Jeder Ton zählt, jede Note wird zelebriert: Bohren & der Club of Gore, Foto: Tanja de Maan

Wenn die Musik übernimmt

»Bohren & der Club of Gore« zelebrieren das Ende der Klischees

Kaum ein Artikel zur Band kommt ohne dieses Zitat aus: Other bands play, Bohren bore! Fünf Worte, die seit Jahren die Rezeption der Band bestimmen. Sie selbst wollen diesen Satz nie gesagt haben. Man darf gleichwohl festhalten, dass er Satz weitestmöglich verfehlt, was die Musik der Band ausmacht. Es stimmt, dass Bohren — bestehend aus den Gründungsmitgliedern Morten Gass und Robin Roddenberg (beide aus Mülheim a.d. Ruhr), sowie seit 1998 dem Kölner Christoph Clöser — seit jeher ausloten, ab welcher Geschwindigkeit überhaupt Musik entstehen kann. An der Grenze zur Stasis formulieren sie ellenlange Stücke, die sich in Minimalismus üben. Beim Deep-Listening und Eintauchen in den sonischen Kosmos, den jede einzelne Platte der Band aufmacht, eröffnen sich Welten und epische Geschichten. Manche Stücke sind instrumentale Gedichte über den Schmerz, andere zeichnen impressionistische Bilder der Großstadt: Straßen, die nur in den Nebel führen, vielleicht beleuchtet von Neonlichtern, kaum bevölkert. Auch auf »Patchouli Blue«, dem mittlerweile achten Album der Band, wehren sie sich gegen Gehetztheit und Trivialität; man gibt sich dem eigenen Tempo hin. Wie das genau funktioniert, erzählt Christoph Clöser im Interview.

Als wir uns das letzte Mal getroffen haben, meintet ihr, dass der Name für die Platte schon feststünde. War das so?

Den Namen »Patchouli Blue« hatten wir schon kurz nach der Veröffentlichung zu »Piano Nights«, unserem Albim von 2014. Vielleicht sogar schon zwischen der Fertigstellung und der Veröffentlichung der letzten Platte.

Wahrscheinlich geht es bei »Patchouli Blue« nicht um einen konkreten Bezug, sondern um eine Idee oder eine Stimmung, oder?

Das ist stets bei uns so, dass der Titel vorher feststeht und eben eine Stimmung erzeugt. Der Klang, das Bild, das entsteht, das hilft uns auch beim Produzieren immer wieder weiter.

Ihr habt an dem Namen festgehalten, obwohl Thorsten Benning, euer ehemaliger Drummer, inzwischen ausgeschieden ist.

Ja, 2015 hat Thorsten die Gruppe aus persönlichen Gründen die Band verlassen müssen. Das hatte natürlich Konsequenzen, aber hat an der Aufnahme selbst kaum etwas geändert. Dazu muss man zwei Sachen sagen: Einen Großteil der Produktion haben Morton und ich seit »Sunset Mission« (2000) übernommen. Also auch mal Schlagwerk gespielt. Und der zweite Punkt ist, dass wir seit 2016 live ja auch zu dritt spielen. Wir dachten kurz darüber nach, jemand Neues hinzuzunehmen. Diesen Gedanken haben wir aber schnell abgelegt. Das ergab keinen Sinn.

Wie sieht das dann aus — einfach selber den Schlagzeuger zu ersetzen?

Ich hatte schonmal so eine Situation in meiner Laufbahn als Musiker. Ich wusste, dass man sich ein Schlagzeug aufteilen kann. Hi-Hat, Bass-Drum und Snare wird von uns Dreien per Pedal gespielt. Das größte technische Problem war die »Besen-Snare«. Da die Besen sich nicht drehen können, muss sich die Snare drehen. Da haben wir — nach eigenen Versuchen, die nicht wirklich funktioniert haben — eine Konstruktion bauen lassen.

Das klingt nach einer Herausforderung.

Das ist hart, anstrengend. Weil wir zu dritt immer jedes Konzert auf- und abbauen müssen, da unser Set-up mittlerweile so speziell ist, dass man das niemandem erklären kann. Eine diffizile Angelegenheit, wo es auf jede Schraube ankommt.

Man liest über euch, dass ihr die Regel habt, 15 Mal im Jahr aufzutreten.

Eine Regel ist das nicht, eher ein Ziel: 15 bis 20 Mal. Morton und Robin sind berufstätig, beide Berufe sind mit Schichtwechseln verbunden. Robin ist Pfleger auf der Intensivstation und Morton arbeitet für die Stadtwerke. Als Berufsmusiker bin ich da freier. Aber wir können deshalb keine 70 Konzerte nach eine Veröffentlichung spielen. Das schützt wiederum die Musik selbst.

Ist das der Grund, warum ihr euch meist viel Zeit zwischen den Alben lasst.

Nein, das hat ausschließlich musikalische Gründe. Wir waren 2014 sehr zufrieden mit »Piano Nights«, das war schon fast das Optimum für uns. Dann setzt man sich nicht am nächsten Tag hin und fängt an, neue Songs zu schreiben. Man muss so eine Platte sacken lassen können. Gerade wenn man so reduziert, minimalistisch und langsam arbeitet, wie wir es tun, wird die Frage nach dem »Was geht noch?« immer wichtiger. Da muss dann eben eine Idee da sein und sich langsam entwickeln. Und fertig ist die Platte erst, wenn sie fertig ist. Das weiß man auch erst dann, wenn es passiert. Wir arbeiten nie auf ein Datum hin, sondern bis wir das Gefühl haben, dass es nicht mehr besser wird.

Gleichsam habt ihr, trotz eurer Zufriedenheit mit »Piano Nights«, den vermeintlich größten Sprung in eurer Karriere gemacht. Ihr habt jetzt eine prominente Gitarre, eine Drum-Machine und zwischenzeitlich ein »fast euphorisches« Tempo; dazu habt ihr ein Titelstück.

Das stimmt. Es hat sich einiges entwickelt. Ein Titelstück zu haben, ist uns nicht so wichtig, auch das hat sich ergeben. Vieles ist aber sehr schwer zu erklären, wie sich das so entwickelt hat. Wir mussten uns vom Vorgänger emanzipieren und deswegen mussten wir nochmal mindestens genauso hart an der Platte arbeiten. Ich hätte vor drei Jahren nicht gedacht, dass wir so zufrieden mit »Patchouli Blue« sein werden. Was vielleicht gar nicht allen auffallen wird, für mich aber eine der interessantesten Entwicklungen war: Wir haben eine Vielzahl an kürzeren Stücken auf der Platte. Diese Idee der Langsamkeit, die ja Bohren-typisch ist, auch innerhalb kurzer Zeit zu formulieren, finde ich persönlich sehr gut.

Aber das hattet ihr vorher überlegt?

Kann man so nicht sagen. Viel passiert halt einfach so. Ab einem bestimmten Punkt übernimmt die Musik selbst und bestimmt, wo es langgeht, und die sagt auch, wenn Schluss ist. Diesmal früher als noch auf vorherigen Alben.

Tonträger: Bohren & der Club of Gore, »Patchouli Blue« ist bereits auf Pias Germany/Rough Trade erschienen.