Bagger essen Heimat auf: Yoran Leicher, Sobhi Awad

Zu weit weg

Sarah Winkelstette zeigt behutsam die Freundschaft zweier entwurzelter Jungen

Der Braunkohleabbau gehört für den zwölfjährigen Ben zur Landschaft. Doch nun steht auch Bens Heimatdorf den Baggern im Weg, und seine Familie muss das Haus seiner Kindheit verlassen. Der Umzug in einen Neubau in der nächstgelegenen Stadt bedeutet für Ben und seine Schwester auch, dass sie Schule und Sportverein wechseln müssen. Während er damit zu kämpfen hat, seinen Platz zu finden und den Verlust seines vorherigen Lebens zu verarbeiten, lernt er Tariq kennen. Der syrische Junge lebt ohne Familie in einem Kinderheim und ist vom Krieg in seiner Heimat traumatisiert. Zunächst unfreiwillig Sitznachbarn in der Schulklasse, freunden sich die beiden schließlich über ihre gemeinsame Leidenschaft für Fußball an.

Regisseurin Sarah Winkenstette hat mit »Zu weit weg« einen warmherzigen Beitrag zum deutschen Familienfilm geleistet, aus dem die Liebe zur Region ebenso spricht wie eine hohe Sensibilität für die Lebenswelt seiner Protagonisten. Das Drehbuch von Susanne Finken, die auch als Stadtrevue-Autorin Kinder- und Jugendfilme bespricht, liefert realitätsnahe Dialoge und ist von einer erfrischenden Leichtigkeit, wie sie im Genre selten erreicht wird. Achtsam zeigt »Zu weit weg« die Parallelen zwischen den Verlusten der beiden Jungen, ohne jemals einen wertenden Vergleich anzustellen.

Regisseurin Sarah Winkenstette inszeniert das Westrevier als karge Sommerlandschaft, in der Bens ehemaliges Heimatdorf, von dem der Abschied noch nicht ganz vollzogen ist, zu einem Sehnsuchtsort wird. Die Nostalgie, die Ben bei seinen heimlichen Besuchen in der alten Heimat überkommt, wird auch den Erwachsenen im Publikum nicht fremd sein. Es ist überhaupt ein herausragendes Merkmal, wie in »Zu weit weg« die Jugendlichen nicht nur ernstgenommen, sondern ihr Erleben und ihre Gefühle gänzlich altersunabhängig nachvollziehbar werden. Nicht zuletzt überzeugen Yoran Leicher und Sobhi Awad in den Hauptrollen, aber auch Julia Hirt als Bens Schwester und wichtige Bezugsperson. Die komplexen Gefühlsregungen, die das Drehbuch von ihnen fordert, spielen die jungen Darstellenden beeindruckend unverfälscht.

Mit seinem unaufdringlichen Humor, seinem Feingefühl für Kultur und der anrührenden Verletzlichkeit, die seine Hauptfiguren zeigen, ist »Zu weit weg« schon jetzt einer der besten Familienfilme dieses Jahres.

D 2020, R: Sarah Winkelstette, D: Yoran Leicher, Sobhi Awad, Andreas Nicki, 92 Min.