Arbeiten für eine offene Gesellschaft: Christine Kiauk und Herbert Schwering

Grenzbereiche erkunden

Das Frauenfilmfestival ehrt die Kölner Produktionsfirma Coin Film

Frauenförderung stehe nicht explizit auf ihrer Agenda, erklären Christine Kiauk und Herbert Schwering von der Kölner Firma Coin Film. Für sie zähle vor allem die starke Geschichte, eine, die sich mit gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetze, provozieren dürfe und einen originellen Blick auf die Welt zeige. Mit diesen Prämissen haben es außergewöhnlich viele Filmemacherinnen geschafft, das Interesse des Produzenten-Teams zu wecken. Das mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnete Coming-of-Age-Drama »Fickende Fische« (2002) von Almut Getto gehört ebenso zu den von ihnen realisierten Filmen wie Bettina Brauns mit dem Grimme-Preis gekürte Doku »Was lebst Du?« (2005) oder Nanouk Leopolds Literaturverfilmung »Oben ist es still« (2013), die für Regie und Drehbuch den höchsten niederländischen Filmpreis gewann.

Da liegt es nahe, dass sich das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund | Köln Coin Film als Gast ausgeguckt hat für die Premiere ihrer Sektion »Spot on NRW!«, die den Blick auf das Filmschaffen im Bundesland richtet. Passend zum Festival, das in seinem Hauptwettbewerb Debüts auszeichnet, arbeitet das Produzenten-Paar oft mit Nachwuchstalenten zusammen. Sie sehen es als Teil ihrer Arbeit, Regisseurinnen und Regisseure als Künstlerinnen und Künstler ein Stück weiterzubringen, mit ihnen die nächsten Schritte zu planen.

Mit Lola Randl (»Die Besucherin«) haben sie fünf Filme gedreht, eine Serie ist geplant, mit Nanouk Leopold drei Filme. Langfristige Zusammenarbeit ist für Coin Film das Ideal. Und Familienplanung betrachten Kiauk und Schwering pragmatisch — wohl auch ein Grund, warum junge Talente sich bei ihnen wohlfühlen. Wird eine Regisseurin schwanger, kann das durchaus in den Film einfließen, wie bei »Was lebst du?«. Verzögerungen kämen zudem immer vor, auch bei Regisseuren, erklärt Kiauk. »Unterm Strich würde ich sagen: Es spielt eine Rolle, ob man Mutter wird oder nicht, aber es gibt immer Wege, damit umzugehen.« Kiauk und Schwering haben zwei Kinder zusammen. Keiner hat länger pausiert, schon weil sie selbstständig sind. So gehe es auch vielen der Regisseurinnen.

Unterscheidet sich die Arbeit von Frauen und Männern? Oft gingen Frauen Themen ernsthafter an, meist drehe es sich um zwischenmenschliche Beziehungen, oft autobiografisch oder als Erkundung von Grenzbereichen: Eine junge Frau bietet sich als Leihmutter an, um ihre Beziehung zu retten wie bei »Die Erfindung der Liebe« von Lola Randl, eine andere schläft mit älteren Männern, um ihre Sexualität neu zu entdecken wie in »Brownian Movement« von Nanouk Leopold. Aber diese Zuschreibungen seien nur private Beobachtungen und nicht empirisch unterfüttert. »Davon lässt sich nichts Generelles ableiten«, betont Christine Kiauk.

Besonders spannend finden es Schwering und Kiauk, wenn Erwartungshaltungen nicht erfüllt werden. Wenn eine Filmemacherin wie Saskia Diesing einen Anti-Kriegsfilm inszeniert, ein von Frauen selten bedientes Genre. Oder wenn ein Filmemacher wie Stefan Jäger eine weibliche Emanzipationsgeschichte aus dem frühen 20. Jahrhundert rund um den Monte Veritá erzählt. Beides Projekte, die sie gerade auf den Weg bringen.

Auch »Mr. Gay Syria«, ein Dokumentarfilm der türkischen Regisseurin Ayse Toprak, den das Frauenfilmfestival zeigt, behandelt ein ungewöhnliches Thema. Die Regisseurin begleitet eine Handvoll im türkischen Exil lebende syrische Männer, die den Wettbewerb »Mr. Gay Syria« ausrichten, um bei der »Mr. Gay World«-Wahl auf die Lage homosexueller Flüchtlinge und Muslime aufmerksam zu machen. Kiauk fand es in Zeiten des IS sehr mutig von der Regisseurin, diesen Schwerpunkt zu legen.

In den mehr als 20 Jahren, in denen Coin Film nahezu 50 Filme produziert hat, habe sich in Sachen Parität einiges verändert, erzählt das Produzenten-Team. Schwering, der von 1998 bis 2003 als Dozent an der Kunsthochschule für Medien gelehrt hat, erinnert sich, dass schon damals gut die Hälfte der Studierenden weiblich war, später aber deutlich mehr Männer als Spielfilm-Regisseure arbeiteten. Bei den großen deutschen Produktionen stammten noch immer nur wenige von Frauen, doch beim Nachwuchsfilm sei es etwas ausgewogener. »Bei der Liste der Filmpreisnominierten sind mindestens ein Drittel Frauen.« Auch bei Festival-Jurys und der Auswahl der Filme bemühten sich die Verantwortlichen um mehr Ausgewogenheit. Mehr Frauen arbeiteten zudem in ehemals männlich dominierten Berufen: als Beleuchterinnen, Kamerafrauen oder Szenenbildnerinnen. In Entscheider-Positionen von Redaktionen und der Filmförderung sei das Verhältnis zwischen Frauen und Männern längst ausgeglichen. Was aber nicht bedeute, dass Filme von Frauen dort zwingend bessere Chancen hätten.

»So wie ich mir wünsche, dass es bereits im Kindergarten nicht nur Erzieherinnen, sondern auch Erzieher gibt, wünsche ich mir beim Film Geschichten, die von Männern und von Frauen erzählt werden«, sagt Kiauk. Das sei ein wichtiger Punkt in einer offenen Gesellschaft, um sich ausgewogen mit sich selbst zu befassen. »Wenn es da eine Quote braucht, soll es so sein.«

frauenfilmfestival.eu