Sieg der Marktmacht — Keine Task Force kann sie stoppen

Knalldepp gegen Facebook

Bei Social Media verhält sich die Stadt so sorglos wie die meisten User

»Als mein Tagesordnungspunkt im Hauptausschuss aufgerufen wurde, rollten viele mit den Augen«, sagt Thor Zimmermann von der Wählergruppe GUT. Was war passiert? Zimmermann hatte in der Stadtrevue (siehe SR 12/2019) Kritik am Social-Media-Verhalten städtischer Institutionen geäußert, weil sie ihre Infos für Nutzer über den notorischen Messangerdienst Whatsapp versendet haben. Jetzt wollte Zimmermann wissen, wie die Stadt zur Kritik an Internetkonzernen wie Facebook stehe, deren Geschäftsmodell dem deutschen Datenschutz widerspreche.

Man wolle »moderne sowie zielgruppengerechte Kommunikation für die Bürgerinnen und Bürger anbieten, gleichzeitig müssen die dafür notwendigen datenschutz­rechtlich sicheren Voraussetzungen geschaffen sein«, so OB Henriette Reker in ihrer Antwort. Diese Voraussetzungen aber sind nicht gegeben. Trotzdem macht die Stadt weiter. Dass »die Präsenz öffentlicher Stellen, wie der Stadt Köln, in sozialen Netzwerken wie Twitter oder Facebook kritisch« sei, gibt Reker zu. Denn als Betreiber etwa einer Facebook-Seite ist die Stadt ebenso verantwortlich für die Erfassung, Sammlung und Auswertung der Daten wie Facebook selbst — wobei die Stadt gar nichts von den gesammelten Daten hat, sondern nur Facebook. Dass der Konzern sich dem Datenschutz anpasse, erwartet Reker gar nicht erst. Vielmehr »entziehen sich die Plattformbetreiber derzeit aufgrund ihrer vorhandenen Marktmacht.«

»Marktmacht — ich kann’s nicht mehr hören«, sagt Zimmermann. »Man kann es auch so zusammenfassen: Ist alles Mist, aber wir werden vom Bürger gezwungen, da mitzumachen, und gegen Facebook kommt man nicht an.« Daran Kritik zu äußern, könnten viele nicht nachvollziehen, so Zimmermann. »Dann ist man der Knalldepp.«

Auch Thomas Hegenbarth, ehemals Piratenpartei, heute in der SPD, sagt: »Die meisten begreifen es einfach nicht, dass sie mit ihren Daten die großen Konzerne sehr viel Geld verdienen lassen.« Aber die Informationen, die etwa Facebook sammle, könne eigentlich die Stadt gebrauchen, so Hegenbarth. Auch er hatte nach dem Stadtrevue-Artikel noch Fragen an die Stadt, insbesondere zu Messengerdiensten wie Whatsapp, weil »die Daten der Nutzerinnen und Nutzer auf internationalen Servern abgelegt würden.« Stadtdirektor Stephan Keller antwortete, dass das Amt für Informationsverarbeitung »eine open-source-basierende Messaging-Lösung für die Echtzeit-Kommunikation im Kontext von Projekten« erprobe. Hegenbarth fordert, dass die Stadt für interne wie externe Kommunikation einen oder mehrere eigene Dienste entwickle. »Das Knowhow ist bei den vielen Start-ups in Köln gegeben. Warum nutzen wir das nicht, sondern schenken den Konzernen unser Daten-Gold?«

Längst wird auch im NRW-Landtag über Social-Media-Aktivitäten von Politik und Verwaltung diskutiert. Im Oktober hat die Staatskanzlei eine Task Force gegründet. Justizminister Peter Biesenbach (CDU) wies bereits darauf hin, dass Facebook-Seiten gegen geltendes Recht verstießen. Seinen eigenen Account löschte er. Sein Parteifreund und Innenminister Herbert Reul (CDU) aber verweist auf ein »Spannungsverhältnis« zwischen politischer Öffentlichkeitsarbeit und Datenschutz. »Eine abschließende rechtliche Würdigung« stehe noch aus. Die Task Force prüft noch weiter.

Thor Zimmermann, der sich als Kandidat auf den OB-Wahlkampf vorbereitet, ist auch selbstkritisch. »Klar, kommt man an Facebook kaum vorbei als Politiker. Aber es ist ein Unterschied, ob ich Social Media als Privatperson nutze oder als staatliche Institution, Letztere trägt eine wesentlich höhere Verantwortung!« Zimmermann sagt, er und sein politischer Kollege Tobias Scholz träten weiter der Digitalisierungs-Euphorie entgegen. »Wir schreien nicht Hurra, wenn es wieder 500 neue Apple-Tablets für Grundschulen geben soll. Man braucht auch nicht an jeder Haltestelle W-Lan. Wir nehmen in Kauf, dass man uns deswegen für altmodisch hält.«