Köln 1945: Tatjana Delaunay, Anders Hellström

»Ich will nicht an einem Schicksal kleben«

Roy Andersson über seinen neuen Film »Über die Unendlichkeit«, Hitler im Führerbunker und Köln

Herr Andersson, eine zentrale Szene ihres neuen Films spielt in Köln. Man sieht ein Liebespaar eng umschlungen kurz nach Kriegsende über die zerstörte Innenstadt fliegen. Warum ausgerechnet Köln?

Um ehrlich zu sein, ich wollte die Zerstörung durch den Krieg zuerst am Beispiel Dresdens zeigen, aber das war visuell nicht so interessant. Die Dresdner Frauenkirche wurde ja zerstört, während der Dom 1945 noch in all den Trümmern stand.

Es ist beeindruckend, wie genau das Modell ist, dass Sie für diese eine Einstellung haben bauen lassen: Man erkennt nicht nur den Kölner Dom wieder, sondern auch andere Gebäude, die Brücken …

Das Team, dass das Modell gebaut hat, ist sehr talentiert und präzise. Wir haben für diesen Film das erste Mal mit einem Laser-Cutter gearbeitet. Aber das war eine komplizierte Einstellung, die viel Arbeit erfordert hat.

In allen ihren Filmen spielt der Zweite Weltkrieg eine wichtige Rolle. Woher kommt dieses Interesse?

Das liegt wahrscheinlich an meinem Alter. Ich wurde 1943, also während des Kriegs geboren. Mein Vater war Soldat an der Grenze zu Norwegen. Er hat immer erzählt, dass die deutschen Soldaten sehr nett gewesen seien. Man teilte sich Kaffee und Zigaretten. Über die Schrecken des Krieges habe ich erst später gelesen. Wie war es möglich, solche Grausamkeiten zu verüben, besonders natürlich an den Juden? Wie konnte das passieren? Ich verstehe das immer noch nicht.

In ihren früheren Filmen haben Sie oft an die Sympathien für die Nazis in Schweden erinnert. In »Über die Unendlichkeit« zeigen Sie nun eine Szene, die kurz vor Ende des Kriegs im Führerbunker spielt. Wie kam es dazu?

Ein sowjetisches Gemälde hat mich dazu inspiriert. Es ist nicht sehr gut, aber sehr expressiv. Es zeigt Hitler und seine Generäle brutal ehrlich: Sie sitzen im Bunker, sie sind betrunken, und Hitler kommt gerade zur Tür herein. Man sieht ihnen an, dass sie nicht verstehen, wie das alles möglich war. Das fasziniert mich.

Können Sie das genauer erklären?

Es gibt dieses deutsche Wort »Wahnsinn«, davon ist etwas in der Szene. Sie sind so unglücklich und wundern sich, wie ihre Leben so enden konnten. Nur wenige Jahre zuvor waren sie so stolz, so selbstsicher. Sie dachten, sie seien unbesiegbar. Aber selbst in ihren letzten Stunden verstehen sie immer noch nicht, was sie verbrochen haben.

Ästhetisch erinnert »Über die Unendlichkeit« an ihre vorherigen drei Filme, aber Sie verwenden zum ersten Mal eine Erzählerin.

Dazu wurde ich von »Tausendundeine Nacht« inspiriert, von Scheherazade, die die Geschichten dem König erzählt, um nicht getötet zu werden. Der König lässt sie leben, damit sie ihm weiter Geschichten erzählen kann. Das ist auch mein Ziel: Ich will jeden meiner Filme so interessant machen, dass die Zuschauer immer wieder einen neuen sehen wollen.

Und wer im Kino sitzt, bringt niemanden um.

Genau! (lacht)

»Über die Unendlichkeit« besteht aber vor allem aus einzelnen unver­bundenen Szenen. So wenig zusammen­hängende Erzählung gab es bislang in keinem ihrer Filme.

Mich interessiert es immer weniger, lineare Geschichten zu erzählen. Ich will eher eine kaleidoskopische Erzählung: Alle Szenen zusammen­genommen sagen uns etwas über die Menschheit. Das ist besser, als an einem Schicksal zu kleben. Das ist meine Philosophie.

Ihre Filme werden immer minimalistischer.

Ich will einen »gereinigten« Stil. Da bin ich meiner Zeit als Werbefilm-Regisseur dankbar, da habe ich gelernt, sehr komprimiert und verständlich für jeden zu erzählen.

Ein roter Faden zieht sich dennoch durch den Film: Die tragikomische Geschichte eines Priesters, der seinen Glauben verloren hat. Kann man sagen, dass unsere transzendentale Obdachlosigkeit ein zentrales Thema ist.

Ja, aber ich war nie religiös, glaube ich, hoffe ich. Diese Geschichten über Jesus, der den Leuten helfen und die Welt verbessern wollte, sind sehr gut. Aber ich verstehe die Verbindung zu Gott nicht. (lacht)

Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten einen völlig eigenen Stil perfektioniert. Doch der ist vielen Beschränkungen unterworfen: keine Schnitte innerhalb einer Szene, keine Kamerabewegung, eine eingeschränkte Farbpalette. Reizt es Sie nicht, mal dieses Korsett abzulegen?

Ich würde gern, aber ich weiß nicht, wie. Wenn ich es versucht habe, ist das Ergebnis einfach nicht gut geworden. Warum etwas machen, das schlechter ist, als das, was du bereits gemacht hast?

Roy Andersson

Der Schwede feierte 1970 einen großen Erfolg mit seinem Debüt »A Swedish Love Story«, eine einfühlsame Schilderung der ersten großen Liebe zweier Pubertierender. Nachdem sein zweiter Film »Giliap« 1975 zum finanziellen Debakel wurde, wechselte Andersson in die Werbung. 1981 gründete er in Stockholm eine Produktionsfirma mit angeschlossenem Studio, was ihm ermöglicht, weitgehend selbtsbestimmt zu arbeiten. Dort entstanden fast komplett die Filme »Songs from the Second Floor« (2000), »Das jüngste Gewitter« (2007), »Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Lebe nach« (2014). Die surrealen Bildwelten und der absurde Humor dieser Filme erinnern an den späten Buñuel.