Filmstar spielt Filmstar: Catherine Deneuve

La vérité

Hirokazu Kore-eda (»Shoplifters«) bleibt sich auch in Frankreich treu

Auf der ganzen Welt gibt es wohl keinen Filmemacher, der seine Meisterschaft so subtil zur Geltung bringt, wie Hirokazu Kore-eda. Bei oberflächlicher Betrachtung kann man seinen unscheinbaren Stil mit Formlosigkeit verwechseln und die gelegentlichen musikalisch untermalten Anflüge von Sentimentalität bieder finden. Entsprechend genau muss man etwa in seinem letzten Film, dem Cannes-Gewinner »Shoplifters«, hinschauen, um zu erkennen, wie zielsicher der japanische Filmemacher mit jedem beiläufigen Perspektivwechsel, mit jedem kleinen Zeitsprung Figuren und Handlung weiterentwickelt.

In »La vérité« kann beispielsweise eine märchenhafte Marginalie, die sich auf eine im Garten der Hauptfigur lebende Schildkröte bezieht, leicht unbeachtet bleiben. Dass Kore-eda aus Aussparungen gerne Mehrdeutigkeit ableitet, ist hier allerdings unmöglich zu übersehen. Dialoge verweisen so häufig auf eine längst Verstorbene, dass die Leerstelle auffallen muss, die die Inszenierung an diesem Punkt lässt: Es wird nie ganz klar, inwieweit die Protagonistin, Schauspielstar Fabienne (Catherine Deneuve), in der toten Kollegin auch eine Konkurrentin sah und inwieweit die beiden Frauen mehr verband als innige Freundschaft.

Nicht nur Fabienne arbeitet in der Film- beziehungsweise Fernsehbranche, sondern auch ihre Tochter, die Drehbuchautorin Lumir (Juliette Binoche), und deren Ehemann, der Seriendarsteller Hank (Ethan Hawke). Das Ehepaar ist mit seinem Kind im Pariser Haus von Fabienne zu Besuch, die gerade ihre Memoiren veröffentlicht hat, was sogleich Spannungen zwischen Tochter und Mutter aufbrechen lässt. Diese Konflikte werden von der Handlung jenes Films gespiegelt, mit dessen Dreharbeiten Fabienne zeitgleich beginnt.

So rückt ein Thema ins Zentrum, das bei Kore-eda sonst zumeist eher unterschwellig mitschwingt, nämlich die — wenn man so will — »performative« Seite menschlicher Beziehungen. Dass Gefühle durch pragmatisches Kalkül und Notlügen nicht unbedingt entwertet werden, hat der 57-Jährige schon in früheren Filmen regelmäßig reflektiert. Bei seinem ersten Dreh außerhalb Japans und mit westlichen Stars scheint er aber ein nahezu boulevardeskes Vergnügen an eben jenen Performances gefunden zu haben, die zu Familie, Freundschaft und Liebe unweigerlich dazugehören.

(dto) F/J 2019, R: Hirokazu Kore-eda, D: Catherine Deneuve, Juliette Binoche, Ethan Hawke, 106 Min.