Foto: Dörthe Boxberg / Stadtrevue

»Man geht duckmäuserisch vor«

In Köln soll eine türkische Schule eröffnet werden. Volker Beck sieht die Pläne skeptisch.

Anfang des Jahres wurde bekannt, dass die Türkei drei Schulen in Deutschland eröffnen möchte, voraussichtlich in Köln, Berlin und Frankfurt. In der Türkei gibt es ebenfalls drei deutsche Schulen. Das Auswärtige Amt, die Kultusminister und der türkische Staat verhandeln derzeit über ein gegenseitiges Schulabkommen. Dabei dürfen nicht die Staaten selbst als Schulträger auftreten, sondern ein privater Verein oder Bildungsträger.


Herr Beck, rund 20 Staaten haben Schulen in Deutschland. Die Ankündigung der Türkei hat jedoch hohe Wellen geschlagen. Sollte nicht gleiches Recht für alle gelten?

Internationale Schulen sind grundsätzlich eine gute Sache. Hätten wir eine andere Regierung in der Türkei, hätte ich keine Sorge. Aber man kann die Augen nicht davor verschließen, wie die AKP den Staatsapparat auf Linie gebracht hat. Es gibt für uns keine Möglichkeit, die politische und ideologische Unabhängigkeit der Schulen wirklich sicherzustellen. Die werden im Dienste Erdoğans islamistisch-natio­nalistischer Propaganda und seines Anti-Integrationskurses eingespannt.

Es ist völlig naiv von Bundes- und Landesregierungen, wenn sie sagen: Wir haben doch die Schulaufsicht. Dann haben sie das System der türkischen Diaspora-Politik nicht verstanden.

Bund und Land verweisen auf die Schulaufsicht als Kontrollinstrument. Die Schulaufsicht kann nur stichprobenartig Kontrolle üben, vielleicht mal unangekündigt vorbeikommen. Aber glaubt irgend­jemand ernsthaft, dass eine Lehrkraft, die nicht AKP-nah ist, dort eine Chance auf einen Job hat?

Da herrscht doch keine Pluralität im Lehrpersonal. Auf die Einstellungs­praxis hat das Land keinen Einfluss. Auch wenn der Stoff sich am deutschen Lehrplan orientieren muss: Was ist mit dem Völkermord an den Armeniern? Mit Gleichberechtigung? Das wird klar auf Linie gebürstet sein. Es ist völlig naiv von Bundes- und Landesregierungen, wenn sie sagen: Wir haben doch die Schulaufsicht. Dann haben sie das System der türkischen Diaspora-Politik nicht verstanden.

Sie meinen, die türkischen Schulen sind nur ein Baustein. Was gehört denn noch dazu?

Der Instrumenten­kasten der AKP ist groß: Angebote für Kinder und Jugendliche mit Nachhilfe, Klassenfahrten, Jugendfreizeiten. Eine neue Entwicklung ist der türkische Auslandssender TRT, der nah an Putins Russia Today angelehnt ist und neuerdings hier zu emp­fangen ist. Daneben sind die türkisch-islamischen Verbände wie Millî Görüş zu nennen, im medienpolitischen Bereich die Seta-Stiftung und jetzt noch die deutsche Tochter der Maarif-Stiftung mit Sitz in Köln, die als Schul­träger fungieren soll.

Sie waren lange als innenpolitischer Sprecher Ihrer Partei tätig. Wie würden Sie vorgehen?

Ich sehe keinen Grund, auf die Ambitionen einzugehen. Ich würde nicht den großen Krach suchen, sondern das Thema zu Tode verhandeln, immer wieder vertagen und auf der Strecke sterben lassen — oder besser formuliert: diplomatisch ausschleichen lassen.

Wie weit sind denn die Verhand­lungen?

Schon sehr weit fortgeschritten, auch unter Beteiligung der Länder. Da ist die Öffentlichkeit nicht vollständig ins Bild gesetzt worden. Die deutsche Politik hat der türkischen Regierung signa­lisiert, dass man bereit ist, ihr entgegenzukommen, um die Existenz der deutschen Schulen in der Türkei zu retten. Im Auswärtigen Amt geht man in solchen Situationen oft duckmäuserisch vor. Wer jetzt bedingungslos nachgibt, der wird auch mit der Schulaufsicht, das kein scharfes Schwert ist, Erdoğan nicht in Schach halten. Glaubt man im Ernst, man wird die Schulen bei Verstößen wieder zumachen, wenn man sich jetzt schon erpressen lässt?

Hat das deutsche Schulsystem etwas verpasst in Bezug auf muttersprachlichen Unterricht?

Angebote haben wir ja. Vielleicht sollten wir ihnen mehr Gewicht und Gesicht geben und auch die Qualität verbessern. Wichtiger finde ich aber, dass wir unsere Haltung überprüfen: Das Beherrschen der türkischen Sprache ist eine Qualifikation und kein Defizit, wie es zuweilen gesellschaftlich verhandelt wird. Viele sehen Englisch, Französisch und Spanisch als echte Qualifikation, bei Türkisch wird das manchmal anders bewertet. Da brauchen wir mehr Wertschätzung. So nimmt man Erdoğan den Wind aus den Segeln.

Volker Beck

lebt in Köln und Berlin. Er ist Lehrbeauftragter am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES) der Ruhr-Universität Bochum. Von 1994 bis 2017 war er Kölner Bundestagsabgeordneter und innenpolitischer Sprecher der Grünen.

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