Leute, das geht noch lauter: Die Microphone Mafia in Aktion | Foto: Florian Wilde

»HipHop war für uns ein Weg, uns Respekt zu verschaffen«

Die Kölner HipHop-Crew »Microphone Mafia« hat ihre Biografie veröffentlicht

Als Kutlu Yurtseven und Rossi Pennino in den 70er Jahren aufeinander treffen, noch als Grundschüler, teilen sie eine ähnliche Biografie: Kutlus Eltern kommen aus der Türkei, Rossis aus Italien. Die Eltern entfliehen der Armut ihrer Heimatländer, um in Deutschland ein besseres Leben zu beginnen. Kutlu und Rossi kommen in Deutschland zur Welt. Die schwere Arbeit ihrer Mütter und Väter und die Erfahrung von Rassismus und Diskriminierung beeinflussen sie später stark in ihrem künstlerischen und musikalischen Schaffen. Die Familien verschlägt es schließlich nach Flittard, einem Kölner Arbeiterstadtteil vor den Toren der Bayer-Werke. Hier gründen die beiden Freunde 1989 in einem Jugendzentrum die Microphone Mafia. Dass sie auf deutsch, türkisch, neapolitanisch und italienisch rappen, ist damals und bis heute ihr Alleinstellungsmerkmal.

Das Biographische ist politisch

Zur Feier ihres 30-jährigen Bestehens haben die beiden nun ihre Geschichte aufgeschrieben. In Zusammenarbeit mit Glenn Jäger und Fazlı Tanık teilen Kutlu und Rossi sowohl ihre eigene Historie, als auch die Bestands­aufnahme einer ereignisreichen Bandgeschichte. Unkompliziert und humorvoll schildern sie ihren Werdegang. Durch das Buch ziehen sich Anekdoten, als zum Beispiel die Gruppe den HipHop-Pionier Grandmaster Flash auf seinem eigenen Konzert versehentlich für die Vorband hielt oder eine evangelische Gemeinde als Veranstalter sich gegen den Bandnamen sträubte und kurzerhand Microphone Maria auf die Flyer drucken ließ — ein Miss­ver­ständnis, wie sie vorgab.

Was diese Band-Biographie aber besonders aufregend macht, ist ihre politische Dimension und die Dokumentation von hingebungsvollem Engagement. Denn die »Mafiosis«, wie sie sich selbst nennen, sind von Anfang an eine politische Band. Seit jeher thematisieren sie Ausgrenzung und Rassismus in ihren Texten, appellieren an den Frieden und an die Toleranz. Im Angesicht der Anschläge in Rostock, Solingen und Mölln und der Verschärfung des Asylrechts Anfang der 90er Jahren können sie nicht schweigen, auch wegen der eigenen Biografie: Die Microphone Mafia wird zu gefragten Künstlern auf antirassistischen Konzerten und Veran­staltungen. Über eine Kampagne des Deutschen Gewerkschafts­bundes kommen sie in Kontakt mit der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano und initiieren kurz darauf das Projekt Bejarano & Microphone Mafia. Über 800 Konzerte haben sie mittlerweile zusammen gespielt, gestaltet mit Redebeiträgen und jiddischen Liedern von Esther Bejarano und Rap-Einlagen der Mafia. Sie bekennen sich zur radikalen Erinnerungskultur. »Nie wieder Krieg«, so heißt es auf dem Banner, den sie auf jedem Konzert ausrollen.

Die NSU-Bombe war ein Anschlag auf die Heimat

Dem NSU-Attentat in der Mülheimer Keupstraße widmen sie ein ganzes Kapitel, das Kutlu allein verfasst hat. Als Anwohner ist er besonders betroffen. Am 9. Juni 2004 explodierte eine Nagelbombe in der Straße, »die für meine Eltern stets eine Erinnerung an ihre Heimat war und für uns ein Gefühl, ein Verständnis von jener Heimat, von der meine Eltern immer voller Sehnsucht sprachen«. Kutlu vermittelt den Schmerz und die Ungerechtigkeit, die den Opfern zuteil wurde, resümiert die Fragen, die offen bleiben. Er knüpft auch an aktuelle Ereignisse, wie die Diskussion um das Kölner NSU-Mahnmal oder den »NSU 2.0« an. Das Kapitel liest sich mit schwerem Herzen, vermittelt aber auch Mut angesichts der politischen Aktionen, die nach dem Anschlag initiiert wurden. Kutlu selbst ist beteiligt an dem Bündnis »Keupstraße ist überall«: »Niemand wird vergessen/Hiç unutmadık« heißt das Lied, das er zusammen mit Rapper Refpolk geschrieben hat.

Die Erzählweise in »Eine Ehrenwerte Familie« wirkt außerordentlich authentisch und nahbar. Aus der Wir-Perspektive mit einem ungeschmückten, herzlichen Narrativ wirkt das Buch wie das Transkript einer Unterhaltung mit Freunden. Ab und zu erlauben sich Rossi und Kutlu im Text gekennzeichnete Unterbrechungen, um ihre Meinung zu einem Thema zu äußern, eine Erinnerung einzuwerfen, oder einfach nur, um einen Witz zu reißen. Hier und dort sind Grußworte und Gastbeiträge von Weggefährten und Songtexte untergebracht, die sich recht wild und manchmal ohne Kontext in die Geschichte einreihen — alles in allem eine ungewöhnliche, aber sympathische Text-Komposition.

So wie der Titel darlegt, die Microphone Mafia sei mehr als Musik, so ist dieses Buch mehr als eine Künstlerbiografie oder ein Bandportrait. Es bietet ein großes Spektrum an interessanter Materie, ohne dass man dafür explizit Fan der Microphone Mafia sein muss. Es ist eine Revue der Kölner Kulturlandschaft und gibt darüber hinaus lehrreiche Einblicke ins Musikbusiness. Bei allem Witz weiß es, ernste und wichtige Inhalte zu vermitteln, wie das Schicksal der noch »Gastarbeiter« genannten Migranten, Erfahrungen von Diskriminierung und antirassistisches Engagement. Es fungiert zudem als Zeitzeugenbericht, ruft die Erinnerungen an die neo-nazistischen Gewalttaten wach und wird darüber zur Mahnschrift.

Gerade vor dem Hintergrund des gegenwärtigen politischen Klimas ist es ein Appell an Wachsamkeit und für Aktivismus. Kutlu Yurtseven und Rossi Pennino kämpfen auch nach 30 Jahren weiter für Respekt. Respekt für sich und für die Benachteiligten und Ausgegrenzten. Schließlich sind sie eine ehrenwerte Familie und, so sagen sie selbst, »die einzige Mafia, die die Welt braucht«.

Buch: »Eine ehrenwerte Familie. Die Microphone Mafia — mehr als nur Musik«,
227 Seiten, 14,90 Euro, PapyRossa Verlag Köln