gefilmt — erst nur für sich selbst. »Dass ich filme, schien meiner Anwesenheit eine Berechtigung zu geben«, sagt sie. Bald tauschte sie das Handy gegen eine professionelle Kamera und organisierte die Weiter­leitung der Aufnahmen an die BBC. Mit dem Blog »Inside Aleppo« sollte die Welt am Freiheitskampf der Syrer teilhaben können und mit den Verbrechen des Assad-Regimes konfrontiert werden, aber auch Einblick in das alltägliche Leben der Stadt bekommen.

Waad al-Kateab ist Erzählerin und Ko-Regisseurin des vielfach inter­national ausgezeichneten »Für Sama«, der auf ihrem Material aufbaut. Wackelbildern von Anti-Assad-Parolen sprühenden Studenten folgen bald prügelnde Polizisten und Massaker, aber zu sehen ist auch die selbst organisierte Aufbauarbeit. Etwa an dem Krankenhaus, das Waads Freund, Geliebter und Ehemann Hamza aufgebaut hat und betreibt. Dramatische Szenen aus der dortigen Notaufnahme im Kampf um Leben und Tod sind der rote Faden des Films. Die meisten der hier Eingelieferten wurden durch Raketen und Bomben, aber auch Giftgas schwer verletzt. Da das Krankenhaus gezielt von Panzern und russischen Bombern angegriffen wird, muss es immer wieder an neue geheime Orte umziehen.

Der Film erzählt am Rande aber auch von den privaten Seiten von Waads Leben, ihrer traditionellen Hochzeitsfeier im kleinen Kreis, von Zimmern mit Sandsäcken vor dem Fenster, dem kleinen Glück eines eigenen Gartens. Von Kindern, die in einem ausgebrannten Bus spielen. Von Diskussionen über Bleiben oder Flucht. Und von bissigem Galgenhumor, der von »unserer täglichen Bombenshow« mit »all unseren Lieblingsbomben« spricht.

Die Erzählweise des Films ist erratisch mit wilden Zeitsprüngen vor und zurück und einem Kamerablick, der beim Verfolgen von Schwerverletzten oder Blutspuren auf dem Boden manchmal auch voyeuristische Züge hat. Doch das sollten nicht die Kriterien sein, die unter diesen Umständen zählen.

Am Ende müssen auch Waad und Hamza fliehen. Und Waad sagt, sie wünsche sich, alles wäre anders gekommen und sie sei niemals von zu Hause fort gegangen und Mutter geworden. Andererseits instrumen­tali­siert sie das Leben ihrer Tochter ganz selbstverständlich für die eigene Motivation und Hoffnung und ihren politischen Kampf. »Alles was wir getan haben, haben wir für dich getan«, sagt sie. Eine schwere Last für ein noch sehr junges Leben. So bleibt ihr Film am Ende zutiefst wider­sprüch­lich — und das ist ja nicht das Schlechteste für einen Dokumentarfilm.

(For Sama) GB 2019, R: Waad al-Kateab, Edward Watts, 95 Min. Start: 5.3.