Vor die Tür gesetzt: Die Beimers aus der Lindenstraße | Foto: Thomas Rabsch/WDR

Schweren Herzens und so weiter

Die Lindenstraße ist der letzte deutsche Soap-Saurier. Ende März stirbt sie aus

In der letzten Folge der Lindenstraße, so viel darf verraten werden, fällt Mutter Beimer (Marie-Luise Marjan) nach einem Brandanschlag ins Koma — und tritt vor ihren Schöpfer: Hans W. Geißendörfer. Diese Begegnung mit dem Lindenstraßen-Erfinder ist ein hübscher Einfall zum Finale der Serie, die nicht gerade wegen ihres Humors mehr als drei Jahrzehnte im ARD-Vorabendprogramm überdauert hat.

In der Regel war der Soap-Saurier so witzig wie ein Bundesparteitag der SPD. Sozialdemokratisch war auch die Grundhaltung der Lindenstraße, die bisweilen noch bis Donners­tag vor der sonntäglichen Ausstrahlung Tagesaktualitäten auf­greifen konnte. Es ging um Rechtsterrorismus, Aids, Multi-Kulti, Drogen, Organ­handel, Kindesmisshandlung. Und es gab den ersten schwulen Kuss in einer deutschen TV-Serie. Seit der Erstausstrahlung am 8. Dezember 1985 gingen die Autoren immer wieder dorthin, wo der gesellschaftliche Schuh drückte.

Tagebuch der links-grünen Republik

Vielleicht war die Lindenstraße 34 Jahre lang das wöchentlich geschrie­bene Tagebuch der »links-grün-versifften« Bundesrepublik, was ganz klar ein Argument für ihre Fortführung wäre. Dafür muss man gar nicht zum Stammpublikum gehören, das mit den Jahren immer kleiner wurde. Doch mit Einschaltquoten sollte sich öffentlich-rechtliches Fernsehen nicht zuvorderst legitimieren. Es seien, so ARD-Programm­direktor Volker Herres, die hohen Produktionskosten im Verbund mit sinkenden Zuschauerzahlen gewesen, die schweren Herzens zur Entscheidung geführt hätten, die Lindenstraße abzusetzen.

Das finanzielle Argument verwundert, denn wesentlich billiger lässt sich Fernsehen kaum machen: Eine Studio­produktion auf eigenem WDR-Gelände in Bocklemünd, die Kulissen seit Ewigkeiten abbezahlt, keine Außendrehs in der Südsee, keine teuren Gaststars. 8.750 Euro betrage der durchschnittliche Minutenpreis auf diesem Sendeplatz, erzählte Hana Geißendörfer, Produzentin der Linden­straße (und Tochter von Hans W. Geißendörfer) in einem Interview, sie liege deutlich darunter.

Rausschmiss ohne Plan

Die Serie, bislang ein Markenkern im Ersten, muss nicht fortgesetzt werden. Sie könnte ersetzt werden durch ein besseres, kühneres Format. Dass das passiert, ist unwahrscheinlich. Es gibt noch keine Ideen für die Zeit nach Mutter Beimers Koma. Ein Abriss ohne Sende­flächen­nutzungs­plan.

So wie in der Arbeitswelt mancher Rausschmiss mit einer Abfindung ver­süßt werden soll, so zeigt sich auch der WDR spendabel. Um das Finale am 29. März mit dem Titel »Auf Wiedersehen« herum gibt es am selben Tag eine Dokumentation (»Bye bye Lindenstraße«), dazu zwei »Lindenstraßen-Kult­nächte« am 28. und 29. März. Mit den bei der Lindenstraße Beschäf­tig­ten wurde weniger großzügig verfahren. Ihnen wurde von Geißendörfers Produktionsfirma GFF betriebsbedingt gekündigt, vor dem Arbeitsgericht hatten Ex-Mitarbeiter bislang keinen Erfolg. In den Drehbüchern der Lindenstraße wäre das zu besten Zeiten als schreiende Ungerechtigkeit verarbeitet worden. In Folge 1758, der letzten, wird es kein Thema sein.