Ungeliebte Rolle: Abel Ferrara bei einem Werkstattgespräch in Köln, Foto: Film Festival Cologne/Domrauschen

Alles im Griff

Lange war Abel Ferrara (»Bad Lieutenant«) in deutschen Kinos nicht mehr vertreten, jetzt kommen gleich zwei neue Filme von ihm. Eine Begegnung in Köln

 

Wenn man Abel Ferrara an einem Kölner Regentag in einer Hotellobby gegenübersitzt, wird schnell klar, wie ungern er über sich und seine Arbeit spricht. »Ferrara hasst Interviews leidenschaftlich«, bemerkte sein erster Biograf, nachdem er errechnet hatte, dass aus den 80er und 90er Jahren weniger als ein Gespräch pro Jahr überliefert ist. Das ist umso bezeichnender, als der 68-Jährige in jener Zeit mit Kultfilmen wie »Die Frau mit der 45er Magnum« (1980), »King of New York« (1990) und »Bad Lieutenant« (1992) sowie mit Episoden der Hitserie »Miami Vice« seine größten Erfolge feierte und mit »Body Snatchers« (1993) seinen mit Abstand teuersten Film drehte.

Inzwischen scheint er umgänglicher geworden zu sein, doch die Journalistenfragen beantwortet er nur ausweichend in Köln, wo er auf dem Film Festival Cologne mehrere Tage anlässlich der Verleihung des Hollywood Reporter Awards verbringt. Diese Scheu steht in merkwürdigem Kontrast zu der Offenherzigkeit, mit der er in Filmen sein persönliches Lebensumfeld sowie seinen Beruf beleuchtet. So kreisen »Dangerous Game« (1993), »The Blackout« (1997), »Mary« (2005) und »Pasolini« (2014) um obsessive Filmemacher — wobei die Tatsache, dass die beiden letztgenannten Filme zwar auf wichtigen Festivals liefen, aber keinen deutschen Verleih hatten, bezeichnend für Ferraras Außenseiterstatus in den letzten beiden Dekaden ist. Erst recht waren hierzulande nie die Dokumentarfilme zu sehen, die der gebürtige New Yorker zum Beispiel über sein einstiges Wohnviertel in Manhattan (»Mulberry St.«, 2010) beziehungsweise über das jetzige in Rom gedreht hat (»Piazza Vittorio«, 2017).

»Tommaso und der Tanz der Geister« (2019) ist nicht bloß in Ferraras Viertel gedreht worden, sondern sogar in der Wohnung, in der er mit Ehefrau Christina Chiriac und der gemeinsamen Tochter Anna lebt. Die beiden spielen die Frau und das Kind des von Willem Dafoe verkörperten Protagonisten Tommaso, der wiederum selbst Filmemacher ist und hier bei Vorbereitungsarbeiten zu eben jenem Film (»Siberia«) zu sehen ist, mit dem Ferrara Ende Februar im Berlinale-Wettbewerb vertreten war.

»Tommaso« scheint beiläufige Alltagsbeobachtungen einzufangen, wenn die Titelfigur einkaufen geht, einen Sprachkurs besucht oder an Treffen einer Selbsthilfegruppe abstinenter Drogenabhängiger teilnimmt. Obwohl der Kampf gegen die Sucht oder der Altersunterschied der Eheleute Spannungspotenzial bieten, ergibt sich eine Stunde lang der Eindruck eines angenehm unaufgeregten Filmemacherlebens. Von den manischen Exzessen, die etwa »Dangerous Game« zelebriert, wo die Rolle der Regisseursgattin bezeichnenderweise von seiner damaligen Ehefrau verkörpert wird, scheint »Tommaso« zunächst denkbar weit entfernt.

Die aktuellen autobiografischen Bezüge erklärt Ferrara allerdings schlicht mit Zeit- und Kostenersparnissen. Eigene Alltagsroutinen böten das Fundament, auf dem die Handlung Eigendynamik gewinnen könne. »Je sicherer wir sind, dass wir nicht jedes einzelne Handlungselement neu erschaffen müssen, desto mehr Raum haben wir für Rock’n’Roll«, sagt Ferrara so salopp wie wolkig. »Wir können rausgehen, wir können Tommaso finden, wir können ihn in gewisser Weise erkunden. Das spiegelt dokumentarische Arbeit. Ab dem Punkt können wir herausfinden, wohin die Arbeit an dem Film uns führen wird.«

Auf Nachfrage, inwieweit er sich in der Hauptfigur wiedererkenne, beharrt er darauf, dass er in dem Film nicht einmal seinen Freund Dafoe sehe: »Das ist die Magie des Kinos. Das ist Willems Gabe. Das ist die Gabe, die wir mitbringen. Ich sehe nicht Willem, ich sehe nicht mein Haus. Es ist nicht Cinéma vérité, es ist kein Film einer Überwachungskamera. Dies ist alles Fiktion.«

Konkret wird Ferrara nur, wenn er über die bescheidenen Umstände der Produktion spricht. Das Team habe »vielleicht zwölf« Leute umfasst. »Jeder übernahm sozusagen doppelte Aufgaben. Wir haben an vierzehn, fünfzehn Tagen in weniger als drei Wochen gedreht.« Die Antworten auf die Frage, ob es ein ausgearbeitetes Drehbuch gegeben habe, bleiben dagegen mehrdeutig: »Alles war vorher da«, behauptet Ferrara — um im nächsten Atemzug einzuräumen, dass sich beispielsweise die Szene mit einer Teilnehmerin der Selbsthilfegruppe aus dem Stegreif entwickelt habe.

Umso überraschender ist, dass Ferrara einen Absturz im Drogenrausch, von dem Tommaso bei einem Treffen jener Gruppe berichtet, unumwunden als »persönliche Geschichte« anerkennt. »Ich hatte gerade den Film «Blackout« beendet. Und ich wollte ein Remake von «La dolce vita« machen. Videokameras kamen gerade auf den Markt, und so nahm ich eine und wollte einfach losdrehen. Steven Bauer, der ein Freund von mir war, sollte die Hauptrolle übernehmen. Er war zu high, um zu spielen. Aber wir begannen, eines Nachts zu drehen. Und ich landete im Krankenhaus.«

Dieses Ereignis, an dessen Dramatik die entsprechende Szene in »Tommaso« kaum Zweifel lässt, kommentiert Ferrara mit einem leisen Kichern, das allerdings ernster gar nicht klingen könnte. Auf die Frage, ob er eine gesündere Balance zwischen Arbeit und Privatleben gefunden habe, antwortet er mit einer Gegenfrage — mit der er sich bezeichnenderweise zum wiederholten Mal mit der angeblich fiktionalen Filmfigur identifiziert: »Was denkst Du? Tommaso hat alles im Griff?«